Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Christian Andersen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746750194
Скачать книгу
als sei es das der Kunst, denn hier führt der Weg immer eine glühende Leiter hinan, aber zum Himmel. Alle Propheten des Geistes eilen zum Himmel, wie der Prophet Elias.

      Rechts im Gange der Kirche schien jede Bildsäule auf den reichen Sarkophagen Leben erhalten zu haben. Hier stand Michael Angelo, dort Dante mit dem Lorberkranze um die Schläfen, Alfieri, Macchiavelli, Seite an Seite ruhen hier die großen Männer, Italiens Stolz.[17] Es ist eine prächtige Kirche, weit schöner, wenngleich nicht so groß, als der Marmordom zu Florenz.

      Er war, als regten sich die marmornen Gewänder, als erhöben die großen Gestalten ihre Häupter höher und schauten, unter Gesang und Tönen, hinauf zu dem bunten, strahlenden Altar, wo weißgekleidete Knaben goldene Rauchfässer schwingen; der starke Duft strömte aus der Kirche auf den freien Platz.

      Der Knabe streckte seine Hand nach dem Lichtglanz aus, und im Nu eilte das Metallschwein fort; er mußte sich fest anklammern, der Wind sauste ihm um die Ohren, er hörte die Kirchthüre in den Angeln kreischen, indem sie sich schloß, aber in dem Augenblicke schien ihn das Bewußtsein zu verlassen, er fühlte eine eisige Kälte – und schlug die Augen auf.

      Es war Morgen, er saß, halb hinabgeglitten vom Metallschweine, welches da stand, wo es immer in der Straße porta rosa zu stehen pflegte, noch auf dem Rücken desselben.

      Furcht und Angst erfüllte den Knaben bei dem Gedanken an die, welche er Mutter nannte, und die ihn gestern ausgesandt hatte, um Geld herbeizuschaffen; er hatte nichts, ihn hungerte und dürstete. Noch einmal umfaßte er des Metallschweins Hals, küßte es auf den Rüssel, nickte ihm zu, wanderte dann fort in eine der engsten Gassen, kaum breit genug für einen bepackten Esel. Eine große eisenbeschlagene Thür war halb angelehnt, hier stieg er eine gemauerte Treppe mit schmutzigen Wänden und einem Seile, das als Geländer diente, hinan, und gelangte in eine offene Galerie, mit Lumpen behängt; von hier führte eine Treppe in den Hof hinab, wo vom Brunnen große Eisendräthe nach allen Etagen des Hauses gezogen waren und ein Wassereimer neben dem andern schwebte, während die Rolle knarrte und der Eimer in der Luft tanzte, daß das Wasser in den Hof hinunter plätscherte. Wieder führte eine verfallene, gemauerte Treppe aufwärts; – zwei Matrosen, es waren Russen, sprangen munter herab und hätten den armen Knaben fast umgestoßen. Sie kamen von ihrem nächtlichen Bacchanal. Eine nicht junge, aber üppige Weibergestalt, mit vollem schwarzen Haar, folgte ihnen. »Was bringst Du nach Hause?« sagte sie zum Knaben.

      »Sei nicht böse!« bat dieser, »ich erhielt nichts, gar nichts!« – und ergriff der Mutter Kleid, als wollte er es küssen. Sie traten in das Stübchen; das will ich nicht beschreiben, nur so viel sei gesagt, daß dort ein Henkeltopf mit Kohlenfeuer stand, marito, wie er genannt wird. Diesen nahm sie in den Arm, wärmte sich die Finger und stieß den Knaben mit dem Ellnbogen. »Ja, gewiß hast Du Geld!« sagte sie.

      Das Kind weinte, sie stieß es mit dem Fuße; es jammerte laut. – »Wirst Du schweigen, oder ich zerschlage Deinen schreienden Kopf!« und sie schwang den Feuertopf, den sie in der Hand hielt; der Knabe bückte sich mit einem Schrei zur Erde. Du trat die Nachbarin zur Thür herein, auch sie hatte ihren marito im Arme. »Felicita! Was thust Du dem Kinde?«

      »Das Kind ist mein!« antwortete Felicita. »Ich kann es ermorden, wenn ich will, und Dich mit, Giannina,« und sie schwang ihren Feuertopf; die andere erhob den ihrigen zur Abwehr, und beide Töpfe schlugen so heftig gegen einander, daß Scherben, Feuer und Asche im Zimmer umherflogen; – – aber in demselben Augenblicke war der Knabe aus der Thür, über den Hof und aus dem Hause. Das arme Kind lief, daß es zuletzt nicht mehr athmen konnte; es hielt an bei der Kirche, deren große Thüre sich in voriger Nacht vor ihm aufgeschlossen, und ging hinein. Alles strahlte, der Knabe kniete an dem ersten Grabe zur Rechten nieder, es war das Grab Michael Angelo's, und bald schluchzte er laut. – Leute kamen und gingen, die Messe wurde gelesen, Keiner bemerkte den Knaben; nur ein ältlicher Bürger stand still, blickte ihn an – und ging dann fort wie die Andern.

      Hunger und Durst plagten den Kleinen, er war ganz ohnmächtig und krank; er kroch in einen Winkel zwischen den Marmormonumenten und schlief ein. Es war gegen Abend, als er durch ein Zupfen geweckt wurde; er fuhr auf, und derselbe alte Bürger stand vor ihm.

      »Bist Du krank? Wo bist Du zu Hause? Bist Du den ganzen Tag hier gewesen?« waren einige der vielen Fragen, die der Alte an ihn richtete. Sie wurden beantwortet, und der alte Mann nahm ihn mit sich in sein kleines Haus, dicht neben an in einer Seitenstraße. Sie traten in eine Schuhmacher-Werkstatt, die Frau saß eifrig nähend, als sie kamen. Ein kleiner weißer Spitz, so kurz geschoren, daß man seine rosenfarbene Haut sehen konnte, hüpfte auf den Tisch und machte vor dem kleinen Knaben seine Sprünge.

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

      »Die unschuldigen Seelen kennen sich,« sagte die Frau und liebkoste Hund und Knaben. Letzterer erhielt Speise und Trank von den guten Leuten, und sie sagten, es solle ihm erlaubt sein, die Nacht bei ihnen zu verweilen; am nächsten Tage würde Vater Giuseppe mit seiner Mutter sprechen. Er erhielt ein kleines ärmliches Bett; für ihn aber, der oft auf dem harten, steinernen Fußboden hatte schlafen müssen, war es königlich prächtig; wie süß schlief er, träumend von den reichen Bildern und dem Metallschweine.

      Vater Giuseppe ging am nächsten Morgen aus; das arme Kind war darüber nicht froh, denn es wußte, daß dieser Ausgang deshalb stattfinde, um es seiner Mutter wieder zuzuführen. Der Knabe küßte den kleinen muntern Hund, und die Frau nickte Beiden zu. –

      Welchen Bescheid brachte Vater Giuseppe? Er sprach viel mit seiner Frau, und diese nickte und streichelte den Knaben. »Es ist ein herrliches Kind!« sagte sie. »Er kann ein hübscher Handschuhmacher werden, wie Du warst, und Finger hat er, wie fein und biegsam! Madonna hat ihn zum Handschuhmacher bestimmt!«

      Und der Knabe blieb im Hause, die Frau lehrte ihn selbst nähen; er aß gut, schlief gut, wurde munter und begann Belissima zu necken, so hieß der kleine Hund; die Frau drohte mit dem Finger, schalt und wurde böse. – Das ging dem Knaben zu Herzen, gedankenvoll saß er in seiner kleinen Kammer. Diese hatte die Aussicht nach der Straße, in der Felle getrocknet wurden; dicke Eisenstangen waren vor den Fenstern, er konnte nicht schlafen; das Metallschwein erschien ihm stets in Gedanken, und plötzlich hörte er draußen: Klatsch, Klatsch. Das war gewiß ein Schwein! Er sprang an's Fenster, aber Nichts war zu sehen, es war schon vorüber.

      »Hilf dem Signor seinen Farbekasten tragen!« sagte Madame am folgenden Morgen zum Knaben, als der junge Nachbar, der Maler, diesen und eine große, zusammengerollte Leinwand tragend, vorüberschritt. Der Knabe nahm den Kasten und folgte dem Maler, sie schlugen den Weg nach der Galerie ein und dieselbe Treppe hinan, die ihm seit jener Nacht, als er auf dem Metallschweine ritt, wohl bekannt war. Er kannte die Statuen und Bilder, die schöne Marmor-Venus und die, welche in Farben lebte; er sah die Mutter Gottes, Jesus und Johannes wieder.

      Nun blieben sie vor dem Gemälde von Bronzino stehen, wo Christus in die Unterwelt hinabsteigt und die Kinder um ihn her lächeln in süßer Erwartung des Himmels – das arme Kind lächelte auch, denn hier war es in seinem Himmel! –

      »Geh nun nach Hause!« sagte der Maler, als der Knabe schon so lange gestanden, bis jener während dessen seine Staffelei aufgerichtet hatte. –

      »Darf ich Euch malen sehen?« fragte der Knabe, »darf ich zusehen, wie Ihr das Bild auf diese weiße Leinwand bringt?«

      »Noch male ich nicht!« antwortete der Mann und nahm seine schwarze Kreide hervor. Schnell bewegte sich die Hand, das Auge maß das große Bild, und obgleich nur ein seiner Strich sichtbar wurde, stand Christus doch schwebend da, wie auf dem farbigen Bilde.

      »Aber so gehe doch!« sagte der Maler, und still wanderte der Knabe heim, setzte sich auf den Tisch und – lernte Handschuhe nähen.

      Aber den ganzen Tag waren seine Gedanken im Bildersaale, und daher stach er sich in die Finger, betrug sich linkisch, neckte aber dafür Bellissima nicht. Als es Abend wurde und die Hausthüre gerade offen stand, schlich er sich hinaus; es war noch kalt, aber sternenhell, gar schön und heiter. Fort wanderte er durch die schon