„Nein, das doch nicht! Aber sie hat furchtbar herumgezickt, als die Bu-Polizisten sie in die Mangel genommen haben, sie muss praktisch etwas zu verbergen haben!“
„Was sollte das denn sein? Claudia ist sowas von ehrbar, das ist doch schon langweilig. Diese ehrpusselige Person…“
Pat gackerte. „Ehrpusselig? Das ist aber ein schönes Wort! Voll das vorige Jahrhundert, was?“
„Solange ist das vorige Jahrhundert auch noch gar nicht vorbei“, schulmeisterte Coco.
„Mal was anderes, kannst du dich noch an das letzte Eisessen erinnern?“
„Pat, ich gehe zwar stramm auf die Vierzig zu, aber ich bin noch nicht senil. Klar kann ich mich erinnern, warum?“
„Da haben doch Hel und Jack beide so verkniffen gewirkt, weißt du noch?“
„Als dieser Schnuckelputz vorbei gekommen ist? Stimmt. Hast du das Sahneschnittchen identifiziert?“
„Identifiziert nicht direkt, aber ich hab ihn gesehen. Mit Hel!“
„Aha… ich dachte, der liebe Ralf ist ihr ein und alles?“
„Sie hat zumindest so getan, nicht? Aber warum hat wohl Jack genauso komisch auf den Knaben reagiert? Ob die echt beide was mit dem haben?“
„Kühne Theorie. Pat, hier kommt gleich ein Kunde, leider kann ich nicht länger spekulieren.“
Sie überlegte kurz, nachdem sie aufgelegt hatte, was das alles wohl zu bedeuten hatte, aber dann kam tatsächlich ein Ehepaar, das sich ernsthaft für dieses fürchterliche Penthouse in der Stuttgarter Straße interessierte. Neubau, gute Substanz, entsetzlicher Schnitt…
Sie studierten gemeinsam den Grundriss, der den beiden seltsamerweise zu gefallen schien, dann fuhren sie nach Zolling und Coco führte die beiden ganz besonders fürsorglich durch das Penthouse – sieben Zimmer, Luxusküche, drei Bäder, Privatsauna. Ihm gefielen die Böden und die Smart-Home-Elemente, ihr die Küche (Klischee?) und der Ausblick, was Coco dazu brachte, ihre Gesichtszüge eisern in ein zustimmendes Lächeln zu zwingen: Ausblick auf drei andere Hochhäuser und in der Ferne die MiniCity? Na gut, und ganz hinten das Leiß-Hochufer, natürlich ohne den Blick auf das ganz tief unten dahinplätschernde Wasser. Also lobte sie die Weite, den Himmel und das futuristische Ambiente, was mit eifrigem Nicken belohnt wurde.
„Und was soll die Wohnung kosten?“, fragte der Mann dann, während seine Frau immer noch von der Aufsicht ganz fasziniert schien.
„Eins komma zwei Millionen plus Courtage. Da das Gebäude noch ein Neubau ist, gibt es die üblichen fünf Jahre Gewährleistung; eine Instandhaltungsrücklage existiert natürlich noch nicht, sie wird aus dem Hausgeld angespart.“
Die Frau drehte sich um und erkundigte sich nach den übrigen Bewohnern. Coco gab brav Auskunft über ein Hotel in den ersten drei Etagen – mit eigenem Eingang und eigenem Lift, Wohnungen in verschiedenen Größen in den Etagen vier bis sechs – und eben das Penthouse in Etage sieben. „Sieben soll ja auch eine Glückszahl sein…“
Beide lächelten sie an, dann nickten sie sich zu. „Organisieren Sie einen Notartermin?“
„Aber gerne. In der nächsten Woche? Möchten Sie auch Finanzierungsangebote oder regeln Sie diese Dinge selbst?“
„Das machen wir selbst, vielen Dank. Nächsten Montag wäre schön.“
Coco versprach dies nur zu bereitwillig, denn ihre Provision betrug fast ein Drittel der Courtage, also ein Prozent des Kaufpreises. Zwölftausend Euro, die nahm man doch gerne mit? Wahrscheinlich war das mal wieder undamenhaft…
Himmel, warum drängte sich diese Zicke Claudia dauernd in ihre Gedanken?
Sie verabschiedete die Kunden, schloss die Wohnung wieder ab (sie hätte sie nicht haben wollen, viel zu groß und zu affig) und fuhr ins Büro zurück, wo sie ihrem Chef Bericht erstattete und sich auf die Schulter klopfen ließ, bevor sie sich wieder dem Papierkram auf ihrem Schreibtisch widmete.
5
Claudia hatte sich auf die Terrasse verzogen und zog dort nervös an einer ihrer seltenen Zigaretten, natürlich einer schicken weißen mit Goldrand um den Filter. Wieso war Olli bloß wieder aufgetaucht? Sogar als Leiche war er noch lästig – und was, bitte, sollte sie denn Michael erzählen? Diese beiden Kripo-Beamten hatten nicht so gewirkt, als glaubten sie ihr.
Aber Oliver hatte ihr doch angeboten, die Scheidung in Hamburg durchzuziehen? Daran konnte sie sich ganz genau erinnern. Ja, ganz sicher, Olli hatte sie deshalb doch extra damals angerufen… oder? Doch, sie wusste es noch.
„Was tust du denn hier draußen, Claudia?“
Sie schrak zusammen und drückte die Zigarette fahrig in dem kleinen Aschenbecher aus.
„Wolltest du das nicht lassen?“, fragte ihr Mann im Ton mühsamer Geduld.
„Ich rauche doch nur, wenn ich nervös bin“, verteidigte sie sich. „Warum bist du denn schon da – oh, schon halb eins?“
„Ja. Und ich habe Hunger. Warum bist du denn so nervös, dass du hier draußen stehen und den Kindern ein schlechtes Beispiel geben musst?“
„Die Polizei war vorhin da – nein, nicht wegen der Kinder. Es scheint, mein Ex ist wieder aufgetaucht.“
„Dieser Oliver von damals? Nun gut, aber was hat die Polizei damit zu tun?“
„Er ist tot. Ich glaube, sie haben gesagt, er ist ermordet worden.“
„Du glaubst??“
„Ich war doch so abgelenkt! Sie haben gemeint, ich sei immer noch mit ihm verheiratet, weil sie keine Scheidungspapiere gefunden haben! Ist das nicht eine schreckliche Situation?“
„Warum? Zeig ihnen halt deine Unterlagen, wenn dieser Oliver so unordentlich war.“
„Aber ich habe doch nichts! Oliver hat das alles in die Hand genommen, oben in Hamburg!“
Martens setzte sich schwer auf einen der zierlichen Terrassenstühle. „Du warst gar nicht dabei? Claudia!!“
„Ich wollte doch nicht vor Gericht erscheinen wie eine Verbrecherin! Und schließlich hatte Oliver doch mich verlassen, also war es allein seine Schuld! Dann sollte er auch die Folgen tragen. Und das hat er damals auch eingesehen und gesagt, er kümmert sich um alles.“
„Und das hat er auch getan?“
„Ja, bestimmt. Oliver war sehr zuverlässig. Ich verstehe auch nicht, warum er keine Unterlagen hat.“
„Claudia, das ist naiv! Erstens kann man doch nicht einfach so in Abwesenheit geschieden werden und zweitens hätte dieser Oliver dir ja wohl ein Exemplar der Papiere schicken können, oder?“
„Er wusste doch nicht, wohin! Ich glaube nicht, dass er meine Adresse kannte oder wusste, dass ich jetzt Martens heiße!“
Da konnte er ja nur noch den Kopf schütteln!
„Du hast keinen Kontakt gehalten, obwohl du noch nicht wusstest, ob die Scheidung schon durch war?“
„Natürlich war sie durch! Ich konnte mich auf Oliver immer verlassen!“
„So wie bei seinem Plan, dich nach Hamburg nachzuholen?“
„Das ist schäbig, Michael!“
„Nein, das ist vernünftig. Du hast dich sehr blauäugig verhalten. Sind wir überhaupt rechtmäßig verheiratet?“
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Natürlich! Ich liebe doch nur dich!“
„Claudia, bitte! Das hat doch damit gar nichts zu tun. Warst du nun rechtmäßig geschieden – vor unserer Heirat? Und kannst du das belegen?“
Nun flossen die Tränen stärker.