Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Christian Andersen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746750194
Скачать книгу
zwar auch nicht unwillig, allein es läge nun doch Christinchen im Herzen, daß Ib wohl gar sehr ihrer gedenke, und so habe sie daran gedacht, sie wolle das Glück von sich stoßen, sagte der Kahnführer.

      Anfänglich sprach Ib kein Wort, aber er wurde so blaß wie die Wand, schüttelte den Kopf ein wenig, und darauf erst sagte er: »Christinchen darf das Glück nicht von sich stoßen!«

      »Nun, so schreibe ihr die paar Worte,« sagte der Kahnführer.

      Und Ib setzte sich zum Schreiben nieder, aber er vermochte es nicht, die Worte so zu stellen, wie er es wollte, und er strich aus und zerriß, – am folgenden Morgen jedoch lag ein Brief an Christinchen fertig da, und hier ist er:

      – »Den Brief, welchen Du Deinem Vater geschrieben hast, habe ich gelesen und sehe daraus, daß es Dir gut geht in allen Dingen und daß Du es noch besser bekommen kannst. Frage Dein Herz, Christinchen, und überlege es Dir genau, was Deiner wartet, wenn Du mich nimmst; was ich habe, ist nur wenig. Denke nicht an mich, oder an meinen Zustand, sondern denke an Dein ewiges Wohl! An mich bist Du durch kein Versprechen gebunden, und hast Du mir in Deinem Herzen ein solches gegeben, so entbinde ich Dich desselben. Die Freude schütte ihr Füllhorn über Dich aus, Christinchen! Der liebe Gott wird wohl Trost für mein Herz wissen.

      Immer Dein inniger Freund

      Jb.«

      Der Brief wurde abgesendet, Christinchen bekam ihn richtig.

      Im Verlaufe des Novembers wurde sie aufgeboten, in der Kirche auf der Haide und drüben in Kopenhagen, wo der Bräutigam wohnte, und nach Kopenhagen reiste sie in Begleitung ihrer Schwiegermutter ab, weil der Bräutigam seiner Geschäfte halber die weite Reise tief in Jütland hinein nicht unternehmen konnte. Christinchen traf in einem Dorfe auf der Reise mit ihrem Vater zusammen; hier nahmen die Beiden von einander Abschied. Hiervon fielen nun gelegentlich einige Worte vor, aber Ib sagte nichts dazu, er wäre sehr nachdenkend geworden, hätte seine alte Mutter gesagt; ja nachdenkend war er geworden, und deshalb kamen ihm auch die drei Nüsse in den Sinn, welche er als Kind von der Zigeunerin geschenkt erhalten, und von welchen er Christinchen zwei gegeben hatte; es seien Wünschelnüsse, in der einen, der ihrigen läge ja eine goldene Carosse mit Goldfüchsen, in der andern wären die prächtigsten Kleider; das sei richtig! all die Herrlichkeit bekäme sie nun drüben in der Hauptstadt. Ihr ging es in Erfüllung –! ihm, Ib, habe die Nuß nur schwarze Erde gespendet. »Das Allerbeste« für ihn, habe die Zigeunerin gesagt, – ja, richtig, auch das ginge in Erfüllung! Die schwarze Erde sei ihm das Beste. Jetzt begreife er deutlich, was die Frau gemeint habe. In der schwarzen Erde, in der finstern Gruft sei ihm am allerbesten!

      Und es verstrichen Jahre, nicht gerade viele, aber lange Jahre, so schien es dem Ib; die alten Krügersleute starben, Eins nach dem Andern; der ganze Nachlaß, viele tausend Thaler, vererbte auf den Sohn. Ja, jetzt konnte Christinchen die goldene Carosse und seine Kleider genug bekommen.

      Zwei lange Jahre, welche darauf folgten, lief kein Brief von Christinchen ein, und als dann endlich der Vater einen bekam, war derselbe durchaus nicht in Wohlstand und Freuden geschrieben. Das arme Christinchen! weder sie noch ihr Mann hatten es verstanden, den Reichthum zu Rathe zu halten, es war kein Segen an ihm, – weil sie es selbst nicht so wollten.

      Die Haideblumen prangten und das Haidekraut verdorrte wieder; der Schnee strich schon viele Winter über die Haide, über den Landrücken dahin, unter welchem Ib in Schutz gegen die rauhen Winde wohnte; die Frühlingssonne schien, und Ib ließ den Pflug durch seinen Acker schneiden, da schnitt derselbe, wie er wähnte, über einen Feuerstein dahin, es kam ein großer, schwarzer Hobelspan aus dem Boden heraus, und als Ib ihn erfaßte, war es ein Metall, und die Stelle, wo der Pflug in dasselbe eineingeschnitten hatte, flimmerte ihm entgegen. Es war eine große, schwere goldene Armspange aus dem Alterthume; das Hünengrab war hier geschleift, und jetzt war sein köstlicher Schmuck gefunden. Ib zeigte es dem Pfarrer, der ihm nun den Werth des Fundes auseinander setzte, und darauf begab sich Ib zum Landrichter, welcher den Vorsteher des Museums von seinem Funde benachrichtigte, und Ib den Rath ertheilte, persönlich den Schatz zu überbringen.

      »Du hast in der Erde das Beste gefunden, was Du finden konntest,« sagte der Landrichter.

      »Das Beste!« dachte Ib. »Das Allerbeste für mich, und in der Erde! nun, wenn das das Beste ist, so hatte die Zigeunerin Recht in dem, was sie mir wahrsagte.«

      Ib ging mit der Fähre von Aarhus nach Kopenhagen; ihm, der nur einige Male über den heimathlichen Strom hinübergesetzt war, schien dies eine Reise über das Weltmeer zu sein. Er langte in Kopenhagen an.

      Der Werth des gefundenen Geldes wurde ihm ausgezahlt, es war eine große Summe; sechshundert Thaler. In der großen Stadt ging Ib von der Haide umher.

      Gerade am Abende vor seiner auf den nächsten Morgen mit dem Schiffer bestimmten Abreise, verirrte Ib sich mit den Straßen, und schlug eine andere Richtung ein, als er wollte; er hatte sich in die Nebenstadt, Christianshafen, in eine ärmliche Gasse verlaufen. Kein Mensch war zu sehen. Da trat endlich ein ganz kleines Mädchen aus einem der armseligen Häuser heraus; Ib fragte die Kleine nach der Straße, die er suchte; sie blickte ihn aber schüchtern an und weinte heftig. Nun fragte er sie, was ihr fehle, sie gab jedoch eine ihm unverständliche Antwort; aber indem sie die Straße entlang schritten und sich Beide unter einer Laterne befanden, deren Schein dem Mädchen gerade ins Gesicht siel, wurde ihm wunderbar zu Muthe, denn es war leibhaftig Christinchen, welches vor ihm stand, ganz wie er sich ihrer aus der Kindheit erinnerte.

      Er trat mit dem kleinen Mädchen in das ärmliche Haus, stieg die enge, wacklige Treppe hinauf, welche zu einer kleinen schrägen Kammer hoch oben unter dem Dache führte. Drinnen war die Luft schwer und fast erstickend, kein Licht brannte, in einem Winkel seufzte und athmete es schwer auf. Ib machte Licht durch Hilfe eines Streichhölzchens. Es war die Mutter des Kindes, welche seufzend auf dem ärmlichen Lager ruhte.

      »Kann ich Euch mit Etwas unterstützen?« fragte Ib. »Die Kleine hat mich heraufgeführt, allein ich bin fremd in der Stadt. Sind hier keine Nachbarn oder sonst Jemand, den ich rufen könnte?« Er richtete den Kopf der Kranken auf und schob ihr das Kissen zurecht.

      Es war Christinchen von der Haide.

      Seit Jahren war drüben ihr Name nicht genannt, das würde den stillen Sinn unsers Ib gestört haben, und was das Gerücht und die Wahrheit erzählte, war auch nichts Gutes: das viele Geld, welches ihr Mann von seinen Eltern geerbt, hatte ihn beirrt und übermüthig gemacht; er hatte seine feste Stellung aufgegeben, war ein halbes Jahr in fremden Ländern umhergereist, und hatte, zurückgekehrt, Schulden gemacht und doch auf einem großen Fuße gelebt; der Wagen neigte sich immer mehr und mehr, und zuletzt schlug er um. Die vielen lustigen Freunde und Tischgenossen sagten von ihm, er habe es so verdient, er habe ja wie ein Toller gewirthschaftet! – Eines Morgens habe man seine Leiche im Canal gefunden.

      Christinchen trug schon den Tod im Herzen, ihr jüngstes Kind, nur wenige Wochen alt, in Wohlstand getragen, in Elend geboren, lag bereits im Grabe, und jetzt war es so weit mit Christinchen selbst gekommen, daß sie todtkrank, verlassen in einer elenden Kammer lag; so dürftig wie sie es in ihren jüngern Jahren wohl hätte verschmerzen können, jetzt aber, besser gewöhnt, recht schmerzlich empfand. Es war ihr ältestes Kind auch sein kleines Christinchen, welches mit ihr Noth und Hunger litt, und welches Ib zu ihr hinaufgeführt hatte.

      »Ich ängstige mich, daß ich sterbe und das arme Kind hier zurücklasse,« seufzte sie, »ach wo soll denn das arme Kind hin!« – mehr vermochte sie nicht zu sagen.

      Ib zog nochmals ein Streichhölzchen hervor, zündete ein Stückchen Licht an, welches er in der Kammer fand, und die Flamme erhellte die elende Wohnung.

      Dann betrachtete er das kleine Mädchen und dachte an Christinchen als sie jung war, ihretwillen könne er dieses Kind, das er nicht kannte, lieb haben. Die Sterbende blickte ihn an, ihre Augen wurden immer größer – erkannte sie ihn? Er wußte es nicht, kein Wort ging über ihre Lippen.

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

      Und es war im Walde an dem Strome Gudenau, in der Haidegegend;