Neben ihr stand ein Mann, der auch an seinem Namensschild herumnestelte und es sich am Revers seiner Jacke anheften wollte. Sie erkannte ihn wieder. Es war Peter Bloch. Seinen Namen hatte sie schon im Gästebuch an der Rezeption entdeckt.
Dann beugte sich dieser Mann zu ihr hinunter, und in seinem rheinischen Dialekt machte er sich auch kurz mit ihr bekannt.
„Wir sind ja eine richtig zusammengewürfelte Gruppe“, erzählte sie diesem Peter Bloch, der, wie sie irritiert bemerkte, zusammenzuckte, als sie ihn angesprochen hatte. Ob das mit meinem badischen Akzent zusammenhängt, registrierte sie nur kurz?
„Als Produkttester war ich noch nie unterwegs“, lachte sie spöttisch. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete er sie etwas keck, wie sie fand, nickte dann nur mit seinem Kopf und warf dann noch einen Blick auf die anderen Ankömmlinge. Besonders Claudine Meister hatte es ihm noch angetan.
„Bei mir rief eine sehr höfliche junge Dame an und wollte wissen, ob ich nicht Lust auf eine Reise in die Schweiz hätte. Die Kosten würden alle von einer Schweizer Firma übernommen. Dass da ein Millionär dahinter steckt, wusste ich nicht. Hatten Sie eine Ahnung davon?“, wandte sie sich lebhaft an Peter Bloch. Dieser schaute mehrfach um sich und entgegnete dann nur, dass auch bei ihm eine junge Dame angerufen und ihn zu diesem seltsamen Treffen in die Schweiz eingeladen hatte.
„Sie sprach allerdings von einer Erinnerungsreise in die Schweiz, wobei ich schon mehrfach in der Schweiz war, aber immer mit meiner Mutter Dora, die allerdings schon vor ein paar Jahren verstorben ist“, hörte sie Peter Bloch sprechen, den sie auf ca. 65 Jahre schätzte.
Doch dann verabschiedete sie sich von ihm und ging zum Fahrstuhl. Dort standen auch schon weitere Gäste aus der OIL-Gruppe zusammen.
Lust auf ein Schwätzchen mit den Leuten, die sie nur argwöhnisch musterten, hatte sie nicht. Sie musste ja auch noch zuhause anrufen und ihrem Mann von dieser merkwürdigen Reise in die Schweiz berichten, die sie jetzt schon ein bisschen bereute, denn mit diesem mysteriösen Verhalten dieser OIL-Gruppe ihr gegenüber konnte sie gar nichts anfangen. Doch sie erinnerte sich genau an die Worte der freundlichen Dame, die bei ihr angerufen hatte. Aber von einer Reise in die Vergangenheit hatte sie ihr nichts erzählt. Es sollte eine Erinnerungsreise werden, so stand es auch auf der Einladung, dachte Ulla Sommer nur kurz. Der rheinische Dialekt von Peter Bloch ging ihr auch nicht mehr aus dem Sinn und dieser merkwürdige Unterton, als er diese Erinnerungsfahrt anführte, konnte sie schon gar nicht einordnen.
Kapitel 2
Zum Abendessen wählte Ulla Sommer eine dezente Robe. Sie wusste ja nicht wie die anderen erscheinen würden. Über ihren Anblick war sie sehr erfreut, denn sie fand, dass sie bezaubernd aussah in ihrer schilfgrünen Satinhose und der dazu passenden Jacke. Darunter trug sie eine spitzenbesetzte beige Bluse. Ihre kurzen dunklen Haare, die natürlich immer wieder kunstvoll gefärbt wurden, kämmte sie burschikos nach hinten, und hielt sie mit einer silbernen Spange und einer roten Lotusblüte zusammen. Dazu trug sie silberne Pumps.
Leise zog sie die Tür der Suite ins Schloss, denn es lag eine unheimliche Stille über diesem Hotel, die ihr eine gewisse Angst einjagte. Auch diese gruseligen Bilder, die im Flur vor ihrer Suite hingen, waren ihr suspekt. Wie kann man auch solche Bilder mit Schafsköpfen oder Wildsauen aufhängen, dachte sie. An den Köpfen lief noch das Blut herunter. Und obwohl es nur rote Farbe war, die der Künstler hier angelegt hatte, spürte sie direkt auch die Angst in den Blicken der fotografierten Tiere. Irgendwie kam es ihr vor, als ob sich das Hotel in einem dunkeln, mysteriösen Wald befand. Von welchem Prinzen könnte es wachgeküsst werden, überlegte sie. Allerdings wenn sie so die Männer dieser OIL-Gruppe ansah, käme da keiner für sie als Prinz in Betracht.
„Und wer könnte die wachgeküsste Prinzessin sein?“, grübelte sie, schüttelte aber gleich wieder diese Gedanken ab, die sie nur in ihrem Denken hemmten. Auf der einen Seite war das behäbige, große Schweizer Hotel mit nur sehr wenigen Gästen. Auf der anderen Seite war eine gewisse Oberflächlichkeit bei den Gästen zu entdecken. Auch dieser Luigi an der Rezeption und dieser komische Hoteldirektor waren ihr nicht geheuer. Alles war sehr geheimnisvoll und diese merkwürdige Erinnerungsreise entwickelte sich bei ihr zu einem Schreckgespenst, das sie nicht so einfach abschütteln könnte. Sie spürte, wie ihre Angst ihren Rücken hoch kroch, zumal sich auch noch zu den fragwürdigen Gästen ein mysteriöser Millionär gesellte, der sie womöglich mit seinen Franken kaufen wollte.
Unten angekommen, blickte sie wieder in die gleichen Gesichter wie am Nachmittag und dies ließ ihren Magen rebellieren. Auf ihr Bauchgefühl konnte sie sich immer verlassen. Aber nun war sie einmal hier und musste sich diesen Leuten anpassen, ob sie wollte oder nicht. Sie sah nicht nur freudig erregte Gesichter, sondern auch festlich gekleidete Personen. Man könnte fast meinen, dass es sich bei dieser OIL-Gruppe um eine angesehene, illustre Gesellschaft handelte, die sich ein paar Tage in Graubünden eingefunden hatte und ihren Spaß haben wollte.
Die nette Servicekraft vom Nachmittag hatte sich ebenfalls abendlich gekleidet und eine kecke Haube saß auf ihrem kurzen Haar. Auch sie trug nun ein Namensschild, auf dem Vanessa stand. Als der freundliche Page vom Nachmittag mit einem silbernen Tablett nun zur Tür hereinkam, bemerkte Ulla Sommer, dass auch er nun ein Namensschild trug und auf diesem Vincent vermerkt war. „Also haben wir es mit Vanessa und Vincent zu tun!“, murmelte sie leise vor sich hin. Es war ihr unangenehm, dass sie immer wieder in ihre Selbstgespräche verfiel. Aber es war ja niemand da mit dem sie sich unterhalten konnte. Vanessa und Vincent verteilten nun gefüllte Sektgläser sowie kleine Häppchen, die an spanische Tapas erinnerten. Ulla Sommer nahm nur ein Häppchen und ein Glas perlenden Sekt in ihre Hand und spazierte mit leichten Schritten an den Gästen vorbei.
Pünktlich auf die Minute, trat wieder Monsieur Philippe Laurent, der Hoteldirektor, in Erscheinung.
„Ich werde Sie nun mit Ihrem Sponsor, dem amerikanischen Millionär, bekanntmachen“, hörte sie plötzlich den Hoteldirektor sagen.
„Ist der womöglich hier?“, blickte sie fragend in die Runde.
Doch keiner äußerte sich. Alle sahen nur den Hoteldirektor an oder blickten herausfordernd um sich und manche senkten auch ihre Blicke. Weshalb hier alle so still und geheimnisvoll reagierten, warf bei ihr viele Fragen auf, dazu waren ihr auch noch die Gäste ein Rätsel.
„Hier ist er nicht, nein, er wird zu Ihnen per Videobotschaft sprechen. Kommen Sie bitte mit mir in die Bibliothek! Hier erfahren Sie mehr!“ Die Stimme dieses Hoteldirektors kannte sie nun schon in allen Facetten und doch hörte sie ein Geheimnis heraus.
Wie im Gänsemarsch marschierten die Gäste hintereinander in die Bibliothek, in einen dunkelgetäfelten Saal, wo nur wenig Licht herrschte. Es lag etwas Romantisches aber auch Bizarres in diesem dunklen Raum. Ulla Sommer dachte sofort auch an ein englisches Spukschloss. „Gleich kündigt sich noch ein Geist an“, frotzelte sie. Die anderen Gäste hatten sie jedoch nicht gehört, was ihr auch recht war. Sie wollte nicht als meckernder und aufrührerischer Gast gelten.
„Sicherlich ist das Hotel Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut worden, als die Engländer mit ihren Reisen die Schweiz eroberten und es fortan zu ihrem Lieblingsland gehörte“, murmelte Albert Rehlein kurz zu ihr hinüber.
Sie blickte ihn mit ihren grünen Augen schräg von der Seite her an. Dass dieser Rehlein auch England im Blick hatte, fand sie schon einmal angenehm. So weit voneinander lagen also ihre Geschmäcker gar nicht, überlegte sie. Ihr war dieser Albert Rehlein schon gleich aufgefallen mit seiner großen Gestalt. Er will so vornehm scheinen, dachte sie noch. Aber es wollte ihr partout nicht einfallen, wo sie diesen Mann schon einmal