Peregrinus Walker
Nackt auf der Insel
Liebesbekenntnisse eines bierseligen Halbamerikaners
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Inhaltsverzeichnis
1
Sex war mein Leben! Jetzt bin ich sechzig Jahre alt, und ich finde, es ist an der Zeit, aus meinem Leben zu berichten. Es war ein bewegtes Leben. Mit einem Wort: Es war was los! Es ging hoch her! In jeder Beziehung! Vor allem, was die Frauen betrifft. Aber hallo! Leute, das kann ich gar nicht alles erzählen. Das hält kein Mensch aus. Da muss ich auswählen, sonst steigen mir die Moralapostel aufs Dach! Aber ich will aufrichtig und wahrhaftig sein, mein Leben und Lieben so erzählen, wie es sich zugetragen hat, dabei aber die Diskretion so weit wahren, dass niemand geschädigt wird oder gar eine Demaskierung fürchten muss. Übereinstimmungen mit lebenden oder zwischenzeitlich verstorbenen Personen wären also rein zufällig.
Meine Mutter kam aus Bayern, und in Bayern bin ich aufgewachsen. Allein bei ihr. Mein Vater hat sich frühzeitig aus dem Staub gemacht. Das heißt, er musste zurück in die USA, weil er Besatzungssoldat war und irgendwann wieder in die Staaten zurückbeordert wurde. Ich bin also ein Besatzungskind! Haha! Auch so ein Etikett. Als ich achtzehn war, hab ich meinen Vater zum ersten Mal besucht. Er hatte dort drüben längst eine eigene Familie, mit Frau und zwei Kindern, die meine Halbgeschwister waren. Meine Mutter hat er wohl nicht heiraten wollen. Aber zum Sex war sie ihm gut genug. Ich hab ihm keine Vorwürfe gemacht, weil er mich mit Geschenken überhäuft hat, mir auch viel Geld gegeben hat. Und als ich drüben bei ihm war, ein Jahr vor dem Abi, da hat er mich während der Ferien, die ich bei ihm verbrachte, mit seinem reichen Freund bekannt gemacht, der mich gleich auf seine einsame Insel einlud. Das war ein Leben! Nach drei Wochen bin ich zu meinem Vater zurück, weil meine Ferien zu Ende gingen und ich nach Old Germany zurück musste. Abgemagert war ich, trotz des üppigen Essens. Die Frauen hatten mich nicht in Ruhe gelassen. Dazu aber später mehr!
Ich habe lange geglaubt, mein Vater sei im Krieg gefallen. Das war bei einigen Klassenkameraden der Fall. Warum also bei mir nicht, wo ich doch keinen Vater hatte? Aber: Mein Vater war ein weißer Amerikaner, kein schwarzer, wie bei dem berühmten Film-Besatzerkind namens Toxi. An den Rummel um dieses Film-Baby erinnere ich mich noch gut – nicht weil ich ihn bewusst erlebt hätte – ich bin ja ungefähr gleichaltrig, sondern weil meine Mutter mir wieder und wieder davon erzählte, als ich noch klein war. Wollte sie mich mit dem Gedanken vertraut machen, ohne mir das Geringste davon zu erzählen, dass auch ich von einem Besatzungssoldaten abstamme? Also ich glaubte lange, dass mein Vater im Krieg gefallen sei. Meine Mutter und ich wohnten zu Beginn meines Lebens bei meinen Großeltern draußen in einem Vorort. Auch eine Tante und ein Onkel lebten da im Haus; die Tante war die Schwester meiner Oma. Erst später sind wir näher zur Innenstadt gezogen, damit meine Mutter nicht mehr so weit zur Arbeit hatte. Sie war Verkäuferin in einem großen Textilgeschäft. Das kam ihr und mir zu Gute, weil sie günstig an Klamotten für uns beide kam.
Als ich größer war und einmal in den Sachen meiner Mutter kramte, fand ich die Todesanzeige meines vermeintlichen Vaters. Er war neunzehnhundertvierzig, gleich nach Beginn des Frankreich-Feldzuges an der Westfront gefallen, gehörte zu den ersten Kriegstoten beim Einmarsch. Dieser Tote konnte doch mein Vater nicht sein! Wenn wir auch damals nicht so aufgeklärt waren wie die Jugendlichen heute – so viel wusste ich doch, dass das Kind eines Mannes, der neunzehnhundertvierzig gefallen war, nicht erst anderthalb Jahre nach Kriegsende, um genau zu sein, Anfang Januar neunzehnhundertsechsundvierzig geboren sein konnte. Ich stellte meine Mutter zur Rede, und sie musste zugeben, dass sie mich in einem Irrglauben gelassen hatte. Warum? Auf diese Frage gab sie mir keine Antwort. Jedenfalls hatte Egon, so hieß der Gefallene, sie vor Beginn des Feldzuges geheiratet, meine Mutter war erst neunzehn gewesen, er dreiundzwanzig. Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, sie zu schwängern. Da musste er schon in den Krieg. Himmlers Programm Kinder für den Führer blieb hier fruchtlos. Nach wenigen Tagen hatte meine Mutter die Todesnachricht erhalten. Witwe mit neunzehn Jahren, Kriegerwitwe! Heute überlege ich oft, wie sie ihre Jugend ohne Mann hat einigermaßen zufrieden stellend verbringen können. Sie wohnte auch damals bei ihren Eltern und ihren Verwandten, wohlbehütet und bewacht von vier Leuten, die sich sicher zu Erziehungsberechtigten der jungen Witwe berufen fühlten. Meine Großeltern waren liebe Menschen gewesen, sie waren aber streng, und moralisch dachten sie sehr eng, ganz ihrer katholischen Erziehung verhaftet. Ich habe nie erlebt, dass sie sich auch nur einmal negativ zu ihrem Glauben oder zur katholischen Kirche geäußert hätten. Sie haben ohne Widerrede alles akzeptiert, was von oben deklariert wurde. Dass sie gegen die Pille waren, erklärt sich da von selbst, obwohl beide, als die Pille herauskam, längst jenseits von Gut und Böse waren, schließlich waren beide achtzehnhundertneunzig geboren. Sie hatten noch vor dem Ersten Weltkrieg geheiratet. Meine Mutter kam aber erst neunzehnhunderteinundzwanzig zur Welt. Wahrscheinlich hatten sie vor jedem Beischlaf wegen dessen Sündhaftigkeit immer so lange gebetet, bis der Lümmel des Großvaters aus lauter Sündenbewusstsein zu nichts mehr fähig war und nur noch den Kopf hängen ließ. Das hätte man sich eigentlich bei den katholischen Geistlichen gewünscht, die tausendfach Kinder missbraucht haben! Na, jedenfalls nach dem Ersten Weltkrieg hat es dann doch geklappt mit der Sünde, und meine Mutter wurde geboren. Sonst gäbe es mich ja nicht. Meine Mutter durchlief die damals übliche Kindheit und Jugend: Mit sechs Jahren in die Volksschule, mit vierzehn raus, danach ein Jahr BDM mit Landverschickung und Feldarbeit, eine Lehre als Verkäuferin. Aus. Mit achtzehn lernte sie diesen Egon kennen, der sie ein Jahr später heiratete. Sie ging aus den Händen ihrer Eltern wohlbehütet in die Hände des Mannes über, der für wenige Tage ihr Ehemann sein sollte. Wie aber hat sie in ihrer Jugend den Witwenstand ertragen, eine Leben ohne Mann, ohne Männer? Wie gesagt, darüber denke ich oft nach. Dass ihr meine Großeltern viel Spielraum ließen, kann ich mir nicht vorstellen. Bestimmt wurde sie immer ermahnt, auf ihren Ruf zu achten, sie, die Witwe eines früh gefallenen Helden. Man kennt den Wortpomp aus den Kriegsjahren, das Pathos der Machthaber, ihre verlogene Propaganda, ihre Feigheit. Ja, feige Schweine waren sie letztendlich gewesen, wenn es um sie selbst ging. So lange sie andere für sich töten und morden lassen konnten, waren sie stark, die Großmäuler! Als es ihnen an den Kragen ging, flohen sie in den Selbstmord, anstatt sich ihrer Verantwortung zu stellen, oder setzten sich nach Südamerika ab. Dieses Gesindel! Dass es heute nach Leute gibt, die etwas von dieser Mörderbande halten! Das müssen doch Leute sein, die einen Haufen Scheiße unter der Schädeldecke haben, wo bei anderen das Gehirn sitzt. Naja, ich will mich nicht aufregen! Also, wie hat meine Mutter diese karge Zeit überstanden als junge Frau mit ihren Trieben, Hormonen,