Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Christian Andersen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746750194
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und die alten Damen, die Blumentöpfe mit den langen Ohren, die Stühle und die alten Schränke wegtrug. Eins kam hier hin, ein Anderes dorthin; ihr Portrait, das vom Trödler gekauft war, kam wieder zum Trödler, und da blieb es hängen; denn Niemand bekümmerte sich um das alte Bild.

      Im Frühjahre riß man das Haus selbst ein, es sei ein Gerumpel, sagten die Leute. Man konnte von der Straße gerade in die Stube zu dem schweinsledernen Ueberzuge sehen, der zerfetzt und abgerissen wurde, und das Grün des Altans hing verwildert um die Einsturz drohenden Balken herum, – Und nun wurde hier aufgeräumt.

      »Das half!« sagten die Nachbarhäuser.

      Es wurde ein herrliches Haus aufgebaut mit großen Fenstern und weißen, glatten Mauern; aber vor dem Platze, wo das alte Haus gestanden hatte, wurde ein kleiner Garten angelegt, und an der Mauer des Nachbars wuchsen wilde Weinranken empor; vor den Garten kam ein großes eisernes Gitter mit eiserner Thüre; das sah stattlich aus. Die Leute blieben davor stehen und guckten hindurch. Und die Sperlinge setzten sich zu Dutzenden auf die Weinranken und schwatzten durcheinander, so laut sie konnten; aber nicht von dem alten Hause, denn dessen konnten sie sich nicht erinnern; es waren ja viele Jahre vergangen – so viele, daß der kleine Knabe zu einem Manne, ja zu einem tüchtigen Manne herangewachsen war, an dem seine Eltern Freude hatten. Er hatte eben geheirathet und war mit seiner Frau in das Haus gezogen, vor dem sich der Garten befand; und hier stand er neben ihr, während sie eine Feldblume einsetzte, die sie sehr hübsch fand; sie pflanzte sie mit ihrer kleinen Hand und drückte die Erde mit ihren Fingern fest an. – »Au! Was war das?« – Sie stach sich. Aus der weichen Erde ragte etwas Spitzes hervor. Das war – ja, denkt einmal! – das war der Zinnsoldat, derselbe, der oben bei dem alten Manne verloren gegangen war, der zwischen Zimmerholz und Schutt sich lange umhergetrieben und nun schon viele Jahre in der Erde gelegen hatte.

      Die junge Frau trocknete den Soldaten erst mit einem grünen Blatte ab, und dann mit ihrem seinen Taschentuche – das duftete wunderschön! Und es war dem Zinnsoldaten gerade so zu Muthe, als ob er aus einer Ohnmacht erwache.

      »Laß mich ihn sehen!« sagte der junge Mann, lächelte und schüttelte dann mit dem Kopfe: »Ja, der kann es nun freilich wohl nicht sein; aber er erinnert mich an eine Geschichte mit einem Zinnsoldaten, den ich hatte, als ich ein kleiner Knabe war.« Und dann erzählte er seiner Frau von dem alten Hause und dem alten Manne, und von dem Zinnsoldaten, den er ihm hinüber geschickt hatte, weil er allein war, so daß der jungen Frau die Thränen in die Augen traten über das alte Haus und den alten Mann.

      »Es ist doch möglich, daß dies derselbe Zinnsoldat ist!« sagte sie; »ich will ihn aufbewahren und will Dessen gedenken, was Du mir erzählt hast; aber das Grab des alten Mannes mußt Du mir zeigen.«

      »Ja, ich weiß nicht, wo das ist« antwortete er, »und das weiß Niemand. Alle seine Freunde waren todt; Keiner pflegte dasselbe, und ich war ja ein kleiner Knabe!«

      »Ach, wie der wohl allein gewesen sein mag!« sagte sie.

      »Ja, allein!« sagte der Zinnsoldat; »aber herrlich ist es, nicht vergessen zu werden!«

      »Herrlich!« rief eine Stimme ganz nahe bei; aber Niemand, außer dem Zinnsoldaten, sah, daß diese von einem Fetzen der schweinsledernen Tapete herkam, der nun ohne alle Vergoldung war. Er sah aus, wie nasse Erde; aber eine Ansicht hatte er doch, und die sprach er aus:

      »Vergoldung vergeht,

      Aber Schweinsleder besteht!«

      Allein der Zinnsoldat glaubte das nicht.

      In der Armenschule saß unter den andern Kindern auch ein kleines Judenmädchen. Es war ein gutes, aufgewecktes Kind, das flinkste in der ganzen Schule; aber es mußte doch von einer der Lehrstunden ausgeschlossen bleiben – am Religionsunterrichte nämlich durfte es nicht Theil nehmen; war doch die Schule eine christliche.

      Das Lehrbuch der Geographie durfte das Mädchen während dessen aufschlagen, oder auch das Rechenexempel für den nächsten Tag ausarbeiten, aber das war bald gethan, und hatte sie die Aufgabe aus der Erdbeschreibung erledigt, so blieb das Buch zwar aufgeschlagen vor ihr liegen, aber sie las nicht weiter darin; sie lauschte still den Worten des christlichen Lehrers, und dieser wurde bald inne, daß sie aufmerkte wie fast keins der andern Kinder.

      »Lies Du in Deinem Buche, Sara,« sagte der Lehrer mit mildem Ernste; allein ihr schwarzes, strahlendes Auge blieb an ihm hangen, und als er einmal eine Frage an sie richtete, siehe, da wußte sie besser Bescheid als alle die andern Kinder. Sie hatte gehört, begriffen und tief in ihr Herz geschlossen, was er gesprochen.

      Ihr Vater, ein armer, braver Mann, hatte, als er die Tochter in die Schule brachte, die Bedingung gestellt, daß sie vom Unterrichte im christlichen Glauben ausgeschlossen bliebe. Aber es hätte vielleicht Störung verursacht, oder gar Aergerniß des Gemüths bei den Andern erwecken können, wenn man sie während jener Unterrichtsstunde entfernt hätte, sie blieb demnach; doch so durfte es nun ferner nicht mehr sein.

      Der Lehrer begab sich zu dem Vater und stellte diesem vor, er möchte entweder seine Tochter aus der Schule nehmen, oder gewärtigen, daß Sara eine Christin werde. »Ich kann nicht länger ein müßiger Zuschauer dieser leuchtenden Blicke des Kindes, dieser Innigkeit und Sehnsucht der Seele nach dem Worte des Evangeliums bleiben,« sagte der Lehrer.

      Da brach der Vater in Thränen aus: »Ich weiß nur wenig von meiner Väter Gebote,« rief er, »aber die Mutter Sara's war fest im Glauben, eine Tochter Israels, und ihr gelobte ich auf dem Sterbebette, daß unser Kind nimmer getauft werden solle. Ich muß mein Gelübde halten, es ist mir gleich einem Bunde mit Gott!«

      Und das kleine Judenmädchen verließ die Schule der Christen.

      – – Es sind Jahre verstrichen.

      In einer der kleinsten Provinzialstädte diente in einem geringen Hause ein armes Mädchen mosaischen Glaubens; ihr Haar war schwarz wie Ebenholz, ihr Auge dunkel wie die Nacht, und doch voll Glanz und Licht, wie es den Töchtern des Orients eigen ist. Es war Sara. Der Ausdruck im Antlitze des nun erwachsenen Mädchens war noch, immer der des Kindes, als es auf der Schulbank saß und sinnenden Blickes den Worten des christlichen Lehrers lauschte.

      Allsonntäglich ertönte aus der Kirche die Orgel und der Gesang der Gemeinde; sie klangen über die Straße in das Haus hinein, wo das Judenmädchen, fleißig und in Allem getreu, bei ihrer Arbeit stand. »Du sollst den Sabbath heilig halten!« erklang eine Stimme, die Stimme des Gesetzes in ihrem Innern; aber ihr Sabbath war ein Arbeitstag bei den Christen, und das schien ihr nicht zu genügen. Rechnet Gott denn nach Tagen und Stunden? sprach es in ihrer Seele, und als erst dieser Gedanke in ihr lebendig geworden, war es ihr ein Trost, daß am Sonntage der Christen die Andachtsstunde ungestörter bliebe; drangen dann die Klänge der Orgel und die Lieder der Gemeinde von drüben zu ihr in die Küche bei der Arbeit herein, da wurde ihr selbst dieser Ort ein geweihter. Alsdann las sie in dem Alten Testamente, dem Schatze und Horte ihres Volkes, und nur in diesem las sie; denn was der Vater, was der Lehrer ihr gesagt, als sie aus der Schule trat, das Gelübde, welches der Vater ihrer sterbenden Mutter gegeben, daß sie nie der christlichen Taufe theilhaftig werden, nie den Glauben der Väter verleugnen dürfe, das bewahrte sie treu in ihrem tiefen Sinne. Das Neue Testament sollte und mußte ihr ein verschlossenes Buch bleiben, und doch wußte sie gar Vieles aus demselben, das Evangelium klang mit den Erinnerungen ihrer Kindheit in ihr nach.

      Eines Abends saß sie in einem Winkel der Wohnstube. Ihr Dienstherr las laut vor, und ihm durfte sie wohl lauschen, war es doch nicht das Evangelium, sondern ein altes Historienbuch, aus welchem er las, da durfte sie wohl bleiben. Das Buch erzählte von einem ungarischen Ritter, der von einem türkischen Pascha gefangen genommen wurde, welcher ihn neben seinen Ochsen vor den Pflug spannen, ihn mit Peitschenhieben antreiben und bis aufs Blut peinigen, verhöhnen und fast verschmachten ließ. Das treue Weib des Ritters entäußerte sich daheim ihres Geschmeides und verpfändete Burg und Land; des Ritters Freunde brachten große Summen zusammen, denn fast unerschwinglich hoch war das geforderte Lösegeld; aber es wurde zusammengebracht und der Ritter aus Sklaverei und Schmach erlöst. Krank und leidend langte er in seiner Heimath an. Bald jedoch erscholl ein