Maggie nickte. „Reizender Zeitgenosse. Aber zurück zum Thema – nach ihrem Besuch bei Klein-Emma sind Sie nach Hause gekommen?“
„Ja. Halt, zwischen Arbeit und Merles Anruf war ich auch hier. Eine Viertelstunde vielleicht, bei der Feuerwehr angerufen und schnell was gegessen, dann bin ich gleich wieder los. Alles kein Problem, hier fahren echt viele Busse und der Takt ist sehr kurz. Und da ich jedesmal an diesem Wohnwagen vorbeikomme, ärgere ich mich natürlich auch jedes Mal.“
„Der Gestank“, nickte Maggie.
„Der auch. Aber dass die Leute diese Schrottmühlen einfach am Straßenrand abstellen, ärgert mich generell. Kann man nicht mal wenigstens die ohne Zulassung beschlagnahmen und verschrotten? Hier kann kaum einer parken, weil überall dieser Müll herumsteht. Gut, nicht überall, aber schon verflixt viel.“
Patrick räusperte sich. „Ich fürchte, wir müssen Ihnen in den nächsten Tagen doch einmal ein Foto der Toten zeigen. Es könnte ja immerhin sein, dass Sie sie doch kennen!“
„Möglich ist natürlich alles. Vielleicht war sie ja gar nicht von hier, sondern aus Selling oder Mönchberg – da kenne ich schon einige Leute, Familie, Freunde, Kollegen. Aber Sie haben doch gesagt, dass die arme Frau schon mindestens eine Woche oder länger tot ist? Müsste sie dann nicht jemand vermisst gemeldet haben? Naja, obwohl… es gibt ja vielleicht Leute, die ganz alleine leben und keine Angehörigen mehr haben, die sie vermissen könnten…“
„Dann gäbe es immerhin noch Arbeitskollegen, nicht wahr?“, mahnte Patrick sanft.
„Ja, natürlich. Dann war sie noch nicht so alt… keine Rentnerin, meine ich. Also, Sie können mir gerne ein Foto zeigen, wenn Ihnen das weiterhilft.“
Nachdem sie die beiden Kripoleute zur Tür gebracht hatte, ließ Nele sich auf ihr Sofa fallen. Wahnsinn, eine Leiche… in Birkenried, wo noch keiner länger als zwei Monate wohnte. Reichte das denn aus, um Mordlust zu entwickeln? Na gut, einem von den Typen, die diese Schrottmühlen in der Fontaneallee abgestellt hatten, würde sie tatsächlich gerne etwas antun, aber ihn doch nicht gleich umbringen! Und der lästige alte Huther war kein Nachbar, außerdem wurde Merle sehr nett alleine mit ihm fertig.
Schließlich war Gewalt auch nie eine Lösung, dachte sie tugendhaft und erhob sich, um die Fernbedienung zu holen.
4
„Gab´s gar keine Dokumente?“, fragte Anne am nächsten Morgen missgelaunt in die Runde. „Da war doch eine Handtasche?“
„Spusi zufolge leer.“
„Fingerabdrücke?“
„Werden noch untersucht. Aber das war so ein Ding aus Filz, da halten Abdrücke gar nicht gut“, gab Katrin zu bedenken.
„Gibt es passende Vermisstenmeldungen?“, fragte Patrick, der sich an den Vorschlag dieser Nele Garbrecht erinnerte.
„Nein. Seit drei Wochen fehlen a) zwei polnische Lastwagenfahrer samt ihrem Truck. Vielleicht Raubmord, aber daran arbeitet auch ein anderes Team. b) wird die vierundzwanzigjährige Susanne Großmann vermisst, die offenbar in einem Wutanfall in den nächsten Flieger gestiegen ist und vergessen hat, ihren Freund darüber zu informieren, und dann vermisst c) das Augustinum den neunzigjährigen Hermann Jonas, der etwas verwirrt ist und vermutlich in der Altstadt umherirrt. Der fehlt aber auch erst seit heute Vormittag. Wie lange ist die Wohnwagentote schon tot? Katrin?“
„Julia zufolge etwa elf Tage. Am zweiundzwanzigsten September wahrscheinlich. Das passt ja alles nicht!“
„Dann brauchen wir doch ein Foto. Wer kennt diese Frau oder so…“, sinnierte Patrick.
„Wird aber kein schönes Bild. Da sagen dann alle bloß wieder Ist die tot? Nee, kenn ich nicht“, murmelte Katrin.
„Da müssen wir dann eben durch“, verfügte Anne. „Unbrauchbare Antworten sind doch auch nichts Neues. Also, keine Vermisstenmeldungen, keine Dokumente. Dann muss Julia eben schauen, ob sie etwas findet. Zahnstatus, Fingerabdrücke, besondere Erkrankungen. Ärzte sind da oft ganz hilfreich, wisst ihr doch!“
„Und was machen wir?“ Das war die ungeduldige Maggie.
„Ihr hört euch in Birkenried um, ob jemand etwas beobachtet hat. Ich meine, warum wird eine Leiche denn ausgerechnet dort deponiert? Verschimmelte Wohnwagen stehen in dieser Stadt doch überall herum – und Birkenried ist wirklich blöd zu erreichen. Also warum dort?“
„Vielleicht, weil einen dort eben niemand beobachtet?“, schlug Maggie vor. „Diese Fontaneallee ist noch kaum bebaut. Und da, wo diese Krücken herumstehen, soll ein Einkaufszentrum entstehen. Da ist nichts zu beobachten, weil da keiner wohnt. Da steht bloß dieses halbfertige Ding und die Leute laufen tagsüber daran vorbei. Ich würde mit einer Leiche nachts kommen. Da ist dann total tote Hose.“
„Gut“, fand Anne, „aber nachts könnten doch auch Leute kommen und die Baustelle beklauen wollen?“
Katrin schaltete am schnellsten. „Und deshalb haben die vielleicht eine Überwachungskamera?“
„Genau das meine ich. Und vielleicht ist die Kamera so falsch installiert, dass sie auch die Straße im Blick hat… kommt ja öfter vor, auch wenn es verboten ist. Das könntet ihr zum Beispiel eruieren.“
*
„Typisch!“ Anton Huther raschelte empört mit der Zeitung, aber seine Frau sah nicht einmal auf, sondern rührte in ihrem Müsli herum, als suche sie nach einem Schatz.
„Typisch!!“, wiederholte er also deutlich lauter.
Angela Huther seufzte ergeben. „Was ist typisch?“
„Dieses neue Proletenviertel. Jetzt haben sie da eine Leiche gefunden, das muss man sich mal vorstellen!“
„Leichen können doch wohl überall gefunden werden“, murmelte Angela und grub die halbe Walnuss aus dem Brei heraus, nach der sie gesucht hatte. Lecker…
„Hier nicht!“
„Auch in Henting. Kannst du dich noch an diese grässliche Alte erinnern, drüben in diesem großen abgewrackten Haus? Das sie nachher endlich abgerissen haben? Wie hat die geheißen – Carin?“
„Ach die! Das ist doch schon ewig her…“
„Aber eine Leiche in Henting!“, triumphierte seine Frau, was Huthers Gesichtsfarbe ins Rote spielen ließ: „Sei nicht so rechthaberisch!“
„Warum, ist das dein Privileg?“
Huther schlug auf den Tisch. „Schluss jetzt!“
Achselzuckend wandte Angela Huther sich wieder ihrem Müsli zu, aber ihr Mann konnte sich nicht beruhigen: „Birkenried? Birkenried?“
Sie reagierte nicht, obwohl ihr allerlei Unbotmäßigkeiten auf der Zunge lagen.
„Wohnt da nicht diese grässliche Schwester?“
Oh, da war ja noch eine von diesen guten Heidelbeeren – und eine ganze Haselnuss!
„Diese grässliche Schwester!“
Morgen würde sie Ananas in ihre Haferflocken tun. Und ein bisschen Ananassaft zum Verrühren…
„Bist du taub?“
„Ich habe doch Redeverbot?“
„Blödsinn! Du sollst mir nur nicht widersprechen!“
„Also immer nur Ja, Anton sagen? Oder Genau, Anton? Wie klug du bist, Anton? So geht ein Gespräch aber nicht!“
„Du gehst mir wirklich auf die Nerven, Angela!“
„Das beruht auf Gegenseitigkeit.“
Huther starrte seine Frau erbost an, dann warf er seine Serviette auf den Tisch, stand so abrupt auf, dass sein Stuhl nach hinten umfiel, und verließ das Zimmer.
Angela