Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Christian Andersen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746750194
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in Deiner Gegenwart gelesen oder erzählt wird, sehen kannst.«

      »Ach! das ist wahrlich viel, sehr viel!« sagte die alte Laterne. »Ich danke Dir herzlich! Wenn ich nur nicht umgegossen werde!«

      »Das geschieht sobald nicht!« sagte der Wind. »Jetzt blase ich Dir das Gedächtniß ein; wenn Du mehrere derartige Geschenke erhältst, da kannst Du immer noch Deine alten Tage recht vergnügt zubringen.«

      »Wenn ich nur nicht umgegossen werde!« sagte die Laterne. »Oder behalte ich für diesen Fall auch mein Gedächtniß?«

      »Alte Laterne, sei vernünftig!« sagte der Wind und blies.

      In dem Augenblicke trat der Mond hinter den Wolken hervor.

      »Was schenken Sie der Laterne?« fragte der Wind.

      »Nichts gebe ich!« antwortete er. »Ich bin ja im Abnehmen und die Laternen haben mir nie geleuchtet, wohl habe ich aber umgekehrt den Laternen geleuchtet.« Und mit diesen Worten versteckte der Mond sich wieder hinter den Wollen, um nicht ferneren Zumuthungen ausgesetzt zu sein.

      Jetzt fiel ein Tropfen auf die Laterne wie vom Dache herunter; der Tropfen erklärte, er käme aus den grauen Wolken und sei auch ein Geschenk, vielleicht sogar das beste. »Ich durchdringe Dich so, daß Du die Fähigkeit erlangst, in einer Nacht, wenn Du es wünschest, zu Rost zu werden und in Staub zusammenzufallen.«

      Dies schien aber der Laterne ein schlechtes Geschenk zu sein; dem Winde ebenfalls. »Giebt Niemand mehr? Giebt Niemand mehr?« blies er, so laut er konnte.

      Da fiel eine leuchtende Sternschnuppe, einen langen, hellen Streifen bildend.

      »Was war das?« rief der Häringskopf. »Fiel nicht ein Stern herunter? Ich glaube gar, er fuhr in die Laterne! Freilich, wenn solche hochstehende Personen sich um dieses Amt bewerben, da können wir gute Nacht sagen und uns nach Hause verfügen.«

      Und das thaten sie auch alle Drei. Die alte Laterne verbreitete aber ein wunderbar starkes Licht. »Das war ein herrliches Geschenk!« sagte sie. »Die klaren Sterne, über die ich stets meine größte Freude gehabt, und die so herrlich leuchten, wie ich nie habe leuchten können, obwohl mein ganzes Dichten und Trachten darauf gerichtet war, haben mich arme, alte Laterne doch bemerkt, und mir ein Geschenk gesandt, in der Fähigkeit bestehend, daß Alles, dessen ich mich selbst entsinne und was ich so deutlich sehe, als ob es vor mir stände, auch von allen Denen gesehen werden kann, die ich liebe. Und hierin liegt erst das wahre Vergnügen; denn Freude, die man nicht mit Andern theilen kann, ist doch nur halbe Freude.«

      »Das macht Deiner Gesinnung alle Ehre!« sagte der Wind. »Aber dazu sind Wachslichter nöthig. Wenn diese nicht in Dir angezündet sind, helfen Deine seltenen Fähigkeiten den Andern nichts. Sieh! daran haben die Sterne nicht gedacht; sie halten Dich und jede andere Beleuchtung für Wachslichter. Doch, ich will mich legen!« – Und er legte sich.

      »Ja, du lieber Gott! Wachslichter!« sagte die Laterne. »Die habe ich weder bisher gehabt, noch werde ich sie wohl künftig bekommen! Wenn ich nur nicht umgegossen werde!«

      Den nächsten Tag, ja, den nächsten Tag thun wir besser zu überspringen. – Am nächsten Abend ruhte die Laterne in einem Großvaterstuhle. Und rathe wo? Bei dem alten Nachtwächter! Er hatte vom Bürgermeister und Rath sich die Gnade ausgebeten, in Betracht seiner langen und treuen Dienste die alte Laterne behalten zu dürfen, die er selbst an seinem ersten Amtstage, vor vierundzwanzig Jahren, zum ersten Male auf- und angesteckt habe. Er betrachtete sie wie sein Kind, er hatte ja kein anderes; und die Laterne wurde ihm geschenkt.

      Jetzt lag sie da im Großvaterstuhl, neben dem warmen Ofen. Es war, als sei sie größer geworden, weil sie den Stuhl allein einnahm. Die alten Leute saßen bei ihrem Abendbrote und warfen freundliche Blicke auf die alte Laterne, der sie gern einen Platz am Tische gegönnt hatten.

      Sie bewohnten freilich einen Keller, zwei Ellen tief in die Erde hinein; man mußte über einen gepflasterten Gang um in die Stube zu gelangen; drinnen war es aber recht gemüthlich und warm; an die Thür waren, Tuchleisten genagelt. Alles reinlich und nett, Vorhänge um die kleinen Bettstellen und vor den kleinen Fenstern. Auf dem Fensterbrette standen zwei curiose Blumentöpfe, welche Matrose Christian mit aus Ost- oder Westindien gebracht hatte. Sie waren nur aus Thon und stellten zwei Elephanten vor; der Rücken fehlte; statt dessen blühte aus der Erde, mit der sie gefüllt waren, aus dem einen das schönste Schnittlauch: das war der Küchengarten; aus dem andern ein großer Geraniumbusch: das war der Blumengarten. An der Wand hing ein großes colorirtes Bild: der Congreß zu Wien. Da hatten sie alle Könige und Kaiser auf einmal. Eine Wanduhr mit schweren Bleigewichten ging »Tick! Tack!« und zwar ging sie immer vor; doch dies, meinten die alten Leute, sei weit besser, als wenn sie nach ginge. Sie verzehrten ihr Abendbrot, und die Straßenlaterne lag, wie erwähnt, im Großvaterstuhl dicht neben dem Ofen. Es schien der Laterne, als sei die ganze Welt um und um gedreht. Als aber der alte Wächter sie anblickte und davon sprach, was sie alle Beide zusammen erlebt hätten, in Regen und Nebel, in hellen, kurzen Sommernächten, wie in den langen Winternächten bei Schneegestöber, wo man sich nach dem Kellerhalse sehnte – da fand sich die alte Laterne wieder zurecht. Sie sah Alles so deutlich, als geschehe es jetzt; ja, der Wind hatte ihr ein tüchtiges Licht aufgehen lassen.

      Die alten Leute waren sehr thätig und fleißig; keine Stunde wurde im Müßiggange zugebracht. Sonntag Nachmittags wurde irgend ein Buch hervorgesucht, am Liebsten eine Reisebeschreibung. Und der alte Mann las vor: von Afrika, von den großen Wäldern, von den Elephanten, die wild herum laufen; und die alte Frau horchte gespannt auf und blickte verstohlen nach den Thon-Elephanten, die als Blumentöpfe dienten.

      »Ich kann es mir beinahe vorstellen!« sagte sie. Und die Laterne wünschte sehnlichst, daß ein Wachslicht dagewesen und in ihr angebrannt worden wäre; dann hätte die alte Frau Alles bis ins Kleinste genau sehen können, wie es die Laterne erblickte: die hohen Bäume, die dicht in einander verwachsenen Zweige, die nackten, schwarzen Menschen zu Pferde und Schaaren von Elephanten, die mit ihren plumpen, breiten Füßen Rohr und Gebüsche zertraten.

      »Was helfen nun alle meine Fähigkeiten, wenn ich kein Wachslicht finde!« seufzte die Laterne. »Sie haben nur Oel und Talglicht, und das genügt nicht!«

      Eines Tages gelangte ein großer Haufen Wachslichtstückchen hinunter in den Keller; die größten Stücke wurden verbrannt, die kleinen benutzte die alte Frau, um ihren Nähzwirn zu wachsen. Wachslichter waren also genug da, es fiel aber Niemandem ein, ein kleines Stück in die Laterne zu stecken.

      »Da stehe ich nun mit meinen seltenen Fähigkeiten,« dachte die Laterne. »Ich trage Alles in mir und kann sie nicht daran Theil nehmen lassen; sie wissen nicht, daß ich die weißen Wände in die prächtigsten Tapeten zu verwandeln vermag, in die schönsten Wälder, in Alles, was sie sich nur wünschen können.« Die Laterne wurde übrigens nett gehalten und stand geputzt in einein Winkel, wo sie Jedermann in die Augen fiel. Die Fremden fanden, daß sie ein großes Gerumpel sei: daraus machten sich aber die alten Leute nichts; sie hatten die Laterne lieb.

      Eines Tages – es war des alten Wächters Geburtstag – näherte sich die alte Frau, vor sich hin lächelnd, der Laterne und sagte: »Ich will heute meinem Alten zu Ehren illuminiren!« Und die Laterne knarrte mit den blechernen Beschlägen und dachte: »Na! endlich geht ihnen doch ein Licht auf!« Es blieb aber bei Oel, und kein Wachslicht kam zum Vorschein. Sie brannte den ganzen Abend hindurch, sah aber jetzt zu gut ein, daß die Gabe der Sterne ein todter Schatz für dieses Leben bleiben würde. – Da hatte sie einen Traum – bei ihren Fähigkeiten war es eben keine Kunst zu träumen! Es kam ihr vor, als ob die alten Leute gestorben wären und sie selbst in die Eisengießerei gekommen sei, um umgegossen zu werden. Es wurde ihr dabei eben so ängstlich zu Muthe wie damals, als sie auf's Rathhaus mußte, um vom Bürgermeister und Rath besichtigt zu werden. Aber obwohl ihr die Kraft geworden war, nach Belieben in Rost und Staub zerfallen zu können, that sie es doch nicht. Sie wurde in den Schmelzofen gesteckt und in einen eisernen Leuchter verwandelt, so schön, wie ihn nur Jemand wünschen konnte, um Wachslichter darauf zu stecken. Sie hatte die Form eines Engels bekommen, der ein großes Bouquet trägt; mitten in das Bouquet wurde das Wachslicht gesteckt. Der Leuchter erhielt seinen Platz auf einem grünen