Und der Zauberer, der keinen Namen hatte, sah durch das Vergrößerungsglas. Es sah wirklich aus darin, wie eine Stadt, in der alle Menschen ohne Kleider umherliefen! Es war schauderhaft! Aber noch schauderhafter war es, zu sehen, wie der Eine den Andern puffte und stieß, hackte und schnappte, biß und zerrte. Was unten war, sollte nach oben, und was oben war, sollte nach unten! Sieh, sieh! Sein Bein ist länger als meins! Bah! Weg damit! Da ist Einer, der hat ein Beulchen. Aber das thut ihm weh, und deshalb soll es noch mehr weh thun. Sie hackten darauf los, zerrten an ihm herum, und verschlangen ihn wegen des Beulchens. Da saß Eine so still, wie eine kleine Jungfrau, und wünschte blos Friede und Ruhe. Aber nun mußte sie hervor! Sie zerrten an ihr, rissen sie herum und verschlangen sie!
»Das ist spaßhaft!« sagte der Zauberer.
»Ja, aber was meinst Du denn, was das ist?« fragte Kribbel-Krabbel. »Kannst Du das ausfindig machen?«
»Nun, das kann man doch wohl sehen!« sagte der Andere. »Das ist ja Paris oder eine andere große Stadt; – sie gleichen sich ja alle einander. Eine große Stadt ist es!«
»Das ist Pfützenwasser!« sagte Kribbel-Krabbel.
Zwei Jungfern.
Hast Du wohl jemals eine Jungfer gesehen? das heißt was die Steinsetzer eine Jungfer nennen, ein Ding, mit welchem sie das Straßenpflaster feststampfen. Eine solche Jungfer ist ganz und gar von Holz, unten breit und mit eisernen Zwingen versehen, oben schmal mit einem Stocke quer durch die nicht geschnürte Taille, – und der Stock bildet die Arme der Jungfrau.
Drinnen in der Niederlage standen zwei solche Jungfern, sie hatten ihren Platz zwischen Schaufeln, Handwagen, Schiebkarren und Klaftermaßen, und zu dieser ganzen Sippschaft war das Gerücht gedrungen, daß »die Jungfern« nicht länger »Jungfern«, sondern »Handrammen« heißen sollten, was die neueste und allein richtige Benennung in der Steinsetzersprache ist für das Ding, welches wir Alle in früheren, guten Zeiten stets eine Jungfer nannten.
Nun giebt es unter uns Menschen was man so nennt, »freigestellte Frauenzimmer«, als da sind Institutvorsteherinnen, Hebammen, Tänzerinnen, welche von Amtswegen auf einem Beine stehen, Modistinnen und Krankenwärterinnen, und an diese Reihe »Freigestellter« schlossen sich auch die zwei Jungfern in dem Schuppen an; sie waren Jungfern beim Straßenwesen, und sie wollten durchaus nicht ihren guten ehrlichen Namen aufgeben und sich »Handrammen« benennen lassen.
»Jungfer ist ein Menschenname,« sagten sie, »aber Handramme ist ein Ding, und wir lassen uns nicht Ding nennen, das heißt uns schimpfen!«
»Mein Verlobter ist im Stande, die Verbindung rückgängig zu machen!« sagte die Jüngste, die mit einem Rammklotze versprochen war; und ein Rammklotz ist derjenige, welcher wie eine Maschine große Pfähle in die Erde treibt, also im Groben Das verrichtet, was die Jungfer im Feinen thut. »Er will mich als Jungfer heimführen, aber ob er es thäte, wenn ich Handramme würde, ist fraglich, und also lasse ich mich auch nicht umtaufen.«
»Und ich,« sagte die Aeltere, »lasse mir eher beide Arme abbrechen.«
Der Schiebkarren war jedoch anderer Ansicht, und der Schiebkarren war schon ein Etwas, er betrachtete sich als eine Viertel-Kutsche, weil er auf einem Rade einherging.
»Ich muß Ihnen jedoch bemerklich machen,« sprach derselbe, »daß Jungfer ziemlich allgemein und bei weitem nicht so fein ist, als Handramme oder gar Stempel, welcher Name auch vorgeschlagen worden ist, und durch welchen Sie z. B. in die Rangklasse der Petschafte eintreten würden, und denken Sie nur an das große Staatspetschaft, welches das Staatssiegel aufdrückt, und erst dem Gesetze seine Kraft verleiht; nein, an Ihrer Stelle würde ich die »»Jungfer«« aufgeben.«
»Nein, nimmermehr! dazu bin ich zu alt!« sagte die Aeltere.
»Sie haben wahrscheinlich noch nie von einem Dinge reden hören, welches man die »europäische Notwendigkeit« nennt – schaltete das ehrliche Klaftermaß ein. »Man muß sich zu fügen wissen, muß sich unterordnen oder einordnen, sich in Zeit und Umstände schicken, und ist einmal ein Gesetz vorhanden, daß die Jungfer Handramme heißen soll, nun so muß sie Handramme heißen, da hilft kein Maulspitzen, denn jedes Ding hat sein Klaftermaß.«
»Nein, dann möchte ich mich doch lieber, – wenn durchaus eine Veränderung sein muß,« – sagte die Jüngere, »Fräulein nennen lassen, Fräulein schmeckt doch immer ein wenig nach Jungfer!«
»Ich aber lasse mich lieber zu Kleinholz machen!« sagte die ältere Jungfer.
Endlich ging es an die Arbeit; die Jungfern fuhren, sie wurden in den Schiebkarren gelegt, immerhin zarte Behandlung, aber Handramme nannte man sie dessenungeachtet.
»Jung –!« sagten sie, indem sie das Steinpflaster einstampften; »Jung –!« und sie waren nahe daran das ganze Wort »Jungfer« auszusprechen, aber sie brachen kurz ab und verschluckten die letzte Silbe, denn nach reiflicher Ueberlegung fanden sie es unter ihrer Würde zu reclamiren.
Aber gegenseitig nennen sie sich stets »Jungfer« und preisen die guten alten Tage, da man jedes Ding bei seinem rechten Namen nannte, und Jungfer genannt wurde, wenn man Jungfer war; und das blieben sie alle Beide; denn der Rammklotz, die große Maschine, machte in der That die Verlobung mit der Jüngsten rückgängig, er wollte nun einmal eine Jungfer haben.
Die glückliche Familie.
Das größte grüne Blatt hier zu Lande ist doch jedenfalls das Klettenblatt; hält man eins vor seinen kleinen Leib, da ist es wie eine Schürze, und legt man es auf seinen Kopf, so ist es bei Regenwetter beinahe so gut, wie ein Regenschirm, denn es ist außerordentlich groß! Niemals wächst eine Klette allein; wo eine wächst, wachsen auch mehrere; es ist eine wahre Pracht! Und alle diese Pracht ist Schneckenkost. Die großen weißen Schnecken, aus denen vornehme Leute in alten Tagen Fricassee bereiten ließen und, wenn sie es gegessen hatten, sagten: »Hm! Wie das schmeckt!« – denn sie glaubten nun einmal, daß es vorzüglich gut schmecke – lebten Von Klettenblättern. Und darum wurden Kletten gesät.
Nun gab es ein altes Rittergut, wo man keine Schnecken mehr aß. Die waren ausgestorben, aber die Kletten waren nicht ausgestorben. Diese wuchsen und wuchsen in allen Gängen, auf allen Beeten; man konnte ihnen nicht mehr Einhalt thun; es war ein förmlicher Klettenwald. Hier und da stand ein Apfel- oder Pflaumenbaum, sonst hätte man wohl nie und nimmer gedacht, daß dies ein Garten sei. Alles war Klette, und darin wohnten die beiden letzten uralten Schnecken.
Sie wußten selbst nicht, wie alt sie waren; aber sie konnten sich sehr gut erinnern, daß ihrer weit mehr gewesen, daß sie von einer Familie aus fremden Landen abstammten, und daß für sie und die Ihrigen der Wald gepflanzt worden war. Sie waren niemals draußen gewesen, aber es war ihnen bekannt, daß es noch etwas in der Welt gab, welches das herrschaftliche Schloß hieß; da oben ward man gekocht, dann wurde man schwarz und auf eine silberne Schüssel gelegt; – was aber nachher noch weiter geschah, das wußten sie nicht. Wie das übrigens ist, wenn man gekocht und auf eine silberne Schüssel gelegt wird, konnten sie sich nicht denken; aber schön sollte es sein und besonders sehr vornehm! Weder der Maikäfer, noch die Kröte, noch der Regenwurm, die sie darum befragten, konnten ihnen darüber Bescheid geben; denn Keiner ihrer Art war jemals gekocht oder auf eine silbern Schüssel gelegt.
Die alten, weißen Schnecken waren die vornehmsten in der Welt: das wußten sie! Der Wald war ihretwegen da, und das herrschaftliche Schloß auch, damit sie gekocht und auf eine silberne Schüssel gelegt werden könnten.
Sie lebten nun sehr eingezogen und glücklich, und da sie selbst kinderlos waren, so hatten sie eine kleine gemeine Schnecke zu sich genommen, die sie als ihr eigenes Kind erzogen. Allein der Kleine wollte nicht wachsen, denn er war nur eine gemeine Schnecke; aber die Alten, namentlich