„Sehen Sie eigentlich noch andere Gäste hier oder sind wir die einzigen?“, wandte sie sich wieder den drei Herren zu, die ihr in den Grand Salon gefolgt waren.
An ihrem Tisch angekommen, sah sie, dass sowohl Albert Rehlein, Norbert Neurer und Peter Bloch sowie Renate und Arnim Hermann, Axel Lehmann und Ansgar Hoch an ihrem Tisch Platz fanden.
Den weiteren großen runden Tisch belegten Annette Fischer und Josef Haas, Claudine Meister und Karl Feistel sowie Sonja Netter, Dominik John, Andreas Lichte sowie Klara Breuer.
Zunächst wurde die Suppe serviert. Es war eine badische Schneckensuppe, die früher auf jeder Speisekarte eines guten Hotels stand. Dazu wurde ein Weißer Burgunder aus dem Kaiserstuhl gereicht. Der etwas lieblich anmutende Weiße Burgunder, gereift in dieser sonnigen Landschaft, passte hervorragend zur sahnig-herben, mit Kräutern gewürzten Schneckensuppe.
Das Hauptgericht bestand aus einem schwäbischen Rostbraten mit selbstgemachten Spätzle und Bubenspitzle und dazu gab es ein sehr reichhaltiges Salatbuffet, an dem sich die Gäste selbst bedienen konnten. Zum Hauptgericht konnten die Gäste zwischen einem Spätburgunder Rotwein und einem Grauen Burgunder auswählen.
Vanessa und Vincent bedienten die Gäste hervorragend. Und so langsam war auch bei Ulla Sommer dieser schwarz-grüne Vorhang, der nach Nirgendwo oder in die Hölle führte und bei ihr Ängste hervorgerufen hatte, vergessen und sie widmete sich ihrem Essen.
Zum Nachtisch gab es Vanilleeis und heiße Himbeeren, auch so ein Klassiker aus den Achtziger und Neunziger Jahren.
Ulla Sommer fing eine lebhafte Unterhaltung mit den Gästen an ihrem Tisch an, an der sich Renate und Arnim Hermann aber nicht beteiligten. Immer wieder schaute Arnim Hermann zu Ulla Sommer herüber, doch sie erwiderte seinen Blick nicht, denn dieser Arnim mit seinen krausen Haaren erinnerte sie an jemanden, an den sie sich aber nicht erinnern wollte.
„Manches vergisst man auch oder man will nicht mehr daran erinnert werden“, murmelte sie leise und dachte dabei an den Mordfall, wobei sie von den weiteren Herren am Tisch eifrig beobachtet wurde.
„Dieser 23. August, der geht mir eigentlich nicht mehr aus dem Kopf“, sagte sie zu Peter Bloch, der nickte, denn auch er konnte keine Erinnerung mit einem 23. August verbinden, wie er betonte.
Auch am Nebentisch widmete man sich ziemlich schweigsam dem Menü. Plötzlich stand Karl Feistel am Nebentisch auf und Claudine Meister schaute ihm nur nachdenklich hinterher.
Irgendwie kennen sich Claudine Meister und Karl Feistel, überlegte sie, sagte aber nichts zu den weiteren Personen an Tisch Eins, die eifrig auch noch ihren Nachtisch löffelten.
Zum Schluss gab es noch Kaffee und einen englischen Plumpudding-Kuchen, der jedoch etwas fest geraten war.
„Wenn wir jeden Tag so ein umfangreiches und sehr exzellentes Menü bekommen, dann muss ich meine Hosen erweitern lassen“, raunte gut gelaunt Albert Rehlein in die Runde.
„Woher kommen denn Sie, Herr Rehlein? Ich konnte bei Ihnen noch keinen typischen Dialekt heraushören“, sprach Ulla Sommer nun zu Rehlein, den sie eigentlich noch am sympathischsten fand.
„Ich wohne eigentlich in Freiburg, war aber auch öfters in Mannheim bei meiner Mutter.“
„Lebt Ihre Mutter noch?“, fragte sie gleich weiter. Doch dies verneinte Albert Rehlein heftig, wobei er ziemlich traurig in die Runde blickte.
Auch Ulla Sommer erzählte von ihrem Mann, der eigentlich auch mitreisen wollte, aber dann doch wieder zurücktrat, weil er keinen Betreuer für den Hund gefunden hatte.
Wortkarg blieben bei den Gesprächen Renate und Arnim Hermann. Ulla Sommer blickte immer wieder zu diesem seltsamen Paar hin, wobei die Frau ja einen sehr netten Eindruck auf sie machte. Ihr Mann hingegen schaute immer wieder verschämt auf den Boden, wenn sie ihr Augenmerk auf ihn richtete. Weshalb kann er mir nicht in die Augen schauen, was hat er denn zu verbergen?, dachte sie. Seltsame Leute!, überlegte sie weiter, ließ sich aber nichts anmerken und war weiterhin auch freundlich zu ihren Tischnachbarn.
Als alle gerade so gemütlich zusammensaßen, Kaffee und einen Grappa tranken, hörten sie wie jemand lauthals aufschrie. Vielleicht hatten die Leute dieser Gruppe den Schrei in diesem so stillen und lautlosen Hotel zuerst gar nicht wahrgenommen, weil er ganz und gar nicht zu diesem Hotel passte. Aber dann wurde er doch registriert. Ulla Sommer war die erste, die sich zu Wort meldete.
„Was war denn das?“, entfuhr es ihr, die sehr schnell auf diesen Schrei reagierte, der in diesem Hotel hallte, als sei eine Meute wilder Tiere hier in diese Stille eingebrochen.
„Ich glaube, ich habe einen Schrei gehört“, rief sie ängstlich und fragend zu Rehlein und Bloch, die sie nur verwundert anschauten, weil sie sonst eine toughe Figur machte.
„Ich habe nichts vernommen!“, verriet schon mal Bloch und auch Rehlein verneinte, dass er einen Schrei wahrgenommen hatte.
„Sind Sie taub, meine Herren!“, rief sie schon sehr erregt und ungehalten aus, dass auch die Personen an Tisch Zwei aufschauten und zu ihr blickten.
Kurze Zeit später trat dann auch schon der Hoteldirektor in den Saal und hatte eine Klingel dabei.
„Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass gerade ein Unfall geschehen ist“, entgegnete Monsieur Laurent mit ächzender Stimme und rückte seine goldumrandete Brille zurecht.
„Was, habe ich es richtig vernommen? Sie wollen uns einen Unfall melden, oder war es vielleicht ein Mord bei diesem Schrei?“, schrie dann Ulla Sommer wieder etwas unbeherrscht in den Raum.
„Ja, Madame Sommer, da haben Sie recht, es war kein Unfall, sondern ein Mord, ich wollte sie allerdings nicht gleich mit einem Mord behelligen und beunruhigen, wo sie gerade noch am Nachtisch sitzen!“, antwortete Laurent mit klagender Stimme.
„Wer ist denn ermordet worden?“, wollte sie daraufhin gleich wissen.
„Es muss sich um Axel Lehmann handeln, so zumindest nehme ich es an, denn er trug dieses Namensschild bei sich!“, sprach er und zeigte vorsichtig auf das Schild in seinen Händen.
Ulla Sommer und auch die anderen Gäste hatten gar nicht bemerkt, dass sich Lehmann von Tisch Eins entfernt hatte. Sie waren ja auch mit ihrem Essen beschäftigt.
Den Gästen an den beiden Tischen sah man den Schreck richtig an. Einer sprang zuerst auf und rannte aus dem Saal. Sie konnte gar nicht gleich erkennen, wer zur Tür hinausgerannt war, so aufgeregt war sie.
„Wenn es sich bei dem Toten um Axel Lehmann handelt, dann gehört der Mann ja zu den Gästen an unserem Tisch?“, murmelte sie entsetzt zu Rehlein und Bloch.
Die Gäste von Tisch Eins blickten sich nur entsetzt an und die Gäste vom zweiten Tisch schauten starr in Richtung Ulla Sommer, die unruhig von ihrem Stuhl aufgestanden war und herumhüpfte wie eine Ziege, die eingefangen werden sollte. Keiner sprach ein Wort, alle saßen wie erstarrt an ihrem Tisch und vor ihren Kaffeetassen. Auch ein letzter Schluck Grappa wurde noch schnell genommen.
Es war gespenstig ruhig in diesem Raum. Keiner sprach ein Wort, alle blickten nur zu dieser aufgeregten Ulla Sommer, die sich gar nicht mehr beruhigen wollte.
„Ich bleibe nicht länger, keine Sekunde länger, in diesem Haus!“, rief sie dann ungestüm aus.
„Beruhigen Sie sich, Frau Sommer!“, rief da plötzlich Annette Fischer, die bisher eigentlich nicht viel gesprochen hatte. Doch diese Worte konnte sie sich anscheinend nicht verkneifen.
„Beruhigen Sie sich, Frau Sommer!“, wiederholte sie noch einmal ihre Worte und setzte weiter fort: „Der Hoteldirektor wird sich um alles kümmern, oder nicht?“, sprach sie etwas fragend in die Runde, dabei schaute sie den Hoteldirektor an, gerade so, als würde er ihre Worte gleich bestätigen. Doch dieser reagierte gar nicht und schaute unsicher in den Raum.
„Wieso weiß sie, dass sich der