Claudia Martens warf Andi einen tadelnden Blick zu und wurde mit einem entsprechend frommen Blick bedacht. „Das halte ich zwar für sehr unwahrscheinlich, aber natürlich kann es immer einmal Pannen geben… Sie haben doch Ihre Scheidungsurkunde? Meine Kollegin, Kommissarin Zimmerl, würde sich dann einfach das Datum Ihrer Scheidung notieren und unsere Informationen entsprechend updaten.“
„Ap – was?“
„Auf den neuesten Stand bringen“, erläuterte Liz nachsichtig. Hatte diese Society-Zicke nicht mal ein Smartphone?
Die spätpubertäre Tochter kam herein und fiel, natürlich mit einem Smartphone in der Hand, auf das dritte Sofa.
„Patricia, bitte! Würdest du uns wohl alleine lassen?“
„Warum? Ist etwas Peinliches über deine Vergangenheit herausgekommen? Sowas ist doch spannend!“
Sie warf einen schlauen Blick in die Runde und scrollte dann weiter durch ihre Nachrichten.
„Frau Martens, es ist leider nicht üblich, Gruppenbefragungen vorzunehmen.“
„Poirot macht das schon. Kennen Sie diese Serie?“
„Klar“, sagte Liz, „aber wie bei allen Fernsehkrimis gilt: In echt ist alles ziemlich anders. Wir werden Sie nachher auch noch befragen, Sie haben uns ja den Weg schon beschrieben.“
Pat rappelte sich gehorsam auf und verschwand.
Andi sah Frau Martens nachdenklich an. „Ihre Familie ist über Ihre erste Ehe informiert? Wenn nicht, sollten Sie das umgehend nachholen, bevor wir das übernehmen.“
„Also bitte, das hat doch mit meiner Familie gar nichts zu tun! Das müssen Sie hier doch nicht herumposaunen!“
„Ob Ihre Ehe mit Oliver Perfler nichts mit Ihrer jetzigen Familie zu tun hat, wissen wir doch noch gar nicht. Immerhin ist Herr Perfler tot aufgefunden worden.“
„Ach ja, der Arme…“
Ohne eine Miene zu verziehen! Das mit dem Trauervortäuschen sollte die Alte aber noch üben…
„Können wir dann jetzt ihre Scheidungsurkunde bitte einmal sehen?“ Andi klang mittlerweile ausgesprochen amtlich.
„Ich fürchte, da müsste ich erst einmal suchen… ich überlege gerade…“ Sie sah angestrengt an die Decke, als sei dort ein Hinweis auf diese Urkunde zu finden.
„Ich weiß gar nicht, ob ich dieses Dokument überhaupt noch habe… als ich Michael geheiratet habe und hierher gezogen bin, habe ich recht gnadenlos aussortiert.“ Sie lächelte mädchenhafter, als es ihren Jahren zukam. „Gewissermaßen habe ich das wohl als Neuanfang gesehen. Es ist durchaus möglich, dass ich dabei auch diese Urkunde… ins Altpapier, Sie verstehen?“
„Leichtsinnig“, urteilte Andi streng. „Sie können also nicht nachweisen, dass Sie von Oliver Perfler überhaupt jemals geschieden wurden? Bedenklich!“
„Warum? Oliver müsste doch seine Urkunde noch haben, oder?“
„Ich wüsste nicht, dass in seiner Wohnung etwas dergleichen gefunden worden wäre.“
„Oh!“ Sie dachte eine Zeitlang nach, von Andi und Liz mit wachsender Ungeduld beobachtet, und strahlte plötzlich auf. „Aber bei Gericht müsste doch eine Kopie liegen? Bewahren die nicht Akten – oder wie man das nennt – von allen Verhandlungen auf?“
„Natürlich tun sie das. Wo hat denn die Verhandlung stattgefunden?“
„Das weiß ich doch nicht! Schließlich hat Oliver das alles erledigt. In Hamburg vermutlich.“
„Wollen Sie uns auf den Arm nehmen?“, erkundigte sich Andi, nicht nur leicht verärgert. „Haben Sie sich denn um gar nichts gekümmert? Und sind Sie überhaupt sicher, dass Sie rechtskräftig geschieden wurden? Hatten Sie denn keinen Anwalt?“
„Wozu denn? Finanziell gab es gar nichts zu regeln, jeder hatte gerade mal sein Gehalt, da musste man doch nicht auch noch Anwälte finanzieren! Oliver hat das alles erledigt und mir diese Urkunde geschickt – aber so etwas muss man doch wohl nicht jahrzehntelang aufbewahren?“
„Eigentlich schon“, merkte Liz sanft an. „Genau genommen könnte es gut sein, dass Sie überhaupt nie geschieden worden sind.“
„Was? Also, das ist doch -! Es ist doch wohl Ihre Aufgabe, das herauszufinden!“
„Möchten Sie eigentlich nicht wissen, woran Ihr Mann – oder Exmann – gestorben ist?“
„Exmann natürlich! Ein Unfall? Für eine Krankheit war er doch wohl noch zu jung, noch keine fünfzig Jahre alt…“
„Er hatte eine Kugel in der Brust, die sein Herz getroffen hat“, erklärte Andi ohne großes Zartgefühl.
„S-selbstmord? Das kann ich mir nicht so recht vorstellen, er war eigentlich immer recht optimistisch und zuversichtlich.“
„Nun, nach dem Gefängnisaufenthalt hatte er dazu wohl nicht mehr allzu viel Grund“, merkte Liz an und tippte hastig ihre Beobachtungen: War das Erstaunen auf dem makellosen Gesicht echt?
„G-gefängnis? Nein… das ist unmöglich! Nicht Oliver, er war immer so brav, er hätte nie etwas Verbotenes getan. Ist er in Hamburg derartig auf die schiefe Bahn geraten?“
„Möglich. Offenbar war er finanziell am Ende.“
„Aber er hat eigentlich immer recht ordentlich verdient“, beteuerte Claudia Martens, „jedenfalls sehr viel mehr als ich im Büro. Sonst hätte er mir doch nicht immerzu so schöne Dinge mitgebracht!“
„Ach ja? Was denn, zum Beispiel?“
„Nun, Kleidung, Blumen, Parfum, manchmal auch Schmuck, einmal sogar eine Nerzstola… damals durfte man so etwas ja noch tragen.“
Blödsinn. Und ein teures Frauenzimmer!
„Oder er hat mich nett zum Essen ausgeführt, ins Médoc oder in die Casa Romantica. Er war immer so reizend zu mir, ich habe damals nicht verstanden, warum er sich aus Hamburg nie mehr gemeldet hat.“
„Sie haben auch nicht nachgefragt?“
„Das tut eine Dame nicht, man drängt sich einem Mann doch nicht auf!“
„Ich bitte Sie – wenn der eigene Ehemann spurlos verschwindet, kümmert man sich doch? Das ist doch nicht das Gleiche, als würde ein jemand nach einem Rendezvous nicht anrufen! Sie sind doch eine souveräne Frau?“
Claudia Martens verzog den Mund ganz leicht unwillig. „Ich bin eine Dame!“
„Und deshalb haken Sie einen so netten Ehemann einfach ab?“ Liz konnte es nicht glauben.
Schulterzucken war die einzige Reaktion – und dann kam noch ein Seufzen.
„Können Sie denn jetzt irgendwie nachweisen, dass Sie von Perfler geschieden sind?“
„Nein, wie denn! Schauen Sie bei Oliver nach.“
„Wie gesagt, da war nichts Einschlägiges zu finden. Vielleicht sind Sie ja Bigamistin…“
„Was fällt Ihnen ein? Das ist ja eine Frechheit!“
„Warum? Zwei Ehen, keine Scheidung, kein fristgerechter Todesfall – da könnte man schon von Bigamie sprechen. Ich kann Ihnen nur raten, Ihrem Mann – ihrem verbliebenen Mann – zügig reinen Wein einzuschenken“, sagte Andi mit ernster Stimme. „Sie kommen dann bitte morgen bei uns vorbei, um das Protokoll zu unterschreiben.“
Er erhob sich und wäre beinahe wieder auf das Sofa zurückgeplumpst, als die Dame nölte: „Morgen kann ich nicht, da habe ich keine Zeit.“
„Dann nehmen Sie sich eben die Zeit. Das war kein unverbindlicher Vorschlag“, fuhr Liz sie an. „Für so etwas bekommt man jederzeit ein paar Stunden Urlaub.“
„Urlaub?