»Aber mich mußt Du auch bezahlen!« sagte die Hexe; »und es ist nicht wenig, was ich verlange. Du hast die schönste Stimme von Allen hier auf dem Grunde des Meeres; damit glaubst Du wohl, ihn bezaubern zu können; aber diese Stimme mußt Du mir geben. Das Beste, was Du besitzest, will ich für meinen köstlichen Trank haben! Mein eigen Blut muß ich Dir ja geben, damit der Trank scharf wird, wie ein zweischneidig Schwert!«
»Aber wenn Du meine Stimme nimmst,« sagte die kleine Seejungfer, »was bleibt mir dann übrig?«
»Deine schone Gestalt,« sagte die Hexe, »Dein schwebender Gang und Deine sprechenden Augen; damit kannst Du schon ein Menschenherz bethören. Nun, hast Du den Muth verloren? Strecke Deine kleine Zunge hervor, dann schneide ich sie an Zahlungsstatt ab, und Du erhältst den kräftigen Trank!«
»Es geschehe!« sagte die kleine Seejungfer; und die Hexe setzte ihren Kessel auf, um den Zaubertrank zu kochen. »Reinlichkeit ist eine schöne Sache!« sagte sie und scheuerte den Kessel mit den Schlangen ab, die sie zu einem langen Knoten band; dann ritzte sie sich selbst die Brust und ließ ihr schwarzes Blut hineintröpfeln. Der Dampf bildete die sonderbarsten Gestalten, so daß Einem angst und bange werden mußte. Jeden Augenblick warf die Hexe neue Sachen in den Kessel, und als er kochte, war es, als ob ein Krokodil weinte. Endlich war der Trank fertig; er sah wie das klarste Wasser aus.
»Da hast Du ihn!« sagte die Hexe und schnitt der kleinen Seejungfer die Zunge ab, die nun stumm war, weder singen, noch sprechen konnte.
»Sollten die Polypen Dich ergreifen, wenn Du durch meinen Wald zurückgehst,« sagte die Hexe, »so wirf nur einen einzigen Tropfen dieses Getränkes auf sie: davon zerspringen ihre Arme und Finger in tausend Stücke!« Aber das brauchte die kleine Seejungfer nicht zu thun; die Polypen zogen sich erschrocken zurück, da sie den glänzenden Trank erblickten, der in ihrer Hand leuchtete, als sei er ein funkelnder Stern. So kam sie schnell durch den Wald, das Moor und die brausenden Strudel.
Sie konnte ihres Vaters Schloß sehen; die Fackeln waren in dem großen Tanzsaale erloschen; sie schliefen sicher Alle drinnen; aber sie wagte doch nicht, sie aufzusuchen, jetzt da sie stumm war und sie auf immer verlassen wollte. Es war, als ob ihr Herz vor Trauer zerspringen sollte. Sie schlich in den Garten, nahm eine Blume von jedem Blumenbeete ihrer Schwestern, warf Tausende von Kußhändchen dem Schlosse zu und stieg durch die dunkelblaue See hinauf.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als sie des Prinzen Schloß erblickte und die prächtige Marmortreppe hinaufstieg. Der Mond schien herrlich klar. Die kleine Seejungfer trank den brennenden, scharfen Trank, und es war, als ginge ein zweischneidiges Schwert durch ihren feinen Körper; sie fiel dabei in Ohnmacht und lag wie todt da. Als die Sonne über die See schien, erwachte sie und fühlte einen schneidenden Schmerz; aber gerade vor ihr stand der schöne, junge Prinz; er heftete seine schwarzen Augen auf sie, so daß sie die ihrigen niederschlug und wahrnahm, daß ihr Fischschwanz fort war und sie die niedlichsten, weißen Beine hatte, die nur ein Mädchen haben kann. Aber sie war nackt, deshalb hüllte sie sich in ihr langes Haar ein. Der Prinz fragte, wer sie sei und wie sie hierher gekommen wäre; und sie sah ihn mild und doch gar betrübt mit ihren dunkelblauen Augen an; sprechen konnte sie ja nicht. Da nahm er sie bei der Hand und führte sie in das Schloß hinein. Jeder Schritt, den sie that, war, wie die Hexe im Voraus gesagt hatte, als trete sie auf spitze Nadeln und Messer; aber das ertrug sie gern; an des Prinzen Hand schritt sie so leicht einher wie eine Seifenblase, und er, sowie Alle, wunderten sich über ihren lieblichen, schwebenden Gang.
Sie bekam nun herrliche Kleider von Seide und Musselin anzuziehen; im Schlosse war sie die Schönste von Allen; aber sie war stumm, konnte weder singen noch sprechen. Herrliche Sklavinnen, in Seide und Gold gekleidet, traten auf und sangen vor dem Prinzen und seinen königlichen Eltern; die Eine sang schöner als alle Andern, und der Prinz klatschte in die Hände und lächelte sie an. Da wurde die kleine Seejungfer betrübt; sie wußte, daß sie selbst weit schöner gesungen hatte und dachte: »O, er sollte nur wissen, daß ich, um bei ihm zu sein, meine Stimme für alle Ewigkeit hingegeben habe.«
Nun tanzten die Sklavinnen niedliche, schwebende Tänze zur herrlichsten Musik; da erhob die kleine Seejungfer ihre schönen, weißen Arme, richtete sich auf den Fußspitzen auf und schwebte tanzend über den Fußboden hin, wie noch keine getanzt hatte; bei jeder Bewegung wurde ihre Schönheit noch sichtbarer, und ihre Augen sprachen tiefer zum Herzen, als der Gesang der Sklavinnen.
Alle waren entzückt davon, besonders der Prinz, der sie sein kleines Findelkind nannte; und sie tanzte mehr und mehr, obwohl es ihr jedesmal, wenn ihr Fuß die Erde berührte, war, als ob sie auf scharfe Messer träte. Der Prinz sagte, daß sie immer bei ihm bleiben solle, und sie erhielt die Erlaubniß, vor seiner Thür auf einem Sammetkissen zu schlafen.
Er ließ ihr eine Männertracht machen, damit sie ihn zu Pferde begleiten könne. Sie ritten durch die duftenden Wälder, wo die grünen Zweige ihre Schultern berührten und die Vögel hinter den frischen Blättern sangen. Sie kletterte mit dem Prinzen auf die hohen Berge hinauf, und obgleich ihre zarten Füße bluteten, daß selbst die Andern es sehen konnten, lachte sie doch darüber und folgte ihm, bis sie die Wolken unter sich segeln sahen, als wäre es ein Schwarm Vögel, die nach fremden Ländern ziehen.
Daheim in des Prinzen Schlosse, wenn Nachts die Andern schliefen, gingen sie auf die breite Marmortreppe hinaus; es kühlte ihre brennenden Füße, im kalten Seewasser zu stehen, und dann gedachte sie Derer dort unten in der Tiefe.
Einmal des Nachts kamen ihre Schwestern Arm in Arm; traurig sangen sie, indem sie über dem Wasser schwammen; sie winkte ihnen und sie erkannten sie und erzählten ihr, wie sehr sie alle betrübt seien. Darauf besuchte sie dieselben in jeder Nacht, und einmal erblickte sie weit draußen ihre alte Großmutter, die in vielen Jahren nicht über der Meeresfläche gewesen war, und den Meerkönig mit seiner Krone auf dem Haupte; sie streckten die Hände nach ihr aus, wagten sich aber dem Lande nicht so nahe, wie die Schwestern.
Tag für Tag wurde sie dem Prinzen lieber; er liebte sie, wie man ein gutes, liebes Kind liebt; aber sie zu seiner Königin zu machen, kam ihm nicht in den Sinn; und seine Frau mußte sie doch werden, sonst erhielt sie keine unsterbliche Seele und mußte an seinem Hochzeitsmorgen zu Schaum auf dem Meere werden.
»Liebst Du mich nicht am meisten von ihnen Allen?« schienen der kleinen Seejungfer Augen zu sagen, wenn er sie in seine Arme nahm und ihre schöne Stirn küßte.
»Ja, Du bist mir die Liebste,« sagte der Prinz, »denn Du hast das beste Herz von Allen. Du bist mir am meisten ergeben, und gleichst einem jungen Mädchen, das ich einmal sah, aber sicher nie wiederfinde. Ich war auf einem Schiffe, welches strandete; die Wellen warfen mich bei einem heiligen Tempel an das Land, wo mehrere junge Mädchen den Dienst verrichteten; die jüngste dort fand mich am Ufer und rettete mein Leben; ich sah sie nur zweimal, sie wäre die Einzige, die ich in dieser Welt lieben könnte; aber Du gleichst ihr und Du verdrängst fast ihr Bild aus meiner Seele; sie gehört dem heiligen Tempel an, und deshalb hat mein gutes Glück Dich mir gesendet; nie wollen wir uns trennen!« –
»Ach er weiß nicht, daß ich sein Leben gerettet habe!« dachte die kleine Seejungfer; »ich trug ihn über das Meer zum Walde hin, wo der Tempel steht; ich saß hier hinter dem Stamme und sah, ob keine Menschen kommen würden. Ich sah das hübsche Mädchen, die er mehr liebt, als mich!« sie seufzte tief: weinen konnte sie nicht, »Das Mädchen gehört dem heiligen Tempel an, hat er gesagt; sie kommt nie in die Welt hinaus; sie begegnen sich nicht mehr, ich bin bei ihm, sehe ihn jeden Tag; ich will ihn pflegen, lieben, ihm mein Leben opfern!«
Aber nun sollte der Prinz sich verheirathen und des Nachbarkönigs schöne Tochter zur Frau bekommen, erzählte man; deshalb rüstete er ein so prächtiges Schiff aus. Der Prinz reist, um des Nachbarkönigs Länder zu besichtigen, so heißt es wohl; aber es geschieht, um des Nachbarkönigs Tochter zu sehen. Ein großes Gefolge soll ihn begleiten. Die kleine Seejungfer schüttelte das Haupt und lächelte; sie kannte des Prinzen Gedanken weit besser, als alle Andern. »Ich muß reisen!« hatte er zu ihr gesagt; »ich muß die schöne Prinzessin sehen; meine Eltern verlangen es; aber sie wollen mich nicht zwingen, sie als meine Braut heimzuführen. Ich kann