Das Blut des Sichellands. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844268690
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zwei Schüler der unteren Klassen gegenüber standen. Es gelang Rahor kaum, Lennys etwas entgegenzusetzen, aber er parierte all ihre Schläge und schaffte es sogar, einigen ganz und gar auszuweichen. Dann plötzlich spürte er das kalte Silber der Klinge an seinem Hals.

      "Du wirst mich nie besiegen, Rahor Req-Nuur." sagte sie ernst. "Aber vielleicht alle anderen."

      "Es ist mir eine Ehre, hier empfangen zu werden, hoher Shaj." Der schwarzhaarige Mann mit den grauen Strähnen verneigte sich tief.

      "Nicht so förmlich, Celdros. Nur, weil dein letzter Besuch recht lange zurückliegt, heißt das nicht, dass du an Ansehen eingebüßt hast. Bitte, mach es dir bequem."

      Saton war bester Laune. Er freute sich über seinen Gast und ebenso über den Anlass des Treffens. Die vergangenen Wochen gehörten ohnehin zu den glücklichsten seit Langem und es war an der Zeit, auch anderen solche Freuden zu gönnen.

      "Sag, wie geht es deiner Tochter?"

      Celdros lächelte stolz.

      "Sehr gut. Sie ist ein wundervolles Mädchen. Sehr begabt. Die Priester reißen sich förmlich um sie."

      "Ich habe gehört, dass sie auch gern kämpft?"

      "Ja, das ist richtig. Ich vermag noch nicht zu sagen, für welche Säule sie sich am Ende entscheidet. Aber sie ist ja noch jung. Gerade erst vierzehn."

      "Wir könnten sie zum Neujahrsfest in die Probeklasse aufnehmen. Dann ist sie alt genug. Und sie hätte ein ganzes Jahr, um sich zu entscheiden, bevor sie die offiziellen Aufnahmeprüfungen für die Kasernen durchläuft."

      "Ich werde mit ihr darüber reden. Aber ich bin doch nicht hier, damit wir über Racyl sprechen, oder?"

      Saton lachte.

      "Nein, das nicht. Aber das bedeutet doch nicht, dass ich dir keine Ratschläge geben darf. Ihr seid eine große Kämpferfamilie. Und du, verehrter Celdros, hast ein hartes Los." Plötzlich huschte ein Anflug von Trauer über das Gesicht des Shajs. "Ich weiß, wie es ist, wenn man eine geliebte Frau verliert."

      Betreten sah Celdros zu Boden. Er hätte gern etwas Tröstendes erwidert, doch ihm wollte nichts einfallen. Bereits zweimal hatte er die Mutter eines seiner Kinder zu Grabe getragen und beide Male hatte es ihm das Herz zerrissen. Doch es war der Shaj, der sich nun wieder zu einem Lächeln zwang. Dies war kein Tag, an dem sich er oder Celdros mit solch düsteren Gedanken beschäftigen sollten.

      "Ich möchte dir zunächst einmal gratulieren." wechselte er abrupt das Thema. "Und ich möchte dich bitten, auch Rahor meine Glückwünsche auszurichten. Leider war es mir nicht möglich, selbst zur Prüfung zu erscheinen, aber nach allem was man so hört, scheint dein Junge für mächtig Aufsehen gesorgt zu haben."

      Auch Celdros strahlte wieder.

      "Nicht so sehr wie deine Tochter. Ich wüsste nicht, dass jemals eine Sechzehnjährige die Säulenprüfung abgelegt hat und noch dazu die gesamte Konkurrenz niedergekämpft hat."

      "Fünfzehn." korrigierte Saton. "Sie hat erst nächsten Monat Geburtstag. Aber jetzt lenke nicht ab. Rahor überflügelt bislang alle Sichelkrieger - mit gerade mal achtzehn Jahren. Du weißt, dass ich das nicht einfach ignorieren kann."

      Ein hoffnungsvoller Schimmer leuchtete in Celdros' Augen, doch er sagte nichts, sondern wartete ab.

      "Ich verrate dir kein Geheimnis, wenn ich dir sage, dass Iandal und Akosh die beiden freien Cas-Plätze einnehmen werden. Zawas lange Krankheit und Erqis' hohes Alter zwangen mich dazu, mich bereits jetzt zu entscheiden. Und auch Shineas Nachfolge... Nun, ich darf niemanden grundlos bevorzugen. Ich möchte aber nicht, dass du am Ende enttäuscht bist, wenn Rahor noch ein wenig warten muss."

      Celdros winkte hastig ab. "Enttäuscht? Ich und enttäuscht? Du... ich meine ihr..."

      "Du."

      "Nun... also... Saton, wenn... wenn ich dich recht verstehe, dann hältst du es für möglich, dass Rahor eines Tages...?"

      Saton nickte. "Mehr als nur für möglich. Der letzte Krieger, der in so jungen Jahren solche Erfolge verzeichnen konnte, war Wandan."

      "Und du." grinste Celdros.

      Der Shaj lachte. "Nun, das lassen wir mal außen vor. Was ich dir sagen will, ist, dass Rahors Weihe zum Cas kaum noch etwas entgegensteht. Von ein wenig Zeit einmal abgesehen. Iandal sollte eigentlich weit hinter ihm und Lennys stehen, aber ich muss auch das Alter berücksichtigen. Vielleicht wirst du dich noch ein paar Jahre gedulden müssen. Ich will keinen meiner Erwählten aus dem Kreise nehmen, solange sie es nicht selbst wünschen. Aber ich bin mir sicher, dass bald wieder ein Req-Nuur zu den Neun gezählt werden darf. Versteh mich nicht falsch. Ich muss auch an die Zukunft denken. Nicht nur an meine. Und was deinen Sohn angeht, bin ich sogar mit Lennys einer Meinung."

      "Es ist eine große Ehre für mich, dass deine Tochter meinen Sohn schätzt. Sie wird einmal eine große Cas werden."

      "Das hat Wandan auch einmal gesagt." schmunzelte Saton. "Und es wird vielleicht nicht mehr allzu lange dauern. Aber genug davon. Bitte richte deinem Sohn aus, dass sein Shaj ausgesprochen zufrieden mit ihm ist. Ich gedenke, ihn in Kürze nach Vas-Zarac abzuordnen, damit er dort seinen Dienst versieht. Das ist sicher im allseitigen Interesse."

      "Du ahnst nicht, was mir diese Neuigkeit bedeutet. Es war immer sein größter Wunsch, dem Shaj unmittelbar zu dienen und sei es nur durch bloßen Wachdienst vor den Festungsmauern."

      "Mit solchen Aufgaben wird er sich höchstens am Anfang begnügen müssen. Es hat sich gezeigt, dass es für ihn und meine Tochter sinnvoll ist, die Kampfstunden gemeinsam zu absolvieren. Es mangelt ihr an geeigneten Gegnern und ich halte es nicht für sinnvoll, sie ständig nur gegen Wandan kämpfen zu lassen. Man stelle sich nur vor, sie würde meinen obersten Cas besiegen... das möchte ich Wandan nicht antun."

      "Früher oder später würde es aber wohl so weit kommen."

      "Sicherlich. Das ist uns allen klar. Deshalb wird sich Wandan auch künftig ein wenig aus diesen Einzelstunden zurückziehen und Lennys wird gemeinsam mit Rahor geschult. Das ist wohl für alle das Beste."

      Celdros lachte über beide Ohren. So viele gute Nachrichten hatte er schon lange nicht mehr erhalten und er brannte darauf, sie seinem Sohn zu überbringen. Eine Frage, die ihm jedoch auf den Lippen brannte, beantwortete sein Gastgeber sogleich von selbst.

      "Ich hätte es ihm natürlich selbst sagen können. Aber es gibt da noch etwas, was ich mit dir zu besprechen hätte und das ist etwas, was wirklich unter uns bleiben sollte. Kann ich mich auf deine Verschwiegenheit verlassen?"

      "Natürlich, hoher Shaj. Kein Wort werde ich weitertragen."

      "Es ist etwas schwierig, dies zu formulieren. Ich versuche es dennoch. Lenyca... ist sicher nicht das, was man ein gewöhnliches Mädchen nennt. Und sie ist nicht einfach. Wenn Rahor eines Tages zum Cas geweiht wird, wird er - davon gehe ich aus, nicht nur den jetzigen Shaj beschützen, sondern auch den zukünftigen. Und Rahor ist nun einmal ein Mann und..."

      Saton musste nicht weiterreden. Celdros verstand ihn und auch die Bedenken, die er hatte. Bedenken - und Zweifel.

      "Mein Sohn und deine Tochter sind die einzigen, die darüber entscheiden sollten." sagte er geradeheraus. "Und wenn du Rahor die Weihe anbietest, so wird er sich auch darüber Gedanken machen, ohne dass ich ihn darauf hinweisen muss. Und ich bin sicher, auch Lennys wird das tun."

      Das Gras glitzerte noch vom Regen der letzten Nacht, doch die düsteren Wolken hatten sich verzogen. Stattdessen strahlte der Himmel in leuchtendem Blau, als wolle er einen besonders herrlichen Tag ankündigen. Die Sonne war noch nicht lange aufgegangen, doch zwischen den schlichten Gebäuden herrschte bereits reges Treiben. Trotz einiger harscher Kommandos, die hinter einer nicht allzu weit entfernten Mauer hervorschallten, war die Stimmung in diesem Teil der Kasernenanlagen eher ausgelassen.

      „Wir werden sicher eine Menge Spaß mit ihnen haben.“ lachte ein junger Bursche von vielleicht fünfzehn Jahren, der lässig neben einer Gruppe Gleichaltriger an einer Hauswand lehnte. „Wahrscheinlich können