»Sie reisen wohl sehr weit?« fragte der gelehrte Mann.
»Wie man's nimmt!« sagte der Schatten. »Eine Reise wird Ihnen sehr gut thun. Wollen Sie mein Schatten sein? dann sollen Sie Alles auf der Reise frei haben.«
»Das ist doch zu toll!« sagte der gelehrte Mann.
»Aber so ist nun einmal die Welt,« sagte der Schatten, »und so wird es auch bleiben!« Dann entfernte er sich.
Dem gelehrten Manne ging es gar nicht gut; Sorgen und Kummer verfolgten ihn; und was er von dem Wahren, dem Guten und dem Schönen sprach: das war den Meisten, was die Muskatnuß der Kuh. Er wurde zuletzt krank.
»Sie sehen wirklich aus wie ein Schatten!« sagten die Leute zu ihm, und es überlief den gelehrten Mann wie ein Schauer, denn er hatte dabei seine eigenen Gedanken.
»Sie müssen in ein Bad reisen!« sagte der Schatten, der ihm einen Besuch machte. »Es giebt keine andere Hilfe für Sie. Ich will Sie um unserer alten Bekanntschaft willen mitnehmen. Ich bezahle die Reise und Sie machen die Beschreibung davon und vertreiben mir damit die Zeit unterwegs. Ich will in ein Bad; mein Bart wächst nicht so recht, wie er sollte, das ist auch eine Krankheit; und einen Bart muß ich doch haben. Seien Sie vernünftig, und nehmen Sie mein Anerbieten an; wir reisen wie Cameraden.«
Und sie reisten. Der Schatten war nun Herr und der Herr war Schatten. Sie fuhren mit einander, sie ritten und gingen zusammen, neben einander, vor und hinter einander, wie die Sonne eben stand. Der Schatten wußte stets den Ehrenplatz einzunehmen; das fiel dem gelehrten Mann nun nicht weiter auf; er hatte ein sehr gutes Herz und war außerordentlich mild und freundlich. Da sagte der Herr eines Tages zum Schatten: »Da wir nun auf solche Weise Reisecameraden geworden und zugleich von Kindesbeinen an mit einander aufgewachsen sind, wollen wir da nicht Brüderschaft trinken? Das Du klingt doch vertraulicher.«
»Sie sagten da etwas,« sagte der Schatten, der ja nun eigentlich der Herr war, »was sehr wohlwollend und geradezu gesagt ist; ich will nun ebenso wohlwollend und geradezu sein. Sie, der Sie ein gelehrter Mann sind, wissen es wohl, wie wunderlich die Natur ist. Es giebt Menschen, die es nicht vertragen können, graues Papier anzuriechen; es wird ihnen unwohl davon; Andern geht es durch Mark und Bein, wenn man mit einem Nagel an einer Glasscheibe kritzelt, ich für meine Person habe ein ähnliches Gefühl, wenn ich Sie Du zu mir sagen höre: ich fühle mich dadurch, wie in meiner ersten Stellung bei Ihnen, zu Boden gedrückt. Sie sehen, daß dies ein Gefühl ist, kein Stolz. Ich kann Sie nicht Du zu mir sagen lassen; aber ich will gern Du zu Ihnen sagen: da wird ihr Wunsch doch wenigstens zur Hälfte erfüllt.«
Und nun sagte der Schatten Du zu seinem frühern Herrn. »Das ist doch etwas stark,« dachte dieser, »daß ich Sie sagen muß, er aber Du sagt;« doch er mußte es sich gefallen lassen.
Sie kamen in ein Bad, wo viele Fremde waren und unter diesen eine wunderschöne Königstochter, welche die Krankheit hatte, daß sie allzuscharf sah, was sehr beunruhigend war.
Sogleich merkte sie, daß der Neuangekommene eine ganz andere Person sei, als alle die Andern. »Man sagt, daß er hier ist, um seinen Bart zum Wachsen zu bringen; aber ich erkenne die rechte Ursache: er kann keinen Schatten werfen!«
Nun war sie neugierig geworden, und daher ließ sie sich auf der Promenade mit dem fremden Herrn sogleich in ein Gespräch ein. Als eine Königstochter brauchte sie nicht erst viel Umstände zu machen, deshalb sagte sie gerade heraus zu ihm: »Ihre Krankheit besteht darin, daß Sie keinen Schatten werfen können.«
»Ihre Königliche Hoheit müssen sehr auf dem Wege der Besserung sein,« sagte der Schatten. »Ich weiß, Ihr Uebel besteht darin, daß Sie allzuscharf sehen; aber das hat sich gegeben; Sie sind wieder hergestellt. Ich habe einen ungewöhnlichen Schatten. Sehen Sie nicht die Person, die stets neben mir geht? Andere Menschen haben einen gewöhnlichen Schatten; aber ich liebe das Gewöhnliche nicht. Man giebt oft seinen Dienern feineres Tuch zur Livree, als man selbst trägt, und so habe ich meinen Schatten sich zu einem Menschen herausputzen lassen; ja, Sie sehen, daß ich ihm sogar einen Schatten gegeben habe. Das kostet sehr viel, aber ich liebe es, etwas Apartes zu haben.«
»Wie,« sagte die Prinzessin »sollte ich mich wirklich erholt haben? Dieses Bad ist das beste, welches es giebt; das Wasser hat in unseren Zeiten ganz wunderbare Kräfte. Aber ich reise noch nicht von hier fort, denn jetzt wird es erst amüsant; der fremde Prinz – denn ein Prinz muß es sein – gefällt mir außerordentlich gut. Wenn nur sein Bart nicht wächst, denn dann reist er wieder ab.«
Am Abende in dem großen Ballsaale tanzten die Königstochter und der Schatten zusammen. Sie war leicht, aber er war noch leichter; einen solchen Tänzer hatte sie noch nie gesehen. Sie sagte ihm, aus welchem Lande sie sei, und er kannte das Land; er war da gewesen, aber damals war sie abwesend; er hatte durch die Fenster des Schlosses gesehen, sowohl von unten, wie von oben: er hatte das Eine und das Andere erfahren, und daher konnte er der Königstochter antworten und Anspielungen machen, über die sie sehr erstaunte. Er mußte der klügste Mann der Erde sein; sie bekam einen großen Respect vor Allem, was er wußte. Und als sie wieder mit ihm tanzte, ward sie verliebt in ihn; und das bemerkte der Schatten sehr, denn sie hätte ihn beinahe mit ihren Augen durch und durch gesehen. Sie tanzten noch einmal, und sie war nahe daran, es ihm zu sagen; aber sie war vernünftig, sie dachte an ihr Land und Reich und an die vielen Menschen, über die sie regieren sollte. »Ein kluger Mann ist er,« sagte sie zu sich selbst, »das ist gut; und ganz vortrefflich tanzt er, das ist auch gut: aber sollte er wohl gründliche Kenntnisse haben? Das ist ebenso wichtig; er muß examinirt werden.« Und nun richtete sie sogleich eine schwierige Frage an ihn, daß sie selbst nicht darauf hätte antworten können; und der Schatten machte ein sonderbares Gesicht.
»Darauf können Sie mir nicht antworten,« sagte die Königstochter.
»Das habe ich schon in meinen Kinderjahren gelernt,« sagte der Schatten; »ich glaube sogar mein Schatten, der dort an der Thüre steht, würde darauf antworten können.«
»Ihr Schatten?« sagte die Königstochter; »das wäre sehr merkwürdig.«
»Ich sage es nicht als bestimmt, daß er es kann,« sagte der Schatten; »aber ich mochte es fast glauben. Er ist mir schon so manches Jahr gefolgt und hat gar Vieles von mir gehört: ich möchte es glauben. Aber Ihro Königliche Hoheit erlauben mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß er so stolz darauf ist, für einen Menschen zu gelten, daß er, wenn er bei guter Laune sein soll – und das muß er sein, um richtig zu antworten – ganz wie ein Mensch behandelt sein will.«
»Das gefällt mir!« sagte die Königstochter.
Und nun ging sie zu dem gelehrten Manne an der Thür; und sprach mit ihm von Sonne und Mond, von den grünen Wäldern und von den Menschen nah und fern, und der gelehrte Mann antwortete sehr klug und sehr gut.
»Was das für ein Mann sein muß, der einen so klugen Schatten hat!« dachte sie. »Es würde ein wahrer Segen für mein Volk und mein Reich sein, wenn ich Den wählte; – ich thue es!«
Und sie wurden bald einig, die Königstochter und der Schatten nämlich; aber Niemand sollte etwas davon wissen, bevor sie in ihr Reich heimgekehrt war.
»Niemand; nicht einmal mein Schatten!« sagte der Schatten, und dazu hatte er seine besonderen Gründe.
Sie kamen nach dem Lande, wo die Königstochter regierte, wenn sie zu Hause war.
»Höre, mein Freund,« sagte der Schatten zu dem gelehrten Manne, »jetzt bin ich so glücklich und mächtig, wie nur Jemand es werden kann; jetzt will ich auch etwas Besonderes für Dich thun. Du sollst bei mir auf dem Schlosse wohnen, mit mir in einem königlichen Wagen fahren und hunderttausend Reichsthaler jährlich haben; aber Du mußt Dich von Allen und Jedem Schatten nennen lassen und darfst es nie sagen, daß Du jemals Mensch gewesen bist; und dann mußt Du jährlich einmal, wenn ich auf dem Altane im Sonnenscheine sitze und mich sehen