Gloria schaut sie verdattert an, “Ich weiß nicht. Ich wollte nur fragen ...”
Sonja schmatzt und kopiert weiter. “Muss googeln.” (zwinkert Gloria zu) “Was wolltest du fragen?”
“Wegen ... wegen dem Glückshormonspiegel ...”
Stirnrunzelnd nimmt Sonja Kopien aus dem Auffangfach und legt sie beiseite, legt ein anders Original in die Kopierklappe. “Ein Projekt?”
Gloria wendet sich ihr verschwörerisch zu. “Nein, ich hab’ da was gelesen, von Schokolade und so. Und dass aber nichts so gesund ist wie ...” (flüstert) “Sex, oder zumindest Gedanken daran.”
Sonja seufzt. “Optische Schokolade hilft. Ein bisschen, ja.” Sie zwinkert Gloria zu. “Der Cola-Mann, richtig?”
“Richtig. Nehmen wir aber mal an, dass so einer ... also dass du die Gelegenheit hättest, für eine Nacht mit ihm ...”
Sonja schnaubt verhalten, und ihre Augen werden groß. “Was heißt eine Nacht ... ich wär’ schon mit zehn Minuten zufrieden. Und Fantasien fürs ganze Leben.”
Gloria schaut sie verblüfft an und nickt dann. “Genau. Ich würde ihn auch ... nehmen. So als ... Zwischendurch-Snack. Oder? Ich meine ... es muss auch gar nicht so ein Schönling sein ...”
Sonja kichert. “Gestern war ich im Kino. Eine romantische Komödie. Und sexy! Mit Chris Evans. Oyoyoy! Ich war mit meinem Nachbarn. Der ist potthässlich, aber nach dem Film hätte ich beinahe ...”
Gloria starrt sie atemlos an. “Und?”
“Aber nein. Dann habe ich ihn ewig am Hals.”
“Und wenn’s ein Fremder gewesen wäre? Der nicht im Haus wohnt oder den du überhaupt nicht kennst?”
Sonja packt ihre Kopien zusammen und gibt Gloria einen nachdenklichen Blick aus schmalen Augen. “So eine Art One-Night-Stand von irgendwoher?” Sonja nickt, dramatisch. “Oh ja, yeah, Baby, sicher.” Sie nimmt ihren Papierstapel. “Beantwortet das deine Frage, von wegen Glücksgefühlhormone?”
“Teilweise, ja. Danke. Da sind ja auch noch Präparate und so aber ...” Sie gibt Sonja ein Daumenhoch und wendet sich zum Kopierer, murmelnd: “Und was ich noch fragen wollte, Sonja ... was für ein Typ Mann turnt dich eigentlich konkret an ... falls ich ein Callboy-Unternehmen aufmachen sollte!?”
Gloria lümmelt auf ihrem Sofa und schaut fern; Sie zappt durch die Kanäle – und findet ein Programm, in dem es um Feminismus geht. Eine Diskussion ist im Gange. Eine streng wirkende, attraktive Frau, Adriane (43) spricht leidenschaftlich: “... in einer Gesellschaft, wo Männer seit jeher die Moral diktieren - wohl gemerkt, nach ihren jeweiligen Glaubensmustern und Machtvorhaben! - ist es ja wohl heute noch ausgeschlossen, dass Frauen sexuell Rechte zugestanden werden, die Männer schon immer für sich beansprucht haben ...”
Gloria greift hastig zum Telefon, wählt eine Nummer, während sie weiter fernschaut.
Die Feministin fährt fort: “... was nicht nur ein Grenzfall der Diskriminierung ist, wie Frau Doktor Bertram es hier vorhin angesprochen hatte, sondern es ist in der Tat schlichtweg das: geschlechterdefinierte Diskriminierung.”
Gloria spricht aufgeregt ins Telefon: “Bernie? Da ist was Interessantes im Fernsehen ... schau mal auf Melody TV, beeil’ dich! Zapp hin, jetzt! Das ist ein Befehl!”
“Natürlich würden Männer niemals selber eingestehen, dass sie Angst haben, unfähig zu sein, Frauen zu befriedigen, wegen ihrer komplexen Sexualität. Doch in Wahrheit sieht es anders aus.”
Gloria fuchtelt, erregt. “Hast du das gehört?” (lauscht) “Ja! Das ist eine Feministin, aber sie spricht nur aus, was Faktum ist! Hör’ ihr mal zu!”
Die TV-Feministin lächelt, nachsichtig: “Die Sexualität der Frauen ist ergreifend simpel. Das Problem, das die Männer damit haben ist, dass die Frauen eigentlich immerwährend sexuell bereit sind. Es sind die Männer, die körperlich-hormonellen Schwankungen unterworfen sind, was ihre sexuelle Leistungsfähigkeit betrifft. Frauen können immer - wenn sie wollen. Männer nicht.”
Gloria lauscht lauscht mit offenem Mund und steht dann auf, die Stirn runzelnd, ins Telefon schnaubend. “Was meinst du damit, Bernie?” (lauscht) “Wie kannst du das sagen? Sie ist eine Expertin!”
Im Fernsehen schaut die Feministin die Moderatorin entspannt an und greift nach ihrem Wasserglas. “Käufliche Männer hätten wahrscheinlich viel mehr Kunden als käufliche Frauen.”
Gloria jubelt und springt auf. “Hast du das gehört, Bernie? Hallo? Bernie?”
Sie schaut ungläubig das Telefon an, denn Bernie hat aufgelegt. Gloria schüttelt den Kopf und schaut wieder zum Fernseher. “Er hat aufgelegt. Das fasse ich ja nicht.”
Sie nimmt die Fernbedienung und dreht den Ton leiser. Die Moderatorin spricht jetzt: “Glauben Sie, dass die Idee der frei zugänglichen sexuellen Befriedigung für Frauen von Männern als eine Art Bedrohung aufgefasst werden würde?”
Die Feministin lächelt. “Danke für die Frage. Ganz genauso ist es.”
Gloria setzt sich wieder hin und murmelt, versonnen. “Was für ein Zufall. Genau dieses Thema, heute, hier ...”
“Frauen, die ihre Sexualität ausleben und sie befriedigen könnten, wie und wann sie wollen, wären in keinem Aspekt mehr von den männlichen Machern der Gesellschaft abhängig. Sie wären gesund und frei. Und stark.”
Gloria nickt der TV-Frau zu. Die Moderatorin lächelt höflich. “In einer männerdominierten Gesellschaft wäre derlei vermutlich gar nicht zu verwirklichen.”
Die Feministin seufzt und macht eine bedauernde Geste: “Es gäbe kein Verständnis dafür und keine Ambition, einen solchen Zustand der weibliche Freiheit überhaupt herbeizuführen. Auch von Seiten der Frauen nicht. Jahrhundertelange Gehirnwäsche kann nicht über Nacht überwunden werden.”
“Also haben wir es hier mit einem geradezu utopischen Thema zu tun?” Die Moderatorin lächelt weiter verbindlich, aber die Feministin kontert völlig ernst. “Ich hoffe nicht mehr lange. Frauen mit ausreichend gutem Sex wären so gesund, agil und leistungsfähig, dass die Männer geradezu gebrechlich und wohl auch dumm dastehen würden. Und vor allem rückblickend. in die Geschichte, wo soviel durch männerdominierte Machtausübung ruiniert wurde, im Sozialen, im Weltpolitischen. Im Familiären, Zwischenmenschlichen!”
Gloria ballt die Faust und ruft aus: “So ist es!”
Die Moderatorin versucht, zu entschärfen. “Die meisten Leute würden allerdings sagen, dass die Männer ja alles lenkend im Griff haben ...”
Die Feministin schnaubt, bitter sarkastisch. “Ja, im Griff! Um alles wohin genau zu lenken? In welchen neuen Abgrund? Wir haben so viele kranke Gesellschaften, basierend auf Doktrinen, die von Männern geschaffen wurden.”
Die Moderatorin sucht in ihrem Skript nach einem Faden, nickt und zuckt die Schultern, und die Feministin beobachtet sie nachsichtig. “Es ist schwer, auf so etwas zu antworten, ich weiß. Meist geht es ja um Religionen und philosophische Weisheiten.”
Gloria flüstert grimmig. “Von Männern.”
“... von Männern, weil die Frauen ganz einfach nichts zu sagen hatten. Und immer noch erschreckend wenig zu sagen haben.”
Die Moderatorin wirft mutig ein: “Sie könnten aber, heutzutage, nicht wahr?”
Die Feministin runzelt die Stirn und betrachtet die Moderatorin, leicht frustriert: “In einigen wenigen Ländern, ja. Und selbst dort ist momentan der Einfluss unaufgeklärter, ja, mittelalterlicher patriarchalischer Ideologien, die auf Gewalt und Unterdrückung beruhen, wachsend. Also, die Antwort ist, nein. Nicht wirklich.”
Gloria ballt die Faust.