"Das hast du mir alles schon mal gesagt. Mehr als einmal."
"Anscheinend nicht oft genug, denn offenbar hast du es nicht so ganz verstanden. Außerdem scheinst du immer noch der Meinung zu sein, nur aufgrund deiner Herkunft einen Rang zu haben, der über dem aller anderen steht. Muss ich dich daran erinnern, dass Saton selbst dir sehr deutlich klargemacht hat, dass du dich in Sachen Regeln, Anordnungen und Befehlen nicht nur ihm, sondern zumindest auch den Cas zu unterstellen hast, solange du dich noch nicht in der Ausbildung befindest?"
"Und wenn schon! In ein oder zwei Jahren habt ihr mir sowieso nichts mehr zu sagen!"
Wandan hob die Brauen.
"Warum bist du so wütend, Lenyca?"
"Nenn mich nicht Lenyca!"
"Also schön. Warum bist du so wütend, Lennys? Bisher sind wir beide doch recht gut miteinander ausgekommen, oder nicht?"
Sie zuckte die Achseln.
"Ich nehme an, du bist wütend, weil ich dich gestern abend und heute morgen nicht mit Samthandschuhen angefasst habe, ist das richtig? Nein, du musst darauf nicht antworten. Ich möchte eigentlich vermeiden, dass du noch mehr Dinge sagst, die dir schaden. Gut, du bist also gekränkt. Da bist du nicht die einzige." Er beugte sich hinab, griff nach etwas und holte es unter dem Schreibtisch hervor.
Die nicht einmal mehr halbvolle Sijakflasche stand nun direkt vor ihm.
"Ich bin auch gekränkt, Lennys. Mehr als das. Ich bin gekränkt und enttäuscht. Wahrscheinlich habe ich dir in letzter Zeit ein paar Komplimente zuviel gemacht - über deine Säbelfertigkeiten und deine Leistungen. Das tut dir offensichtlich nicht gut. Du denkst, dass du dir alles erlauben kannst und auch, dass du alle Rechte hast. Du hast von der Cas-Feier gehört und gedacht 'Das kann ich und darf ich auch.'. Und dabei hast du leider vergessen, dass du ein vierzehnjähriges Mädchen bist, dass noch nicht einmal eine einzige Säbelprüfung hinter sich gebracht. Ein vierzehnjähriges Mädchen mit dem Talent eines Erwachsenen, dem Verstand seiner Eltern und der Vernunft und dem Benehmen eines Kleinkindes. Keine gute Mischung, das muss ich schon sagen. Ich hatte dich für reifer gehalten. Für verantwortungsbewusster. Genau das bist du nämlich nicht."
"Bist du endlich fertig?"
"Noch lange nicht. Und ich würde dir dringend raten, dich ein wenig zu zügeln. Willst du mir unbedingt beweisen, dass ich recht habe? Wie wäre es, wenn du das Gegenteil tätest? Mir beweisen, dass ich falsch liege? Ich bin durchaus bereit, die eine oder andere Entgleisung von dir etwas gelassener zu sehen, wenn du mir Grund zu dieser Nachsicht gibst. Möglicherweise könntest du sogar einer härteren Strafe durch deinen Vater entgehen. Du musst lediglich dich selbst überwinden und mit ein bisschen entgegenkommen."
"Willst du mich erpressen?"
"Keineswegs. Ich möchte, dass du deine Fehler einsiehst und dafür geradestehst. Dass du nicht versuchst, dich herauszureden oder zum Gegenangriff zu blasen, sondern auch einmal zurücksteckst. Und ich möchte, vor allen Dingen eines: Dass du dich entschuldigst."
Lennys starrte ihn an. Die Wut tobte nun noch gewaltiger in ihr.
"Ich soll mich entschuldigen? Ich?"
"Ja, das solltest du. Es gab viele Momente in deinem Leben, in denen das angebracht gewesen wäre, aber du hast es nie getan. Jetzt aber... ist es nicht nur angebracht, sondern auch das einzig Richtige. Und das einzige, was ich akzeptiere."
"Niemals!"
"Bist du dir da so sicher? Ich werde dir jetzt etwas erzählen. Etwas, was du nicht wissen kannst. Ich werde dir erzählen, wie Menschen sich verhalten können. Ich bin sehr gespannt, wie du darüber denkst."
Er lächelte, setzte sich etwas bequemer hin und sah beinahe so aus, als würde er sich auf diesen Teil des Gespräches besonders freuen.
"Ein junger Mann wird von jemandem, den er sehr gern mag, zu einer kleinen Dummheit überredet. Er weiß, dass es falsch ist, was er tut, aber der Jemand überzeugt ihn schließlich, so dass er nicht wagt, dem etwas entgegenzusetzen. Er versucht aber, den Jemand davon abzuhalten, diese Dummheit noch schlimmer zu machen - leider vergeblich. Die Sache fliegt auf. Der junge Mann kommt ungeschoren davon, der andere jedoch, den er eigentlich gern hat, wird erwischt und bekommt Ärger. Also, was macht der Junge? Er nimmt seinen ganzen Mut zusammen, und geht zu denen, die den anderen eigentlich bestrafen wollen und müssen. Und er nimmt die ganze Schuld auf sich. Er sagt, es sei seine Idee gewesen. Er sagt, er habe nicht recht nachgedacht und nicht genügend aufgepasst. Er stellt sich dumm und sagt, er habe die Situation unterschätzt. Und er entschuldigt sich sogar dafür, dass er weggelaufen ist. Und er bittet darum, diesem Jemand, für den er gerade lügt, nicht zu böse zu sein, denn eigentlich sei es ja seine Schuld gewesen."
"Schön blöd."
"Mag sein. Aus der Sicht des Jungen ist es sicher unnötig gewesen. Er handelt sich ja auf diese Art sehr viel Ärger ein, den er nicht verdient hat, oder?"
"Ist doch selbst schuld. Warum erzählst du mir das?"
"Versetze dich doch einmal kurz in die Lage des anderen. Denkst du nicht, es wäre nur gerecht, wenn er die Sache richtigstellen würde? Denkst du nicht, er sollte so ehrlich sein und zugeben, dass nicht der Junge den Fehler gemacht hat, sondern er selbst?"
"Dann wäre er auch dumm."
"Findest du es dumm, ehrlich zu sein? Was wäre, wenn der, der eigentlich diesen Fehler zu verantworten hat, nur um Verzeihung bitten müsste, damit die ganze Sache glimpflich ausgeht?"
"Wenn das alles ist, soll er doch, dann haben beide Ruhe. Aber du langweilst mich mit diesen Geschichten!"
"Ja, so etwas habe ich befürchtet. Wir werden dieses kleine Beispiel einmal kurz beiseite lassen. Vergiss es aber nicht gleich. Ich habe jetzt ein paar Fragen an dich..."
"Wenn es sein muss..."
"Oh ja, das muss es. Also... woher hattest du den Sijak?"
"Aus dem Burgkeller."
"Hast du ihn selbst dort geholt?"
"Nein."
"Wer war es dann?"
"Das sage ich nicht."
Ein zufriedenes Leuchten trat kurz in Wandans Augen, verschwand aber sogleich wieder.
"Hast du demjenigen gesagt, dass er es tun soll?"
"Ja."
"Nun, zumindest lügst du mich nicht an. Gut. Wer war noch mit dir an diesem Platz hinter den Hecken?"
"Das spielt keine Rolle."
"Das tut es durchaus. Waren es mehrere? Oder nur der eine, den ich weglaufen sah?"
"Das ist egal."
"Wer war der eine?"
"Ich verpetze niemanden! Was denkst du eigentlich von mir?"
Wandan lachte kurz auf. "Das möchtest du wohl lieber nicht wissen. Aber schön, du verpetzt niemanden, wie du so schön sagst. Immerhin. War diese ganze Geschichte deine Idee?"
Sie sagte nichts.
"Ich habe gefragt, ob es deine Idee war. Hast du die