Das Blut des Sichellands. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844268690
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wirst. Es sei denn, du wirst dich offiziell krank melden. Und zwar persönlich. Und den Grund für deine Krankheit mitteilen. Bei all den Lehrern, deren Stunden du versäumen würdest. Wenn du das tust, werde ich deinem Wunsch nachgeben.“

      Noch immer sah die Tochter des Shaj nicht auf. Sie spürte, wie sie rot wurde.

      „Ich werde jetzt hinausgehen, damit du dich anziehen und waschen kannst. Dann kommst du zu den Rosenhecken, falls du dich noch erinnern kannst, wo diese sind. Wir werden dann einen netten kleinen Spaziergang machen, bis du wieder halbwegs sicher auf den Beinen stehst. Und dann bringe ich dich zur Geschichtsstunde. Ich nehme an, du verzichtest freiwillig auf das Frühstück?“

      Sie nickte stumm.

      „Gut. Ich werde mich heute mittag bei deinen Lehrern erkundigen. Wenn du ihnen auch nur den geringsten Anlass zum Tadel gibst, kannst du etwas erleben, das verspreche ich dir. Deine Säbelstunden fallen heute aus. Stattdessen wirst du nach dem Mittagessen in mein Arbeitszimmer kommen und ich hoffe, dass du dann etwas gesprächiger bist.“

      Er stand auf, stellte den Lehnstuhl zurück an den Schreibtisch und ging hinaus.

      „Und ich würde dir dringend raten, mich jetzt nicht zu lange warten zu lassen!“ rief er ihr noch durch die geschlossene Tür zu.

      Es wurde kein angenehmer Vormittag. Wandan sprach vor dem Unterricht kein Wort mehr mit Lennys und der angekündigte Spaziergang entpuppte sich als Dauerlauf über das gesamte Burggelände. Allein danach hätte die Tochter des Shajs am liebsten doch die Schmach in Kauf genommen, sich bei jedem Lehrer persönlich von den Stunden abzumelden, doch dafür war es zu spät. Mehrere Krieger und zahlreiche Dienstboten hatten sie bereits gesehen.

      Nach der trockenen Geschichtsstunde folgte der besonders zähe Landeskundesunterricht und danach noch die von Lennys besonders verhasste Schriftlehre. Sie hatte bislang nicht begreifen können, wozu sie diese zahlreichen Grußformeln und Regeln für Sendschreiben hatte lernen müssen - für so etwas gab es schließlich Diener, Schreiber und Boten. Immer wieder schweiften ihre Gedanken zu der bevorstehenden Unterredung mit Wandan ab und jedes Mal riss sie eine schwierige Frage des Lehrmeisters wieder in die Gegenwart zurück. Heute hatten es scheinbar alle besonders auf sie abgesehen.

      Als die Mittagszeit nahte, rebellierte ihr Magen immer noch und sie beschloss, auch diese Mahlzeit ausfallen zu lassen und die dadurch gewonnene Stunde für eine Ruhepause zu nutzen, die sie dringend benötigte. Sie war entsetzlich müde, die Kopfschmerzen hatten auch noch nicht nachgelassen und sie wollte eigentlich nur eines - sich so schnell wie möglich ins Bett legen und am besten nie wieder aufstehen.

      Auf dem Weg zu ihrem Zimmer begegnete sie dem Cas Cala. Er hatte bereits nach ihr gesucht und die Nachricht, die er ihr überbrachte, ließ sie leise fluchen.

      "Wandan schickt mich. Er lässt dir ausrichten, dass du, für den Fall, dass du nicht zum Essen gehst, sofort zu ihm kommen sollst."

      Als hätte er es geahnt. Einen Augenblick lang fragte sich Lennys, ob Cala wusste, weshalb Wandan sie erwartete. Eine andere Frage schob sie noch vor sich her. Hatte der oberste Cas mit Saton gesprochen? Und wenn nicht, wie konnte sie ihn davon abbringen? Es war schlimm genug, wenn Wandan sie in die Mangel nahm, aber an die Reaktion ihres Vaters mochte noch nicht einmal Lenyca gern denken. Trotzdem nahm sie sich vor, sich von dem Krieger nicht kleinkriegen zu lassen. Was hatte sie schon Falsches getan? Es war nichts passiert, niemand hatte sie gesehen und sie hatte sich, soweit sie es einschätzen konnte, auch nicht ungebührlich verhalten. Für ihren Geschmack übertrieb Wandan maßlos.

      Mürrisch und betont langsam ging sie um den Burghof herum in Richtung des Casflügels. Am liebsten hätte sie einen noch größeren Umweg gemacht, um der brennenden Sonne zu entgehen, aber auf der anderen Hofseite, die im Schatten lag, stand eine ganze Gruppe von Küchenmägden und Waschweibern, von denen sie sich lieber fernhalten wollte. Stattdessen bog sie in einen kleinen Seitentrakt ab.

      Hierher kam sie selten. In diesem Teil der Burg lagen die Arbeitszimmer der höheren Dienerschaft, die den Haushalt Vas-Zaracs verwalteten. Aber Diener waren immer noch Diener und wenn sie einen benötigte, so ließ sie nach ihm rufen und suchte nicht selbst nach ihnen. In diesem Fall musste sie aber wohl oder übel eine Ausnahme machen.

      Da sie nicht sicher war, welche Tür die richtige war, stieß sie die erstbeste Pforte auf. Dahinter fuhr ein älterer Mann, an dessen Namen sie sich nicht erinnern konnte, an seinem Schreibtisch erschrocken zusammen.

      "Herrin Lenyc... Lennys... welche eine Ehre...Wie... wie kann ich euch helfen?"

      "Wo ist Afnan?"

      "Oh... er... er... ich habe ihn heute noch nicht gesehen, Herrin. Vielleicht ist er..."

      "Ich habe keine Lust, die ganze Festung nach ihm abzusuchen."

      Schon halb im Gehen, zögerte Lennys dann aber doch kurz. "Hast du hier Heilmittel?" fragte sie so belanglos wie möglich.

      "Heilmittel?"

      "Etwas gegen Kopfschmerzen zum Beispiel."

      "Nein, Herrin, das tut mir leid. Nicht hier. Aber ich kann euch etwas bringen lassen, wenn ihr möchtet. Es wird sicher nicht lange dauern..."

      "Nein." Ohne ein weiteres Wort kehrte Lennys in den kühlen Flur zurück. Konnte denn heute gar nichts nach ihren Wünschen verlaufen?

      "Du warst nicht beim Essen." Wandan sah Lennys noch nicht einmal an, als sie eintrat, sondern drehte ihr den Rücken zu und studierte weiter die Schriftrolle, die er gerade in der Hand hielt.

      "Nein."

      "Warum kommst du dann erst jetzt? Cala hat dich doch sicher erreicht, oder?"

      "Ja."

      "Und?"

      Sie hasste es, so von oben herab behandelt zu werden und hätte Wandan am liebsten gründlich die Meinung gesagt. Wie konnte er es wagen, so mit ihr zu reden? Dennoch beschloss sie, erst einmal abzuwarten.

      "Ich habe dich etwas gefragt." wiederholte Wandan erstaunlich ruhig. "Warum bist du nicht sofort hierhergekommen, so wie ich es dir habe mitteilen lassen?"

      "Ich war beschäftigt."

      Jetzt sah er zum ersten Mal auf.

      "Beschäftigt? Aha..."

      Er ging um ein Bücherregal herum, das mitten im Raum stand, verschwand dahinter in eine Ecke, die Lennys nicht einsehen konnte und kehrte gleich darauf ohne die Schriftrolle wieder zurück.

      "Setz dich."

      'Ich setze mich, wann es mir passt und nicht, wenn man mich dazu auffordert.' dachte Lennys störrisch und obwohl sie liebend gern Platz genommen hätte, blieb sie stehen. Wandan achtete nicht darauf, ließ sich in einen ausladenden, gepolsterten Stuhl mit breiten Armlehnen sinken, der hinter seinem Schreibtisch stand und verschränkte die Arme.

      "Du warst heute nicht gerade bei der Sache. Im Geschichtsunterricht hast du die meisten Fragen falsch oder nur teilweise beantwortet. Und über deine Fehler in der Schriftlehre an diesem Tag reden wir mal besser gar nicht erst."

      "Spionierst du mir nach?"

      "Natürlich tue ich das. Es gehört zu meinen Aufgaben, falls dir das bisher entgangen ist. Du siehst also, auch die Cas müssen Dinge tun, die ihnen nicht gefallen. Ich kann mir wirklich Schöneres vorstellen, als mich den ganzen Tag mit deinem Benehmen herumzuärgern."

      "So darfst du nicht mit mir reden!"

      "Ob du es glaubst oder nicht - ich darf. Aber es steht dir völlig frei, dich bei Saton darüber zu beschweren."

      "Das werde ich auch!"

      "Schön. Übrigens glaube ich, dass dies hier ein längeres Gespräch wird. Bist du dir sicher, dass du weiterhin stehenbleiben willst?"

      "Ja."

      "Wie du willst. Zunächst einmal werden wir ein paar ganz grundsätzliche Dinge klären." Er klang immer noch erstaunlich freundlich und Lennys fragte sich, wann genau der Krieger die große Standpauke einläuten würde.