Sichelland. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844241334
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schüttelte den Kopf.

      „Eben nicht. Also zumindest nicht direkt. Ich habe ihn ja aufgesucht – also den Stoffhändler. Er nannte mir tatsächlich einen Namen, nämlich den eines Saphirschleifers. Aber er sagte mir auch gleich, dass dieser Mann wohl auch nur ein Zwischenhändler war. Natürlich habe ich mich gleich auf die Suche nach diesem Schleifer gemacht. Und du kannst dir vielleicht denken, was ich über ihn herausgefunden habe....“

      Sara schwante nichts Gutes. „Er ist tot?“

      „Genau. Und das schon seit einigen Wochen. Der Mann lebte allein, hatte weder Familie noch Freunde und sein gesamter Nachlass ist längst in alle Winde verstreut.“

      „Also werden wir nichts mehr über den Auftraggeber herausfinden?“

      „Ich fürchte, nein. Aber ich hatte ja noch ein weiteres Ziel. Ich wollte wissen, was das für Pergamentrollen waren und wo sie genau herkamen.“

      Gespannt richtete sich Sara auf. Rahors Augen glitzerten vielversprechend.

      „Erst einmal das weniger Aufregende.“ Anscheinend gefiel es ihm, Sara auf die Folter zu spannen.

      „Der Stoffhändler hat die Rollen am dritten Archivgebäude des Ostanbaus des Ersten Tempels abgeholt. Mit anderen Worten, genau dort, wo zum Beispiel die Grundlehren abgeschrieben werden, nach denen alle Cycala erzogen werden. Außerdem wird dort der Vertrieb der Abschriften des Vierten Mysteriums verwaltet. Das ist so etwas wie eine eigene Gesetzgebung für die Tempelpriester der ersten zehn Stämme. Ein Regelwerk.“

      „Du denkst doch nicht etwa, dass jemand ein Vermögen dafür bezahlt, dass allseits bekannte Tempelregeln durch euer ganzes Land verschickt werden?“ fragte Sara ungläubig.

      „Nicht so schnell, Sara, nicht so schnell....“ Rahor grinste. „Ich habe nicht gesagt, dass es dort sonst nichts Interessantes gibt.“

      „Rahor, bitte...“

      „Also schön. Wie du dir denken kannst, war das ja nur der leichte Teil. Hier kam dann dein... ich meine natürlich Lennys'... Befehlsschreiben ins Spiel. Ich sprach mit dem Hauptverwalter und bat ihn, mir eine Aufstellung aller in diesem Gebäude verwahrten Schriftstücke zu geben und auch eine Liste aller dort beschäftigten Priester und Schreiber. Er war natürlich in heller Aufregung und wollte unbedingt wissen, ob vielleicht etwas nicht mit rechten Dingen zuginge. Ich sagte ihm, dass es sich um eine Stichprobe handelt, und dass er nichts zu befürchten habe. Und da das Schreiben, das du aufgesetzt hast, schön allgemein formuliert hast, hat er sich damit auch zufriedengegeben.“

      „Und weiter? Rahor, ich platze vor Neugier.“

      „Ich weiß. Aber nicht so hastig. Die Grundlehren und die Abschriften des Vierten Mysteriums beanspruchen den Hauptteil der Räume. Aber in einem Seitenflügel ist noch eine ganz andere Abteilung beherbergt. Dort werden – natürlich nur unter bestimmten Voraussetzungen und etlichen Sicherheitsbestimmungen – von insgesamt drei Schreibern Kopien höchst brisanter Schriften angefertigt. Das ganze funktioniert so: Ein Priester ab dem neunten Grad – insgesamt sind das etwa hundert in ganz Cycalas – kann dort ein Dokument seiner Wahl zur Abschrift in Auftrag geben. Dies gilt aber nicht für Schriften des dreizehnten und vierzehnten Grades. Das bedeutet wiederum, das jene Schriftstücke, deren Inhalt nur dem Shaj Talmir oder seinen achtzehn Erwählten vorbehalten ist, von dieser Regelung ausgenommen sind.“

      „Ich verstehe gar nichts mehr. Oder warte.... Das heißt, dass dort theoretisch jedes Dokument vorhanden gewesen sein kann, das dem neunten bis zwölften Grad gewährt wird?“

      „Exakt. Ich sehe, du begreifst schnell.“

      „Und diese Schreiber... haben darauf Zugriff. Weil sie sie ja kopieren.“

      „Um die Schreiber müssen wir uns nicht kümmern. Die Kontrollen sind dort ausgesprochen streng und die Schreiber werden ständig überwacht. Abgesehen davon haben die Schreiber dort schon, seit es diese Abteilung gibt, immer eines gemeinsam. Sie sind alle taubstumm. Aber es ist viel einfacher. Verstehst du nicht? Jeder Priester ab dem neunten Grad kann dort ein Schriftstück seiner Wahl kopieren lassen, egal wie umfangreich es ist. Er muss es selbst hinbringen und abholen, aber was dann damit geschieht.....“

      „Aber... das kann ich mir gar nicht vorstellen. Es heißt doch immer, die Schriften seien geschützt und...“

      „Moment, moment,... “ Rahor hob Einhalt gebietend die Hand. „Ich sagte, die Priester können sie hinbringen, abschreiben lassen und wieder mitnehmen. Das hat nichts damit zu tun, dass sie sie nicht so einfach aus ihrem Herkunftstempel entwenden können. Natürlich gibt es dort ganz andere Sicherheitsregelungen. Aber grundsätzlich musste ich davon ausgehen, dass unsere sechsundachtzig Rollen jeden nur erdenklichen Text zwischen dem neunten und dem zwölften Grad beinhalten könnten.“

      „Also wissen wir immer noch nichts. Das sind doch sicher unendlich viele Möglichkeiten.“

      „Ja leider. Aber wäre ich mit diesem Wissen zufrieden gewesen, wäre ich schon vor vier Tagen zurück gewesen.“

      „Du hast also noch mehr erfahren?“

      „Nun, zuerst muss ich dir erklären, dass unser System der Weihen, Grade, Erwählten und allem was dazu gehört, sehr komplex ist. Bei den Dienern des Himmels sind, wie du jetzt weißt, vierzehn Grade der Weihe vorgesehen, von denen der höchste Grad, der vierzehnte, allein durch Talmir eingenommen wird. Aber du weißt ebenso gut wie ich, dass es bei Cycalas' Priestern eine Ausnahme gibt. Eine Abspaltung sozusagen.“

      „Die Batí?“

      „Die Batí. Sie sind der elfte Stamm. Und um daran zu erinnern, haben sie die Anzahl ihrer Grade geändert. Nicht vierzehn, sondern....“

      „Elf.“

      „So ist es. Und das bedeutet...“ Doch Sara führte Rahors Satz zu Ende.

      „Das bedeutet, dass die Batí all ihre Schriften bis hin zu denen, die nur der Shaj lesen darf, in diesem Tempel hätten kopieren können.“

      „Der Shaj? Ja... der hat natürlich auf alles Zugriff. Aber der höchste Grad der Batí wird nicht durch Talmir bekleidet. Die Batí sind eine Art eigene Gruppierung, wenn es um ihren Glauben geht. Sie sehen nicht Talmir als ihr Oberhaupt an.“

      „Mondor?“

      Rahor nickte. „Ich will ihn nicht zu früh verdächtigen. Aber Mondor, der im übrigen in der Gesamtstruktur dem dreizehnten Grad zugehört, ist innerhalb der Batí-Gruppe der alleinige Inhaber des elften Grades und somit - abgesehen von Talmir – der einzige, der auf restlos alle Batí-Schriften Zugriff hat.“

      „Aber das ist doch kein Beweis, oder? Ich meine, wir wissen nur, dass er die Möglichkeit gehabt hätte, Abschriften anfertigen zu lassen. Aber wozu sollte er das tun? Er könnte die Kopien selbst verfassen, oben im Norden! Er muss doch niemandem Rechenschaft ablegen. Außerdem dachte ich, er hat die Nordwälder seit Jahren nicht verlassen.“

      „Das ist richtig. Aber eine Abschrift von sechsundachtzig Rollen nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Und gerade was die alten Dokumente angeht, sind die Originale oft nur mühsam zu lesen. Eine entsetzliche Arbeit. Der Verwalter des Ersten Tempels bestätigte mir, dass eine originalgetreue Kopie diesen Umfangs je nach Zustand des Quellmaterials zwischen drei und vier Wochen Zeit in Anspruch nehmen kann. Glaubst du, ein hochrangiger Priester setzt sich vier Wochen hin um alte Texte abzuschreiben, wenn er diese Aufgabe völlig legitim jemand anderem übertragen kann?“

      „Ja, das mag schon sein, aber Mondor ist doch nicht in den Süden gereist. Oder doch? Aber dann könnte man sich doch an ihn erinnern! Und… und man wüsste es doch, wenn Batí-Schriften kopiert worden wären.“

      „Nein, eben nicht! Ich habe es selbst nicht glauben wollen, aber es gibt in diesem ach-so-gut organisierten Tempel nicht einen einzigen Nachweis über die gefertigten Kopien. Nur der Auftraggeber allein ist dafür verantwortlich und nur er prüft das Ergebnis. Ist er zufrieden, nimmt er die fertigen Kopien mit und in dem Moment, in dem sie den Tempel verlassen, ist es, als wären sie nie dort gewesen. Und den