Das Blut des Sichellands. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844268690
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wartete Lennys bereits und vertrieb sich die Zeit damit, den Inhalt des reich gefüllten Bücherregals in Augenschein zu nehmen.

      "Habt ihr noch einen Wunsch, hoher Shaj?" fragte Bohain, doch Saton winkte ab. "Nein. Lass uns allein. Keine Störungen."

      Nachdem Bohain die Tür wieder fest hinter sich verschlossen hatte, ließ sich Saton auf den Ledersessel des Säbelmeisters sinken und betrachtete seine Tochter, die sich zwar umgedreht, aber kein Wort der Begrüßung verloren hatte. Er stellte fest, dass sie älter aussah als sie wirklich war und trotz der Ähnlichkeit zu ihrer verstorbenen Mutter erkannte er auch Unterschiede. Insgesamt war der Shaj mit dem, was er sah, nicht nur ausgesprochen zufrieden, sondern empfand auch eine gewisse Wehmut. Was hätte er nicht dafür gegeben, Curedas Meinung zu Lenycas Entwicklung zu hören.

      "Du hast dich gut eingelebt, wie ich höre." eröffnete er das Gespräch freundlich.

      "Beruhigt dich das?"

      "Ja, allerdings. Wie ich höre, bringst du bei den Übungskämpfen hervorragende Leistungen."

       Sie zuckte die Achseln.

      "Bei diesem Kinderkram hier langweile ich mich eher. Wann kann ich in die nächste Klasse aufsteigen?"

      "Bald, denke ich. Wenn nichts dagegen spricht. Und bislang stehen die Zeichen gut. Allerdings sollten wir beide vorher noch einige Dinge klären."

      "Und was?"

      "Ich hatte in den letzten Jahren wenig Zeit für dich. Weit weniger als ein Vater haben sollte."

      "Ich habe dir keinen Vorwurf gemacht."

      Erstaunt sah er auf.

      "Nein, das hast du in der Tat nicht. Aber ich mache mir Vorwürfe. Trotzdem bin ich stolz darauf, zu sehen, was aus dir geworden ist. Du hast mich in den letzten Monaten sehr angenehm überrascht."

      "Ich mag es nicht, wenn du so etwas sagst."

      "Ich weiß. Aber es ist trotzdem so. Allerdings muss ich dir auch sagen, dass nicht alle meiner Meinung sind. Du bist ruhiger, zurückgezogener als früher. Und abweisender. Ich persönlich denke, dass dir das helfen wird. Wandan allerdings bedauert, dass du immer häufiger seine Lehrstunden verweigerst. Um ehrlich zu sein, fürchte ich, er wünscht sich das kleine Mädchen zurück, mit dem er einst in Vas-Zarac harmlose Übungskämpfe veranstaltet hat. Aber natürlich weiß er auch, dass du erwachsen wirst."

      "Ich kann auf Wandans Wünsche keine Rücksicht nehmen."

      Sie sagte dies mit einer fast schon gleichgültigen Kälte und Saton überkam ein leichter Schauer.

      "Lenyca, ich würde dich sehr gern etwas fragen. Ich weiß, dass du mir darauf nicht antworten möchtest. Aber ich bitte dich, es dieses eine Mal zu tun und ich verspreche dir, ich werde dich nicht mehr damit belästigen. Doch von dieser Antwort hängt viel ab - mehr als du im Moment denkst."

      "Und was willst du fragen?"

      "Ich wüsste gern, ob dein Wandel in den letzten Monaten vielleicht weniger dem Einfluss eines Menschen als dem eines Gottes zu verdanken ist."

      Sie sah ihn lange und durchdringend an, ohne ein Wort zu sagen. Es kostete Saton Überwindung, diesem glühenden Blick standzuhalten und allein das, was er darin lesen konnte, war schon Antwort genug. Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte sie sich diesem Thema verweigert, sie hätte vielleicht trotzig reagiert oder aber versucht, ihn zu umschmeicheln und abzulenken. Aber die Zeiten des Kindes, das seinen Willen durchsetzen wollte, selbst wenn es zum eigenen Nachteil war, waren vorüber.

      "Ich lasse mich von niemandem beherrschen." sagte sie schließlich ganz ruhig. "Nicht einfach so. Gegen manche Dinge kann ich aber nichts tun. Er ist in mir und das wird er immer sein, ob ich will oder nicht."

      Satons Magen schien sich zu verdrehen. Er wollte sich nicht vorstellen, welche Erfahrungen seine Tochter mit Ash-Zaharr gemacht hatte, allerdings wusste er, dass keine Begegnung mit der Großen Schlange sonderlich angenehm war - nicht für einen Batí und noch weniger für ein Mitglied der Ac-Sarr-Familie.

      "Tut er dir weh?" fragte er möglichst unbeteiligt.

      "Ich komme zurecht. Und ich will nicht mehr dazu sagen."

      Der Shaj nickte.

      "Weißt du, Lenyca..., ich kann nicht alles begreifen, was er tut. Oder wie er zu dir ist. Du bist wie ich... aber andererseits auch nicht. In mancher Hinsicht bist du wie deine Mutter und auch sie hat nie..."

      "Ich möchte auch nicht über sie sprechen."

      Die Worte versetzten Saton einen Stich. Wie jedes Mal. Schon immer hatte er versucht, mit Lennys über Cureda zu reden. Schon immer hatte er ihr begreiflich machen wollen, wie wundervoll sie gewesen war, wie freundlich und schön, wie klug und sanft. Aber seine Tochter hatte nie zugehört. Sie wollte nicht zuhören. Aus irgendeinem Grund, den er selbst nicht kannte, weigerte sich Lennys, etwas Gutes über ihre Mutter zu hören und der einzige Weg, einen ernsthaften Streit zu vermeiden, war, Cureda nicht zu erwähnen.

      "Wir müssen über sie sprechen."

      "Nein, das müssen wir nicht. Sie ist tot und es gibt nichts, was du sagen könntest, was an meiner Meinung über sie etwas ändert."

      Sie presste die Lippen aufeinander und ihre Augen funkelten wütend. Egal, was Saton auch versuchen würde, sie wollte sich nicht darauf einlassen. Zu lebendig war noch die Erinnerung an eine Nacht vor vielen Jahren. Damals war sie vielleicht sieben oder acht Jahre alt gewesen. Der Dämon hatte sie besucht, wie so oft, doch diesmal konnte sie seine Worte nicht einfach verdrängen.

      Deine Mutter hätte es verhindern können. Sie wusste, dass deine Geburt ein Verbrechen sein würde.

      Und sie hatte gefragt, ob sie deshalb gestorben war.

      Niemand, der mich so verrät, darf leben. Und du bist der Verrat selbst. Du wirst an deiner Mutter Statt die Strafe ertragen.

      Von jenem Tage an hatte sie nichts mehr von Cureda wissen wollen. Keine Lügen von Menschen, keine Schmeicheleien von Saton. Ash-Zaharr selbst hatte ihr die Wahrheit gesagt. Er hatte ihr nichts erklärt, aber, da war sie sich sicher, er hatte sie auch nicht belogen. Eines Tages würde sie erfahren, warum sie nicht hätte geboren werden dürfen. Sie würde erfahren, was ihre Mutter gewusst hatte und weshalb sie, Lennys, dafür bezahlen musste, dass sie lebte. Eines Tages.

      Inzwischen wollte sie es gar nicht mehr wissen. Und sie wollte auch nichts über die Frau erfahren, die ihr diese Bürde auferlegt hatte, ganz gleich, wie sehr Saton sie vergöttert hatte. Einiges hatte sie sich zusammengereimt, aber ob es der Wahrheit entsprach, war im Grunde unwichtig.

      Ihre Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück, wo ihr Vater nicht wie sonst versuchte, ihr ihren Willen zu lassen.

      "Was auch immer du über sie denkst, Lenyca,... sie war ein wunderbarer Mensch. Aber sie hat dir etwas...."

      "Ich will nichts davon hören!"

      "Das weiß ich wohl. Und du weißt, dass du mich damit verletzt. Und letztendlich vielleicht sogar dich selbst. Es gibt etwas, was ich dir sagen - oder vielmehr zeigen - muss. Erst danach wird der Weg der Nacht wirklich für dich frei sein. Denn ich muss dir die Wahl lassen, ob du ihn wirklich gehen willst."

      "Ich habe mich längst entschieden."

      "Ich bestehe darauf. Ich werde dir das letzte Geheimnis offenbaren. Deshalb wirst du die heutige Nacht auch nicht hier in der Kaserne verbringen, sondern zu Hause in der Burg."

      Lennys verzog ärgerlich das Gesicht.

      "Heute abend feiert Dway ihren Geburtstag."

      "Ich glaube, es schadet dir nicht, wenn du diese eine Feier ausfallen lässt. Nicht, dass ich dir den Spaß nicht gönne, aber soweit ich weiß, haben in letzter Zeit eine Reihe kleinerer Feste stattgefunden, bei denen du stets durch lange Anwesenheit geglänzt hast. Du bist fünfzehn. Im Gegensatz zu dir vergesse ich das nicht."

      Es war ein sonniger Tag, warm und hell. Kaum ein Cycala verließ bei diesem Wetter