»Wenn die Menschen nicht ertrinken,« fragte die kleine Seejungfer, »können sie dann ewig leben? Sterben sie nicht, wie wir hier unten im Meere?«
»Ja,« sagte die Alte; »sie müssen auch sterben, und ihre Lebenszeit ist sogar noch kürzer, als die unsere. Wir können dreihundert Jahre alt werden, aber wenn wir dann aufhören, hier zu sein, so werden wir nur in Schaum auf dem Wasser verwandelt, haben nicht einmal ein Grab hier unten unter unsern Lieben. Wir haben keine unsterbliche Seele; wir erhalten nie wieder Leben; wir sind gleich dem grünen Schilfe; ist das einmal durchgeschnitten, so kann es nicht wieder grünen! Die Menschen hingegen haben ein Seele, die ewig lebt, die noch lebt, nachdem der Körper zu Erde geworden ist; sie steigt durch die klare Luft empor, hinauf zu den glänzenden Sternen! So wie wir aus dem Wasser auftauchen und die Länder der Welt erblicken, so steigen sie zu unbekannten herrlichen Orten auf, die wir nie zu sehen bekommen.«
»Weshalb bekamen wir keine unsterbliche Seele?« fragte die kleine Seejungfer betrübt. »Ich möchte meine hunderte von Jahren, die ich zu leben habe, dafür geben, um nur einen Tag Mensch zu sein und dann hoffen zu können, Antheil an der himmlischen Welt zu haben.«
»Daran darfst Du nicht denken!« sagte die Alte. »Wir fühlen uns weit glücklicher und besser, wie die Menschen dort oben!«
»Ich werde also sterben und als Schaum auf dem Meere treiben, nicht die Musik der Wogen hören, die schönen Blumen und die rothe Sonne sehen? Kann ich denn gar nichts thun, um eine unsterbliche Seele zu gewinnen?« –
»Nein!« sagte die Alte. »Nur wenn ein Mensch Dich so lieben würde, daß Du ihm mehr als Vater und Mutter wärest; wenn er mit all seinem Denken und all seiner Liebe an Dir hinge und den Prediger seine rechte Hand in die Deinige, mit dem Versprechen der Treue hier und in alle Ewigkeit, legen ließe, dann flösse seine Seele in Deinen Körper über, und auch Du erhieltest Antheil an der Glückseligkeit der Menschen. Er gäbe Dir Seele und behielte doch seine eigene. Aber das kann nie geschehen! Was hier im Meere schön ist, Dein Fischschwanz, finden sie dort auf der Erde häßlich; sie verstehen es eben nicht besser; man muß dort zwei plumpe Stützen haben, die sie Beine nennen, um schön zu sein!«
Da seufzte die kleine Seejungfer, und sah betrübt auf ihren Fischschwanz.
»Laß uns froh sein,« sagte die Alte; »hüpfen und springen wollen wir in den dreihundert Jahren, die wir zu leben haben; das ist wahrlich lang genug; später kann man sich um so besser ausruhen. Heute Abend werden wir Hofball haben!«
Das war auch eine Pracht, wie man sie nie auf Erden erblickt. Die Wände und die Decke des großen Tanzsaals waren von dickem, aber durchsichtigem Glase, Mehrere hundert kolossale Muschelschalen, rosenrothe und grasgrüne, standen zu jeder Seite in Reihen mit einem blau brennenden Feuer, welches den ganzen Saal erleuchtete und durch die Wände hindurchschien, so daß die See draußen erleuchtet war,; man konnte die unzähligen Fische sehen, große und kleine, die gegen die Glasmauern schwammen; auf einigen glänzten die Schuppen purpurroth, auf andern erschienen sie wie Silber und Gold. – Mitten durch den Saal floß ein breiter Strom, und auf diesem tanzten die Meermänner und Meerweibchen zu ihrem eigenen, lieblichen Gesänge. So schöne Stimmen haben die Menschen auf der Erde nicht. Die kleine Seejungfer sang am Schönsten von ihnen Allen, und der ganze Hof applaudirte mit Händen und Schwänzen; und einen Augenblick fühlte sie eine Freude in ihrem Herzen, denn sie wußte, daß sie die schönste Stimme von Allen auf der Erde und im Meere hatte! Aber bald gedachte sie wieder der Welt über sich; sie konnte den hübschen Prinzen und ihren Kummer, daß sie keine unsterbliche Seele, wie er sie besitze, nicht vergessen. Deshalb schlich sie sich aus ihres Vaters Schlosse hinaus, und während Alles drinnen Gesang und Frohsinn war, saß sie betrübt in ihrem kleinen Garten. Da hörte sie das Waldhorn durch das Wasser ertönen und dachte: Nun segelt er sicher dort oben, er, an dem meine Sinne hangen und in dessen Hand ich meines Lebens Glück legen möchte. Alles will ich wagen, um ihn und eine unsterbliche Seele zu gewinnen! Während meine Schwestern dort in meines Vaters Schlosse tanzen, will ich zur Meerhexe gehen, vor der mir immer so bange gewesen ist; aber sie kann vielleicht rathen und helfen!«
Nun ging die kleine Seejungfer aus ihrem Garten hinaus nach den brausenden Strudeln, hinter denen die Hexe wohnte. Den Weg hatte sie früher nie zurückgelegt; da wuchsen keine Blumen, kein Seegras; nur der nackte, graue Sandboden erstreckte sich gegen die Strudel hin, wo das Wasser gleich brausenden Mühlrädern herumwirbelte und Alles, was er erfaßte, mit sich in die Tiefe riß. Mitten zwischen diesen zermalmenden Wirbeln mußte sie hindurch, um in den Bereich der Meerhexe zu gelangen; und hier war eine lange Strecke kein anderer Weg, als über warmen, sprudelnden Schlamm; diesen nannte die Hexe ihren Torfmoor. Dahinter lag ihr Haus mitten in einem seltsamen Walde, alle Bäume und Büsche waren Polypen, halb Thier und halb Pflanze; sie sahen aus wie hundertköpfige Schlangen, die aus der Erde hervorwuchsen; alle Zweige waren lange, schleimige Arme mit Fingern wie geschmeidige Würmer; und Glied vor Glied bewegte sich, von der Wurzel bis zur äußersten Spitze. Alles, was sie im Meere erfassen konnten, umschlangen sie fest und ließen es nie wieder fahren. Die kleine Seejungfer blieb vor demselben ganz erschrocken stehen; ihr Herz pochte vor Furcht; fast wäre sie umgekehrt; aber da dachte sie an den Prinzen und an die Seele der Menschen, und nun bekam sie Muth, Ihr langes, fliegendes Haar band sie fest um das Haupt, damit die Polypen sie nicht daran ergreifen möchten; beide Hände legte sie über ihre Brust zusammen, und schoß so dahin, wie der Fisch durch das Wasser schießen kann, immer zwischen den häßlichen Polypen hindurch, die ihre geschmeidigen Arme und Finger hinter ihr her streckten. Sie sah, wie jeder von ihnen Etwas, was er ergriffen hatte, mit Hunderten von kleinen Armen hielt, Menschen, die auf der See umgekommen und tief hinunter gesunken waren, sahen wie weiße Gerippe aus der Polypen Armen hervor. Schiffsruder und Kisten hielten sie fest, auch Skelette von Landthieren und ein kleines Meerweib, welches sie gefangen und erstickt hatten: das war ihr das Schrecklichste.
Nun kam sie zu einem großen, sumpfigen Platze im Walde, wo große, fette Wasserschlangen sich wälzten und ihren häßlichen weißgelben Bauch zeigten. Mitten auf dem Platze war ein Haus, von weißen Knochen ertrunkener Menschen errichtet; da saß die Meerhexe und ließ eine Kröte aus ihrem Munde fressen, wie die Menschen einen kleinen Kanarienvogel Zucker zu essen geben. Die häßlichen, fetten Wasserschlangen nannte sie ihre kleinen Küchlein und ließ sie sich auf ihrer großen, schwammigen Brust wälzen.
»Ich weiß schon was Du willst!« sagte die Meerhexe. »Es ist zwar dumm von Dir, doch sollst Du Deinen Willen haben; denn er wird Dich ins Unglück stürzen, meine schöne Prinzessin. Du willst gern Deinen Fischschwanz los sein und statt dessen zwei Stützen, wie die Menschen zum Gehen haben, damit der junge Prinz sich in Dich verliebt und Du ihn und eine unsterbliche Seele erhalten kannst!« Dabei lachte die Hexe laut und widerlich, so daß die Kröte und die Schlangen auf die Erde fielen, wo sie sich wälzten. »Du kommst gerade zur rechten Zeit,« sagte die Hexe; »morgen, wenn die Sonne aufgeht, könnte ich Dir nicht helfen, bis wieder ein Jahr um wäre. Ich werde Dir einen Trank bereiten, mit dem mußt Du, bevor die Sonne aufgeht, nach dem Lande schwimmen, Dich dort an das Ufer setzen und ihn trinken: dann verschwindet Dein Schwanz und schrumpft zu dem, was die Menschen niedliche Beine nennen, zusammen, aber es thut weh; es ist, als ob ein scharfes Schwert Dich durchdränge. Alle, die Dich sehen, werden sagen, Du seiest das schönste Menschenkind, das sie gesehen hätten. Du behältst Deinen schwebenden Gang; keine Tänzerin kann sich so leicht bewegen wie Du; aber jeder Schritt, den Du machst, ist, als ob Du auf scharfe Messer trätest, als ob Dein Blut fließen müßte. Willst Du alles Dieses leiden, so werde ich Dir helfen!«
»Ha!« sagte die kleine Seejungfer mit bebender Stimme, und gedachte des Prinzen und der unsterblichen Seele.
»Aber bedenke« sagte die Hexe; »hast Du erst menschliche Gestalt bekommen, so kannst Du nie wieder eine Seejungfer werden! Du kannst nie durch das Wasser zu Deinen Schwestern und zum Schlosse Deines Vaters zurück, und gewinnst Du des Prinzen Liebe nicht so, daß er um Deinetwillen Vater und Mutter vergißt, an Dir mit Leib und Seele hängt und den Priester Eure Hände in einander legen läßt, daß Ihr Mann und Frau werdet, so bekommst Du keine