Sichelland. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844241334
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Lennys erneut zum Kochen zu bringen.

      Als sie gerade den Brunnenhof überquerte, sah sie aus dem Augenwinkel Rahor in einer Nebenpforte verschwinden, die zu einer inzwischen unbenutzten Wachstube führte. Schnell folgte sie ihm.

      „Hat dich jemand gesehen?“ fragte Rahor atemlos, nachdem er Sara überschwänglich begrüßt hatte.

      „Nein, niemand, da bin ich mir sicher. Ich... ich habe Lennys gehört....“

      „Sie tobt. Ausnahmsweise zu Recht. Immerhin war ich lange Zeit fort und sie wusste nicht, wo ich bin und warum ich Vas-Zarac überhaupt verlassen hatte. Wir befinden uns quasi im Krieg und ihr höchster Krieger macht sich einfach aus dem Staub...“

      „Was hast du ihr gesagt?“

      „Dass ich eine geheime Botschaft erhalten hätte über einen Aufruhr am Ostbogen. Und dass ich der Sache schnellstmöglich nachgehen wollte. Ich habe ihr erzählt, dass es alles ein Missverständnis war, ich aber mehrere Tage brauchte, um es vollständig aufzuklären.“

      „Und das hat sie dir geglaubt?“ fragte Sara erstaunt.

      „Ich gebe zu, die beste Entschuldigung war es nicht, aber sie kann sich wohl nicht vorstellen, dass ich sie belüge. Und du weißt, dass mir das alles andere als leicht gefallen ist.“

      „Vielleicht wäre sie weniger wütend gewesen, wenn du ihr vorher schon eine Nachricht hättest zukommen lassen.“

      „Das habe ich ja. Mit genau denselben Argumenten. Aber ich habe ihr keine Möglichkeit gegeben, mich zu erreichen. Ihre ganze Wut, die sie schon kurz nach meiner Abreise hatte, konnte sie erst jetzt an mir auslassen. Na, sei es drum, sie wird sich schon beruhigen. Hoffe ich jedenfalls. Aber jetzt erzähle du mir erst einmal, was hier vorgefallen ist, während ich weg war.“

      Sara bemühte sich, Rahor über alles zu unterrichten, was sich in den letzten Tagen ereignet hatte. Als sie von Akoshs Rückkehr und dem Gespräch mit ihm berichtete, runzelte Rahor die Stirn.

      „Tot? Der Turmposten ist tot?“

      „Ja. Akosh ist überzeugt, dass er ermordet wurde.“

      „Da ist er nicht der Einzige. Das stinkt doch zum Himmel. Und die Geschichte mit diesem Spielmann kommt mir auch seltsam vor. Er scheint mir recht neugierig zu sein und trotzdem will er nicht gesehen haben, ob die Rollen beschriftet waren oder nicht? Klingt, als wäre da etwas faul. Und es deckt sich auch ganz und gar nicht mit dem, was ich erfahren habe.“

      „Du hattest also Erfolg?“

      „Naja, ich weiß nicht, ob man das Erfolg nennen kann. Aber dazu gleich. Ist sonst noch etwas Ungewöhnliches passiert?“

      „Ich bin mir nicht sicher. Afnan, der Hauptkämmerer hatte gestern einen Unfall. Es sieht so aus als wäre er gestolpert und habe sich dabei den Kopf aufgeschlagen.“

      „Ist er schwer verletzt?“

      „Nein, ich glaube nicht. Ich will heute abend noch einmal nach ihm sehen. Seit du weg warst, habe ich ein paar Dienstboten behandelt und jetzt darf ich mich öfter um kleinere Krankheitsfälle kümmern, weil der eigentliche Heiler ja kaum noch etwas tun kann...“

      „Ja, ich habe davon gehört. Und ich freue mich, dass die anderen hier langsam vernünftig werden und dich ranlassen. Aber das mit Afnan beunruhigt mich doch. Gestolpert sagst du? Hm, mir kommt das komisch vor. Aber im Augenblick werden wir da wohl nicht viel erfahren. Ich bin nur froh, dass ihm nichts Ernsthaftes passiert ist. Er ist ein guter Kerl und eine wahrhaft treue Seele.“

      „Ja, ich auch. Rahor, … da ist noch etwas. Ich weiß, es ist jetzt sicher kein guter Zeitpunkt, aber...“

      „Na los, raus mit der Sprache.“

      „Afnan war gestern sehr nett zu mir. Er meinte, es wäre gut, wenn… also, wenn ich bei möglichen Kämpfen einige Verletzungen versorgen könnte.“

      „Da hat er sicher recht. Menrir hat das auch schon erwähnt. Er meinte, du könntest uns eine große Hilfe sein.“

      „Nun ja, ich habe aber keine Erfahrung. Noch nicht einmal mit Kämpfen an sich, geschweige denn mit solchen Wunden. Afnan erzählte mir von einem Buch. Er sagte, es würde mir helfen und mich ein wenig auf das vorbereiten, was uns erwartet.“

      „Ein Buch? Ein Buch soll dir helfen?“ Rahor konnte einen gewissen Spott nicht aus der Stimme verbannen. „Und was soll das für ein Buch sein?“

      „Es heißt 'Von Feindes Feuern'. Ich weiß nur, dass es vom Großen Krieg handelt und dass es Fremdländern verboten ist.“

      „Ich verstehe.“ erwiderte Rahor nachdenklich. „Ja, ich kenne dieses Buch. Und mit einem hat Afnan sicher recht. Es vermittelt einem Außenstehenden sicher eine gewisse Vorstellung über die Schlachten der Cycala und der Hantua. Aber mit Heilkunst hat es nicht zu tun. Es beschreibt einfach die Kämpfe, das Foltern... all die Barbarei, die damals überall Einzug hielt. Es würde dich wohl sehr erschrecken, wenn du es lesen würdest. Cycalanische Krieger lesen es während ihrer Ausbildung und es dient für jeden Sichelländer als Beispiel dafür, warum wir keinem Fremdländer trauen dürfen. Wobei ich zugeben muss, dass es einen relativ hohen Wahrheitsgehalt hat.“

      „Ich würde es gern lesen.“

      „Natürlich möchtest du das. Vielleicht hat Afnan recht und es hilft dir wirklich. Aber es wird dir nicht gefallen.“

      „Trotzdem.“

      „Also gut. Ich besorge dir das Buch. Morgen. Aber nicht aus der Festungsbibliothek, das würde zu sehr auffallen. Ich lasse es mir aus einer der Kasernen bringen.“

      „Vielen Dank. Aber jetzt... jetzt erzähle bitte, was du in Zarcas ausrichten konntest. Hat das Befehlsschreiben viel Misstrauen erweckt?“

      Rahor lachte.

      „Machst du Witze? Misstrauen? Wenn ich nicht sicher wüsste, dass du es verfasst hast, ich hätte mein Leben darauf verwettet, dass es echt ist. Und ich kann dir versichern, ohne dieses Schreiben hätte ich nicht ein Bruchteil dessen erfahren, was mir in diesen Tagen zu Ohren gekommen ist. Trotzdem muss ich dich enttäuschen. Es gibt viele Spuren, ein paar Antworten, aber noch viel mehr Fragen. Und die Wichtigste, nämlich wer hinter allem steckt, bleibt immer noch unbeantwortet.“

      Sara hatte nichts anderes erwartet. „Aber du weißt, was das für Pergamentrollen waren?“

      „Eins nach dem anderen, junge Frau.“ Rahors Laune hatte sich schlagartig verbessert. Er fühlte sich nun ganz in seinem Element.

      „Anfangs war es gar nicht so leicht. Ich wusste ja gar nicht, wo ich suchen sollte oder wonach. Mein einziger Anhaltspunkt war diese Zeile in der Rechnung.... ' Abholung von sechsundachtzig Pergamentrollen, Erster Tempel, Zarcas' . Keine wirklich genaue Angabe. Allein der sogenannte Erste Tempel ist ein Komplex von acht Gebäuden und jedes davon hat eigene Schreibstuben, Lager und Archive. Und wann genau dieser Handel stattgefunden hat, wusste ich ja auch nicht. Es ist auch nicht nötig, dass ich dir das jetzt alles erkläre, denn letztendlich habe ich doch die richtige Spur gefunden. Im Frühsommer, etwa drei Wochen vor Beginn der ersten Morde im Süden, hat ein Stoffhändler aus Zarcas gegen eine ungewöhnlich hohe Bezahlung die besagten sechsundachtzig Pergamentrollen mit seiner eigenen Warenlieferung bis nach Askaryan mitgenommen und dort an den inzwischen toten Turmposten übergeben. Und genau dieser Stoffhändler hat auch die Notiz verfasst, die so unverhofft in deine Hände geraten ist. Er weigert sich nämlich normalerweise, fremde Waren mitzunehmen, da er schon einmal einem Betrüger aufgesessen war. Deshalb hat er den ganzen Transport samt Preis fein säuberlich dokumentiert, zumal er ja auch die zweieinhalb Deben Gold wieder nach Zarcas zurückbringen musste. Als das Geschäft abgeschlossen war, hat er die Notiz zusammen mit seinen anderen Handelsbilanzen abgelegt. Und da dieser Stoffhändler auch Leder verkauft und somit einige Rüstungsschmiede beliefert, gelangte das Schreiben letztendlich in die von Lennys angeforderten Unterlagen. Das steht inzwischen fest.“

      Sara stieß einen leisen Pfiff aus. „Also hat jemand den Stoffhändler beauftragt, die Pergamente