„Dann schaff ich ihn aus dem Weg. Wer vermisst den schon…“
„Wird das ein Geständnis, Liz? Da tun sich ja Abgründe auf!“ Andi feixte. „Aber ich fürchte, wir müssen realistisch bleiben. Also, was steht im Adressbuch?“
Liz setzte sich umständlich zurecht und musterte ihr Auditorium, ob auch alle ordentlich zuhörten.
„Fang schon an!“
„Die haben es schon gecheckt, waren eh keine Fingerabdrücke drauf und auch sonst nichts. Also, es gibt nur vier Adressen…“
„Liz!!“ Andi klang ernsthaft sauer.
„Schon gut. Es gibt eine Claudia, aber ohne Nachnamen. Allerdings mit Telefonnummer. Möchtest du da mal anrufen, Andi?“
„Darauf kannst du aber wetten!“ Er nahm den Hörer ab und Liz diktierte brav.
Dann wartete er und hob schließlich triumphierend die Augenbrauen. „Mein Name ist Andreas Reuchlin von der Kriminalpolizei Leisenberg. Mit wem spreche ich, bitte?“
„Aha. Mit c oder z? Danke. In Ihrer Familie gibt es eine Claudia?“
„Ihre Mutter, soso… ist sie im Haus?“
„Dann schauen wir gegen zwei bei Ihnen vorbei… sagen Sie mir noch die Adresse?“
Er notierte murmelnd etwas und bedankte sich dann. Sobald er aufgelegt hatte, sah er sich triumphierend um: „Jetzt ratet!“
„Das war der Totengräber“, vermutete Ben sofort.
„Und diese Claudia ist seine Mutter. Ben, du Vollpfosten! Ich sage, sie ist die Schickimickifrau.“
Maggie hielt dagegen: „Grundschullehrerin. Das hätte sie in ein paar Jahren nach Perflers Verschwinden leicht hinkriegen können. Wetten?“
„Liz hat gewonnen. Kampenwandstraße vier, in – Waldstetten.“
„Wie hat die das geschafft? Scheidung im Ausland?“
„Müsste man hier eigentlich auch zu den Akten geben… hat sie vielleicht vergessen. Wir fragen sie einfach. Um zwei sollen wir dort sein. Wer will mit?“ Liz gewann, vielleicht weil sie richtig getippt hatte.
„Und mit wem hast du gesprochen?“, versuchte Ben sich wieder aus der Vollpfostenecke hervorzuarbeiten.
„Mit einer Tochter namens Patricia.“
„JetSet-Name“, murrte Ben.
„Vorsicht! Die Älteste von Thomas Waldmann heißt genauso – aber mit z. Also hüte deine Zunge…“
„Mit z ist der Name auch nicht mehr so affig“, sekundierte Maggie.
„Leute!“, tadelte Andi mit langer Routine, „Haben wir nichts Wichtigeres zu tun?“
Alle verzogen sich an ihre Schreibtische und versuchten, die bisherigen eher dünnen Fakten in wunderbar aussagekräftige Kästchen an der Tafel zu verwandeln. Die Ergebnisse waren allerdings nicht allzu überzeugend und sich dafür recht ähnlich.
Andi spottete über den fruchtlosen Eifer. „Vielleicht brauchen wir doch noch das eine oder andere Faktum? Ich fahre jetzt mit Liz nach Waldstetten – und ihr hört euch bei Perflers Nachbarn um. Die wissen doch garantiert was!“
„Waren wahrscheinlich alle bei der Arbeit“, brummte Ben, der anscheinend noch nicht lange genug in Leisenberg arbeitete, jedenfalls kannte er die örtlichen Slums wohl noch nicht.
Liz grinste im Hinausgehen über die Schulter. „Am Kreuz West? Die haben Zeit. Die reinste Hartz-4-Community. Und die schauen aus dem Fenster, wenn auf RTL 2 noch nichts kommt, was doof genug wäre.“
„Welche differenzierte Aussage“, lobte Andi. „Ab jetzt!“
3
Ihnen öffnete in Waldstetten eine sehr junge Frau, die nach einem verdutzten Moment ein breites Lächeln aufsetzte. „Sie sind bestimmt die B-Polizei?“
„Gut erkannt“, lobte Andi. „Und Sie sind Patricia Martens?“
„Pat genügt. Das bringt Mama immer sehr nett auf die Palme. Sie ist übrigens da, aber ich habe sie nicht vorgewarnt. Durch die Tür ins Kaminzimmer und dann links die zwei Stufen runter. Wenn Sie mich brauchen sollten, einfach rechts in den Gang rufen.“
Sie hüpfte davon, offenbar sehr erfreut bei dem Gedanken an den Schrecken, den der Besuch der Polizei ihrer Mutter gleich einjagen würde.
„Ein echtes Herzchen“, murmelte Liz.
„Aber erfrischend“, kommentierte Andi, der sich an die Familie seiner Freundin Katja erinnert fühlte.
Sie folgten der Anweisung und betrachteten sich beeindruckt das gewaltige Wohnzimmer, in dem eine sehr gepflegte Dame auf einem der ausladenden Sofas saß und in einer Zeitschrift blätterte, ohne die Besucher zu bemerken. Vielleicht tat sie auch nur so?
Andi räusperte sich und die Dame hob den Kopf, dann erhob sie sich langsam. Liz erhaschte noch einen Blick auf die Zeitschrift: Ambiente. Aha, gehobener Wohnstil? Wir sind jetzt wohl etwas Besseres?
„W-wer sind Sie? Ich rufe die Polizei!“
Andi zückte seinen Ausweis und Liz tat es ihm gleich: „Nicht mehr nötig – Kripo Leisenberg. Ihre Tochter hat uns hereingelassen.“
„Patricia? Also, was fällt ihr bloß immer ein…“
„Hätte sie uns die Tür vor der Nase zuknallen sollen? Das hat die Staatsmacht nicht gar so gerne, Frau Martens.“
Sie schien zu resignieren, setzte sich wieder und wies mit müder Geste auf das Sofa gegenüber. Liz zog ihr Tablet heraus, sobald sie saß, und rief ein neues Dokument auf. Dann musterte sie Claudia Martens aufmerksam. Ein makellos gepflegtes Gesicht, diskret geschminkt, ein Kaschmir-Twinset in zartem Rosa, dazu ein schmaler dunkelgrauer Rock, feinste Strümpfe und halbhohe dunkelgraue Pumps. Liz überlegte, dass sie beim Lesen auf ihrem Sofa garantiert keine Schuhe anhätte. Schon gar nicht solche! Übertriebene Damenhaftigkeit oder bewusste Inszenierung? Sie schrieb sich das etwas verklausuliert auf.
Andreas setzte ein mitfühlendes Gesicht auf. „Frau Martens, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass wir Oliver Perfler tot aufgefunden haben.“
Frau Martens runzelte kurz die Stirn, entfaltete sie aber schnell wieder. Angst vor Falten? Botox?, überlegte Liz boshafterweise sofort. „Oliver Perfler?“
„Ihr Ex-Mann“, half Andi nach.
„Danke, ich weiß, wer Oliver Perfler ist – war. Das ist nur alles schon so weit weg… zwanzig Jahre, wenn ich mich recht erinnere. Ja, Patricia ist ja auch schon achtzehn – und Leander sechzehn… zwanzig Jahre dürfte stimmen.“
Liz nahm ihr auch das mütterliche Lächeln nicht so recht ab, jedenfalls nicht, wenn sie an die recht rotzige Patricia, „Pat“, dachte.
„Wann haben Sie denn Herrn Perfler zum letzten Mal gesehen?“
„Oh! Lassen Sie mich nachdenken… das muss auch gut zwanzig Jahre her sein, fast noch länger. Er sagte damals, er habe einen Job in Hamburg in Aussicht und er werde mich anrufen, wenn ich nachkommen könnte. Aber dieser Anruf kam nie… ich dachte, er hätte vielleicht jemand anderen gefunden. Glücklicherweise hatte ich ja meinen Beruf, so dass ich nicht auf seinen Verdienst angewiesen war. Ja, und ein halbes Jahr später kam Michael in die Firma, bei der ich arbeitete, und wir haben uns auf der Stelle ineinander verliebt.“ Schwaches Lächeln.
Sonntagsfilm im Zweiten… Liz unterdrückte mit Mühe ein hämisches Schnauben.
„Sie waren mit Herrn Perfler nur liiert?“
„J-ja, das stimmt. Ich dachte, es sei etwas Ernsteres, aber Olli dachte das ganz offensichtlich nicht…“
„Eigenartig“,