Andrea streckte Jette lachend die Hand entgegen. „Sah sicher blöd aus, als ich aus dem Schlafzimmer kam. Ich bin wirklich Boschis Tochter! Jette, ich hatte Angst in einem fremden Haus allein zu schlafen. Ich bin zum ersten Mal bei Babba zu Besuch.“
„Jette, jetzt schau nicht so entgeistert! Ich habe mich einfach nicht getraut. Irgendwie war nie der richtige Zeitpunkt dir zu sagen, dass ich eine Tochter aus erster Ehe habe. Ich wollte! Doch dann bekam ich Angst, das du mit einem alten „Knacker“ mit Kind nichts zu tun haben willst. Kommt, gehen wir frühstücken.“ Boschi drückte Jette schnell einen Kuss auf die Wange.
Jette war richtig geschockt. Fast hätte sie Boschi Unrecht getan und mit ihrer Eifersucht ihre Beziehung zerstört. Aber wieso hat er ihr nicht von Andrea erzählt? Dass er verheiratet war, ja, das hat er irgendwann erwähnt. Aber so eine hübsche, erwachsene Tochter? Jette kam in den Sinn, dass sie eigentlich gar nicht so viel über Boschis Vergangenheit wusste. Mit rotem Kopf setzte sie sich an den Frühstückstisch und schnitt mit zitternden Händen eine Semmel auf.
Boschi bemerkte wie aufgewühlt Jette war. Ihm gefiel ihre eifersüchtige Reaktion, die eindeutig zeigte, dass sie ihn wirklich liebte. Er fühlte sich geschmeichelt, beugte sich hinüber zu Jette und gab ihr noch einen Kuss. „Alles gut, mein Schatz!“
Andrea strahlte. „Jette, ich bin vor drei Wochen 18 geworden und habe gerade den Führerschein bestanden! Jetzt kann ich meinen Babba öfter besuchen.“ Andrea drückte Boschi einen Kuss auf die Wange und wartete gespannt auf Jettes Reaktion. „Aber nur, wenn ich euch nicht störe!“
Sofort kam die Eifersucht in Jette hoch. Sie musste sich erst daran gewöhnen, dass da plötzlich eine zweite Frau zwischen ihr und Boschi stand. „Du störst überhaupt nicht, Andrea“, flunkerte Jette und sah auf die Uhr. „Schon nach acht! Boschi, wir kommen zu spät!“
„Ach geh zu! Schade, ich könnte noch stundenlang mit euch beiden hier sitzen und frühstücken.“ Boschi hetzte ins Schlafzimmer, zog eine verwaschene Jeans und einen quietschgelben Pullover über. Danach drückte er seiner Tochter schnell noch einen Kuss auf die Wange und gab ihr einen Haustürschlüssel. „Mach dir einen schönen Tag. Wir reden heute Abend weiter. Auf geht`s Jette!“
„Viel Spaß in der Arbeit!“, rief ihnen Andrea noch frech hinterher.
Kapitel 3
Hans Köberlin konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Schweißgebadet drehte er sich im Bett von einer Seite auf die andere. Immer wieder musste er an den geheimnisvollen Fremden mit dem Goldbarren denken. Dieser alte Mann machte ihm Angst. Er schien sehr entschlossen und gefährlich. Er hatte enorme Kraft für sein Alter und Hans fühlte immer noch diesen stählernen Klammergriff um seinen Hals, der jetzt mit zahlreichen violetten Blutergüssen verziert war. Eigentlich hätte er längst seinen Kunden Sergej Koslow informieren müssen, dem er voreilig vom Goldbarren erzählt hatte. Sergej und dieser alte Mann waren sich sehr ähnlich, kannten keinerlei Skrupel. Beide handelten brutal und rücksichtslos. Koslow, sein bester Kunde, ein Russe sprach gut Deutsch, mit kleinem Akzent und kam mehrmals im Jahr in einem Privatjet nach Deutschland. Zweimal schon, musste er ihn, begleitet von zwei seiner Bodyguards vom Flughafen Oberpfaffenhofen abholen. Dann fuhren sie zusammen in sein Geschäft, wo er die Ware in Empfang nahm. Meist handelte es sich um teure Antiquitäten. Das größte Interesse zeigte er bei Schmuck, Gold in Münzen oder kleinen Barren, die er vor dem Kauf mit einem Säuretest genau prüfte. Er zahlte gut, immer in Dollar und in bar. Rechnungen, Zoll- oder Ausfuhrpapiere verlangte er nie und Hans fragte auch lieber nicht nach, wie er die Sachen nach Hause brachte. Der Russe trat immer sehr energisch auf und handeln war bei ihm verpönt. Einmal hatte er es versucht. Sofort hielt ihm einer der Bodyguards eine Pistole an die Schläfe. Hans Köberlin hatte von ihm nur die Handynummer und wenn er diese Nummer wählte, meldete sich stets der Anrufbeantworter. Stunden, manchmal Tage später, rief der Russe dann zurück und teilte ihm einen Treffpunkt mit. Sonst wusste er nichts über den Mann! Hans hatte Angst! Dieser Deal war eigentlich eine Nummer zu groß für ihn, aber gleichzeitig glänzten die Dollarzeichen in seinen Augen. Altes Hitlergold war auf dem Schwarzmarkt sehr gefragt. Seine Gier war schließlich größer als die Angst und so wählte er mit zittrigen Fingern die Telefonnummer von Sergej Koslow.
*
Jette und Boschi kamen natürlich viel zu spät ins Büro. Kommissar Frank Maisetschläger wartete schon ungeduldig und präsentierte stolz den Mordfall mit Bildern, Texten und Strichen auf einem Flipchart.
„Guten Morgen, Frank! Ich sehe, es geht Ihnen heute besser!“ Boschi öffnete das Bürofenster, zündete sich eine Zigarette an und betrachtete interessiert das Flipchart. „Haben Sie den Fall schon gelöst?“
„Boschi!“ Jette hasste es, wenn er Frank immer so spöttisch anpflaumte und sich über ihn lustig machte. Sie checkte erstmal die Emails.
Boschis flapsige Sprüche zeigten bei Frank inzwischen keine Wirkung mehr. Irgendwie hatte er sich daran gewöhnt. „Chef, vorab, Sie sollen heute unbedingt Oberstaatsanwalt Höglmeier zurückrufen.“ Dann zeigte Frank zum Flipchart. „Also! Nach dem ersten Befund von Dr. Reiter wurde das Opfer Benjamin Sattler bereits vor Monaten getötet. Der Fundort ist nicht der Tatort. An den Kleidern und Schuhen des Toten gibt es mehrere Schleifspuren. Das Schiff lag den ganzen Sommer über im Yachthafen des Segelclubs Herrsching. Der Besitzer hat es am 3. Oktober gereinigt und eine Woche später eingemottet. Demnach muss der Mord in diesem Zeitraum passiert sein. Aufgrund der niedrigen Luftfeuchte in der Halle hat sich der Körper des Opfers vollständig mumifiziert.“
„Damit ist die Aussage vom Besitzer der Halle Otto Rasand eindeutig bestätigt“, bemerkte Jette. „Wir hatten aber einen kalten, feuchten Winter. Wieso war es so trocken in der Halle?“
„In die Halle ist eine Klimaanlage verbaut, um Lebensmittel längere Zeit trocken lagern zu können. Die Anlage war den ganzen Winter in Betrieb!“, antwortete Frank und zeigte auf ein Bild am Flipchart.
„Was ist mit den Einbruchspuren?“, fragte Boschi nach.
„Nichts brauchbares Chef. Das Tor wurde mit einer Brechstange aufgehebelt und die Alarmanlage ging sofort an. Es gibt keinen Treffer bei den gefundenen Fingerabdrücken. Die Einbrecher sind nach Aussage eines Anwohners in einem weißen Lieferwagen geflüchtet. Der Mann konnte nur dürftige Angaben zu den Personen und dem Fahrzeug machen. Die sofort eingeleitete Fahndung brachte bisher keine Ergebnisse.“
Boschi drückte sich einen Espresso aus dem Vollautomaten. „Also, eindeutig zwei Delikte ohne jeden Zusammenhang. Ein brutaler Mord und ein versuchter Einbruch. Wir schicken vom Einbruch eine Kurzmitteilung an alle Polizeistationen und legen die Akte zu den ungelösten Straftaten.“ Boschi dachte kurz daran, wie es wäre, wenn alle Fälle so schnell gelöst würden. „Wir konzentrieren uns den grausamen Mord an dem Studenten. Haben Sie noch etwas über das Opfer Benjamin Sattler herausgefunden? War noch etwas in seinem Koffer, das uns weiterhelfen könnte?“
„Nein Chef. Leider nicht. Den Laptop habe ich zur KTU geschickt. Ich konnte leider das Passwort nicht knacken. Vielleicht ist da was drauf, was uns irgendwie weiterbringt. Das Handy von Benjamin Sattler ist immer noch nicht aufgetaucht. Die Einwahl- und Verbindungsdaten habe ich beim Netzbetreiber beantragt.“ Frank zeigte auf die Fotos am Flipchart mit Laptop, einem durchkreuzten Handy und einem offenen Koffer. Daneben eine Bratpfanne.
Boschi verzog das Gesicht. Er hasste diesen ganzen neumodischen Schnickschnack. „Frank, ihre Bilder sind ja ganz schön, aber was macht die Bratpfanne auf dem Flip … äh, Dings-Bums?“
Frank atmete zweimal tief durch. „Das wollte ich gerade ansprechen. In dieser Pfanne hat der Mörder das Herz von Benjamin Sattler gebraten und anschließend mit Messer und Gabel verspeist!“
„Allmächd!“ Boschi schluckte.
Jette schreckte vom Computer hoch. „Oh mein Gott! Was? Der hat den jungen Mann umgebracht, in aller Ruhe sein Herz gebraten und dann gegessen? Igitt!“ Jette bekam bei dem Gedanken Brechreiz.
„Sagt