Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Christian Andersen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746750194
Скачать книгу
Freude für sie, als von der Menschenwelt zu hören; die Großmutter mußte Alles, was sie von Schiffen und Städten, Menschen und Thieren wußte, erzählen; hauptsächlich erschien ihr besonders schön, daß oben auf der Erde die Blumen dufteten, denn das thaten sie auf dem Grunde des Meeres nicht, und daß die Wälder grün wären, und daß die Fische, die man dort zwischen den Bäumen erblickte, laut und herrlich singen könnten, daß es eine Lust sei. Es waren die kleinen Vogel, welche die Großmutter Fische nannte, denn sonst konnten sie sie nicht verstehen, da sie noch keinen Vogel gesehen hatten.

      »Wenn Ihr Euer fünfzehntes Jahr erreicht habt,« sagte die Großmutter, »dann sollt Ihr die Erlaubniß erhalten, aus dem Meer emporzutauchen, im Mondscheine auf der Klippe zu sitzen und die großen Schiffe vorbeisegeln zu sehen. Wälder und Städte werdet Ihr dann erblicken!« In dem kommenden Jahre war die eine der Schwestern fünfzehn Jahre alt, aber von den andern war die eine immer ein Jahr jünger als die andere; die jüngste von ihnen hatte demnach noch volle fünf Jahre zu warten, bevor sie von dem Grunde des Meeres hinaufkommen und sehen konnte, wie es bei uns aussehe. Aber die Eine versprach der Andern, zu erzählen, was sie erblickt und was sie am ersten Tage am Schönsten gefunden habe; denn ihre Großmutter erzählte ihnen nicht genug; da war so Vieles, worüber sie Auskunft haben wollten.

      Keine war sehnsüchtiger, als die Jüngste, gerade sie, die noch die längste Zeit zu warten hatte und die stets still und gedankenvoll war. Manche Nacht stand sie am offenen Fenster und sah durch das dunkelblaue Wasser empor, wie die Fische mit ihren Flossen und Schwänzen plätscherten. Mond und Sterne konnten sie sehen; freilich schienen diese ganz bleich, aber durch das Wasser sahen sie größer aus, als vor unsern Augen. Zog dann etwas, einer schwarzen Wolke gleich, unter ihnen hin: so wußte sie, daß es entweder ein Walfisch sei, der über ihr schwamm, oder ein Schiff mit vielen Menschen; die dachten sicher nicht daran, daß eine liebliche, kleine Seejungfer unten stehe und ihre weißen Hände gegen den Kiel emporstrecke.

      Nun war die älteste Prinzessin fünfzehn Jahre alt und durfte über die Meeresfläche emporsteigen.

      Als sie zurückkam, hatte sie Hunderterlei zu erzählen, aber das Schönste, sagte sie, sei, im Mondschein auf einer Sandbank in der ruhigen See zu liegen und die nahgelegene Küste mit der großen Stadt zu betrachten, wo die Lichter gleich hundert Sternen blinken, die Musik, das Lärmen und Toben von Wagen und Menschen zu hören, die vielen Kirchthürme zu sehen und das Läuten der Glocken zu vernehmen.

      O! wie horchte die jüngste Schwester auf, und wenn sie später Abends am offenen Fenster stand und durch das dunkelblaue Wasser emporblickte, gedachte sie der großen Stadt mit dem Lärmen und Toben; dann glaubte sie die Kirchenglocken bis zu sich herunter läuten hören zu können.

      Im folgenden Jahre erhielt die zweite Schwester die Erlaubniß aus dem Wasser emporzusteigen und zu schwimmen, wohin sie wolle. Sie tauchte auf, als die Sonne unterging, und dieser Anblick, fand sie, sei das Schönste. Der ganze Himmel habe wie Gold ausgesehen, und die Schönheit der Wolken konnte sie nicht genug beschreiben! Roth und violet waren sie über ihr dahingesegelt, aber weit schneller, als diese, flog, einem langen weißen Schleier gleich, ein Schwärm wilder Schwäne über das Wasser hin, wo die Sonne stand, Sie schwamm derselben entgegen, aber die Sonne sank und der Rosenschein erlosch auf der Meeresfläche und in den Wolken.

      Das Jahr darauf kam die dritte Schwester hinauf. Sie war die Dreisteste von allen, deshalb schwamm sie einen breiten Fluß, der in das Meer mündete, aufwärts. Herrliche, grüne Hügel mit Weinranken erblickte sie; Schlösser und Burgen schimmerten aus prächtigen Wäldern hervor; sie hörte, wie alle Vögel sangen; und die Sonne schien so warm, daß sie oft unter das Wasser tauchen mußte, um ihr brennendes Antlitz abzukühlen. In einer kleinen Bucht traf sie einen Schwärm kleiner Menschenkinder. Diese waren völlig nackt und plätscherten im Wasser; sie wollte mit ihnen spielen, aber die flohen erschrocken davon, und es kam ein kleines, schwarzes Thier, ein Hund – aber sie hatte nie einen Hund gesehen – der bellte sie so schrecklich an, daß sie ängstlich die offene See zu erreichen suchte. Doch nie konnte sie die prächtigen Wälder, die grünen Hügel und niedlichen Kinder vergessen, die im Wasser schwimmen konnten, obgleich sie keinen Fischschwanz hatten.

      Die vierte Schwester war nicht so dreist; sie blieb draußen im wilden Meere und erzählte, daß es dort am Schönsten sei! Man sehe ringsumher viele Meilen weit, und der Himmel stehe wie eine Glasglocke darüber. Schiffe hatte sie gesehen, aber nur aus weiter Ferne, die sahen wie Möven aus; die possirlichen Delphine hatten Purzelbäume geschlagen, und die großen Walfische aus ihren Nasenlöchern Wasser emporgespritzt, so daß es ausgesehen hatte, wie Hunderte von Springbrunnen rings umher.

      Nun kam die Reihe an die fünfte Schwester; ihr Geburtstag war im Winter, und deshalb erblickte sie, was die Andern das erste Mal nicht gesehen hatten. Die See sah ganz grün aus, und rings umher schwammen große Eisberge; ein jeder erschien wie eine Perle, sagte sie, und war doch weit größer, als die Kirchthürme, welche die Menschen bauen. Sie zeigten sich in den sonderbarsten Gestalten und glänzten wie Diamanten, Sie hatte sich auf einen der größten gesetzt, und alle Segler kreuzten erschrocken draußen herum, wo sie saß und den Wind mit ihrem langen Haare spielen ließ; aber gegen Abend wurde der Himmel mit Wolken überzogen; es blitzte und donnerte, während die schwarze See die großen Eisblöcke hoch emporhob und sie im rothen Blitze erglänzen ließ. Auf allen Schiffen reffte man die Segel ein; da war eine Angst und ein Grauen. Aber sie saß ruhig auf ihrem schwimmenden Eisberge und sah die blauen Blitzstrahlen im Zickzack in die schimmernde See fahren.

      Das erste Mal, wenn eine der Schwestern über das Wasser emporkam, war eine jede entzückt über das Neue und Schöne, was sie erblickte; aber da sie nun, als erwachsene Mädchen, die Erlaubniß hatten, hinaufzusteigen, wann sie wollten, wurde es ihnen gleichgültig. Sie sehnten sich wieder zurück, und nach Verlauf eines Monats sagten sie, daß es unten bei ihnen am schönsten sei; da sei man so hübsch zu Haufe.

      In mancher Abendstunde faßten die fünf Schwestern einander an den Armen und stiegen in einer Reihe über das Wasser auf; herrliche Stimmen hatten sie, schöner, denn irgend ein Mensch; und wenn dann ein Sturm im Anzüge war, so daß sie vermuthen konnten, es würden Schiffe untergehen, schwammen sie vor den Schiffen her und sangen so lieblich, wie schön es auf dem Grunde des Meeres sei, und baten die Seeleute, sich nicht zu fürchten, da hinunterzukommen. Aber die konnten die Worte nicht verstehen und glaubten, es sei der Sturm; sie bekamen auch die Herrlichkeit dort unten nicht zu sehen, denn wenn das Schiff sank, ertranken die Menschen und kamen als Leichen zu des Meerkönigs Schlosse.

      Wenn die Schwestern so des Abends, Arm in Arm, hoch durch das Wasser hinaufstiegen, dann stand die kleinste Schwester allein und sah ihnen nach; und es war ihr, als ob sie weinen müßte; aber die Seejungfer hat keine Thränen, und darum leidet sie weit mehr.

      »Ach, wäre ich doch fünfzehn Jahre alt!« sagte sie. »Ich weiß, daß ich die Welt dort oben und die Menschen, die darauf wohnen und hausen, recht lieben werde.«

      Endlich war sie denn fünfzehn Jahre alt.

      »Sieh, nun bist Du erwachsen!« sagte die Großmutter, die alte Königswitwe. »Komm nun, laß mich Dich schmücken, gleich Deinen andern Schwestern!« Sie setzte ihr einen Kranz weißer Lilien auf das Haar; aber jedes Blatt in der Blume war die Hälfte einer Perle; und die Alte ließ acht große Austern im Schweife der Prinzessin sich festklemmen, um ihren hohen Rang zu zeigen.

      »Das thut so weh!« sagte die kleine Seejungfer.

      »Ja, Hoffart muß Zwang leiden!« sagte die Alte.

      O, sie hätte so gern alle diese Pracht abschütteln und den schweren Kranz ablegen mögen: ihre rothen Blumen im Garten kleideten sie besser; aber sie konnte es nun nicht andern. »Lebt wohl!« sprach sie; und sie stieg dann leicht und klar, gleich einer Blase, aus dem Wasser auf.

      Die Sonne war eben untergegangen, als sie den Kopf über das Wasser erhob; aber alle Wolken glänzten noch wie Rosen und Gold; und inmitten der bleichrothen Luft strahlte der Abendstern so hell und schön; die Luft war mild und frisch und das Meer ruhig. Da lag ein großes Schiff mit drei Masten; nur ein einziges Segel war aufgezogen, denn es regte sich kein Lüftchen; und rings umher im Tauwerk und auf den Raaen saßen die Matrosen. Da war Musik und Gesang, und als es dunkelte,