2145 - Die Verfolgten. Katherina Ushachov. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katherina Ushachov
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742709752
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war sie über­mü­det, weil sie auf dem un­be­que­men Flug­bahn­hofs­sitz kaum ge­schla­fen hat­te, ih­re Fü­ße schmerz­ten im­mer noch vom un­ge­wohn­ten Ren­nen. Der vor Smog ro­sa­far­be­ne Son­nen­auf­gang ver­kün­de­te be­reits das na­he En­de der Sperr­stun­de. Das Geräusch ei­nes Stra­ßen­rei­ni­gungs­fahr­zeugs hat­te sie ge­weckt.

      Has­tig stand sie auf, streck­te sich und klopf­te un­auf­fäl­lig ih­re Ho­sen­ta­schen dar­auf ab, ob sie noch al­les Nö­ti­ge bei sich hat­te. Wenn sie den UniCom auf dem Weg nach New Or­leans ver­lor … was dann?

      Noch konn­te sie sich frei be­we­gen, sie war sich si­cher, dass Miss Tan ihr Ver­schwin­den noch nicht ge­mel­det hat­te. Ei­ne Ver­miss­ten­mel­dung muss­te nach Ablauf von 72 Stun­den ab­ge­ge­ben wer­den, was Miss Tan be­stimmt aus­rei­zen wür­de. Bis da­hin konn­te sie die An­nehm­lich­kei­ten der Zi­vi­li­sa­ti­on – voll­au­to­ma­ti­sche Ul­tra­schall­hy­gie­ne­an­la­gen, Strom, In­ter­net – nut­zen.

      Al­le­gra kauf­te über den UniCom ein Zug­ticket nach Cam­den, Ala­ba­ma. Wei­ter ließ der UniCom sie nicht bu­chen und grau­te die ent­spre­chen­den Fel­der aus. Das brach­te sie im­mer­hin nicht nur über meh­re­re Coun­ty-Gren­zen, son­dern auch über die Gren­ze des Bun­des­staa­tes, und so wie sie die Ver­wal­tung in der Uni­ted World ein­schätz­te, reich­te das, um zu­min­dest der Mu­tan­ten-Raz­zia in un­mit­tel­ba­rer Nä­he zu ent­ge­hen.

      Schnell rief sie ihr Gut­ha­ben ab. Nur noch 17 Units, trotz Schü­ler­ra­batt für das Ticket. Das reich­te noch für ein paar Hal­te­stel­len mit ei­ner der Bah­nen vor Ort. Und dann hat­te sie oh­ne­hin kei­ne Ver­wen­dung mehr für Geld, in New Or­leans konn­te man mit den Units nicht zah­len, des­sen war sie sich si­cher.

      Was sie in Cam­den ma­chen wür­de, wuss­te sie noch nicht. Au­ßer zu du­schen und ih­ren UniCom auf­zu­la­den, aber da­für wür­de sie kei­ne Stun­de brau­chen. Und dann muss­te sie schau­en, dass sie ir­gend­wie fort­kam. Vo­rerst muss­te es rei­chen, sich in Rich­tung Loui­sia­na zu be­we­gen.

      Der Zug hat­te kei­ne Fens­ter, ver­mut­lich, um den Rei­sen­den den An­blick ei­ner Land­schaft zu er­spa­ren, die in schwin­del­er­re­gen­der Ge­schwin­dig­keit vor­bei­rausch­te.

      Sie spür­te nur ein lei­ses Zie­hen im Ma­gen, wie beim Fahr­stuhl­fah­ren, auf Dau­er et­was un­an­ge­nehm, und sie hoff­te, dass es ver­ge­hen wür­de.

       »Hap­py bir­th­day to me, hap­py bir­th­day to me …«

      Im Zug sa­ßen Pend­ler, Ge­schäfts­leu­te und ei­ne gan­ze Schul­klas­se vol­ler krei­schen­der Kin­der samt Leh­re­rin.

      Al­le­gra saß ab­seits und fühl­te sich ein­sam. Dass nach und nach al­le au­ßer ihr aus­stie­gen und sie in na­he­zu voll­kom­me­ner Stil­le zu­rück­lie­ßen, mach­te es nicht bes­ser.

      Sie war al­lein, als sie am End­bahn­hof den Zug ver­ließ und nach dem viel zu lan­gen und be­eng­ten Sit­zen auf den Bahn­steig staks­te. Gie­rig at­me­te sie die fri­sche Luft ein und lehn­te sich an ei­ne ani­mier­te Wer­be­ta­fel. Ihr Ma­gen muss­te sich erst noch dar­an ge­wöh­nen, dass sich nichts mehr be­weg­te.

      Nur ein paar Tee­na­ger stan­den in ei­ni­ger Ent­fer­nung bei den Re­cy­cling­s­ta­tio­nen her­um und ga­ben vor­ein­an­der mit blin­ken­den Turn­schu­hen an.

      Ei­lig ließ sie ih­ren Ruck­sack auf ih­re Fü­ße glei­ten und zog ih­re Was­ser­fla­sche her­aus.

      Sie war ge­ra­de da­bei, einen Schluck zu trin­ken, als ein Ju­gend­li­cher sich an die glei­che Wer­be­ta­fel lehn­te und ihr viel zu na­he kam. »Ist das ei­ne Jog­ging­ho­se oder ei­ne Py­ja­ma­ho­se?«

      Al­le­gra sah ihn di­rekt an. »Jog­ging­ho­se. Kann man aber auch drin schla­fen.« Sie konn­te kei­nen Är­ger ge­brau­chen, nicht jetzt! Sie muss­te nur einen Zug er­wi­schen, wann fuhr denn ei­ner von die­sem Kaff aus ir­gend­wo an einen brauch­ba­ren Ort?

      »Schläft es sich oh­ne nicht be­que­mer?«

      »Nicht wirk­lich.«

      »Und wenn ich dir ein­hei­ze?«

      Sie mus­ter­te ihn vom sil­bern ge­färb­ten Schei­tel bis zu den blin­ken­den Soh­len sei­ner Turn­schu­he. »Nein, dan­ke.«

      »Nein, dan­ke?«

      »Sa­ge ich doch.« Sie ver­such­te, das Zit­tern aus ih­rer Stim­me zu ver­ban­nen. Es war mit­tags. Wie­so wa­ren hier kei­ne an­de­ren Leu­te? Gab es nicht ir­gend­wo einen Knopf, um die Se­cu­ri­ty zu alar­mie­ren? Sie tas­te­te mit der frei­en Hand an der Wer­be­ta­fel her­um.

      »Du hast mich nicht ver­stan­den. Es geht nicht dar­um, was du willst oder was du nicht willst, Jog­ging­ho­se. Ent­we­der du gehst mit mir auf die Bahn­hof­stoi­let­te und stellst dich da ein we­nig ge­schickt an oder ich neh­me dir dei­nen Ruck­sack ab.« Er grins­te breit und zwin­ker­te ihr zu.

      »Hey, da ist nur Es­sens­kram drin!«

      »Dann hast du nichts au­ßer dei­nem Kör­per zu bie­ten. Wie scha­de … Jungs?« Er pack­te Al­le­gra am Arm. »Guckt mal! Frisch­fleisch!«

      Al­le­gra hol­te aus und schlug ihm mit der halb lee­ren Fla­sche hef­tig auf die Na­se.

      Er schrie über­rascht auf und ließ sie los. Blut spritz­te auf sein lä­cher­li­ches T-Shirt.

      Al­le­gra schnapp­te sich ih­ren halb­of­fe­nen Ruck­sack und rann­te in Rich­tung Bahn­hof, aber das war an­schei­nend nicht die bes­te Idee – dort ka­men ihr zwei wei­te­re Ge­stal­ten in grell blin­ken­den Turn­schu­hen ent­ge­gen und schnit­ten ihr grin­send den Weg ab.

      »Na, Püp­pi? Un­ter­wegs zum Yo­ga? Wir könn­ten üben!« Ein Kerl mit zin­no­ber­ro­tem Pony streck­te die Zun­ge her­aus und leck­te sich über die Lip­pen.

      »Nur über mei­ne Lei­che.«

      »Kannst du ha­ben.«

      Sie schlug dem einen ih­ren Ruck­sack ins Ge­sicht und schleu­der­te ihn dann dem an­de­ren ent­ge­gen.

      Die Ker­le gin­gen aus­ein­an­der und Al­le­gra hech­te­te zwi­schen ih­nen hin­durch, oh­ne zu­rück­zu­schau­en. Sie muss­te weg, ein­fach nur weg, und das so schnell wie mög­lich!

      18. Avriel Adamski – Atlanta – 08.07.2145

      Wa­ren im­mer so vie­le Cops auf den Stra­ßen oder pa­trouil­lier­ten sie ver­stärkt sei­net­we­gen? Er wuss­te es nicht. Und es lag nicht in sei­nem In­ter­es­se, es her­aus­zu­fin­den. Auch den Mu­tan­ten­mi­li­zen, die in Grup­pen die Stadt durch­kämm­ten, muss­te er auf ei­ne mög­lichst lo­cke­re Art aus dem Weg ge­hen, so­dass es nicht ver­däch­tig er­schi­en. Bei­läu­fig.

      Al­so tat er das, was Tou­ris­ten so ta­ten. Wann im­mer Po­li­zis­ten ihn zu lan­ge be­ob­ach­te­ten, blieb er vor Se­hens­wür­dig­kei­ten ste­hen und schoss Fo­tos mit dem UniCom. Oder stell­te sich in ei­ne Rei­he vor den Kaf­fee­bot, um über­teu­er­ten Kaf­fee zu trin­ken.

      Ir­gend­wann fühl­te er sich er­schöpft, trau­te sich je­doch nicht, auf ei­ner Bank aus­zu­ru­hen. Wenn er wie ein Pen­ner wirk­te, griff man ihn be­stimmt auf. Al­so hat­te er sich ein Ticket für ir­gend­ei­nen 5D-Film ge­kauft und war ge­nau an der Stel­le