Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Christian Andersen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746750194
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Maul, Unmensch, und schlafe! – Das ist hier jede Nacht –!«

      »Jede Nacht!« – – –« – wiederholte der Andere – »ja, jede Nacht kommt er und quält mich! – – In meiner Heftigkeit habe ich Dies und Jenes gethan, mit einem bösen Sinne bin ich geboren, der hat mich zum zweiten Male hier hereingebracht; aber habe ich Unrecht gethan, so leide ich ja meine Strafe. – Eins habe ich jedoch nicht gestanden. Als ich letzthin herauskam und am Hofe meines früheren Herrn vorüberging, so kochte es hier Innen, weil mir Dies und Jenes einfiel – – und ich strich ein Schwefelholz so ein Bischen an der Mauer an; das mag dem Strohdache ein wenig zu nahe gekommen sein, Alles brannte nieder, die Hitze kam darüber, wie sie manchmal über mich kommt. Ich selbst half retten, Vieh und Sachen! Nichts Lebendiges verbrannte, als ein Flug Tauben, der ins Feuer flog, und der Kettenhund, an den hatte ich nicht gedacht. Man hörte ihn aus dem Feuer herausheulen, und – – dieses Heulen höre ich noch immer, wenn ich schlafen will, und wenn ich eingeschlafen, so kommt der Hund, groß und rauh, und legt sich auf mich, und heult, und drückt mich, und quält mich! – – So hör' doch, was ich Dir erzähle! Schnarchen kannst Du, die ganze Nacht schnarchst Du, aber ich kaum eine kurze Viertelstunde!« – Und das Blut trat dem hitzigen Gefangenen in die Augen, er warf sich über seinen Cameraden und schlug ihn mit geballter Faust ins Gesicht.

      »Der böse Matz ist wieder mal toll geworden!« hieß es jetzt in der Runde, und die andern Verbrecher faßten ihn, rangen mit ihm, schlossen ihn krumm, daß der Kopf zwischen den Knieen saß, und dort banden sie denselben fest, daß das Blut dem Matz fast aus den Augen und aus allen Poren quoll.

      »Ihr tödtet ihn, den Unglücklichen!« – rief der Pfarrer, und indem er schützend seine Hand über Denjenigen ausstreckte, der bereits zu sehr büßte, wechselte die Scene. Sie flogen durch reiche Säle und arme Stübchen; Wollust und Neid, alle Todsünden schritten an ihnen vorüber; ein Engel des Strafgerichts las ihre Schuld, ihre Vertheidigung; diese war zwar keine glänzende, aber sie wurde Gott gegenüber geführt, dem Gott, der in dem Herzen liest, der Alles insgesammt weiß und kennt, das Böse, das von Innen und von Außen kommt, dem Gott, der die Gnade und die Liebe selbst ist. – Die Hand des Pfarrers zitterte, er wagte sie nicht auszustrecken, er getraute sich nicht, dem Haupte des Sünders ein Haar auszuziehen. – Und die Thränen quollen ihm aus den Augen wie ein Strom der Gnade und Liebe, dessen kühlende Gewässer das ewige Feuer der Hölle löschen.

      Da krähte der Hahn.

      »Allerbarmender Gott! Gieb Du ihr den Frieden, den ich nicht einzulösen vermochte!«

      »Den habe ich jetzt!« – sagte die Todte. – »Es war Dein hartes Wort, Deine Verzweiflung an der Menschheit, Dein finsterer Glaube an Gott und seine Schöpfung, der mich zu Dir trieb! Lerne die Menschen kennen! Selbst in den Bösen lebt ein Theil von Gott, ein solcher, der die Flamme der Hölle löscht und besiegt!«

      Der Prediger fühlte einen Kuß auf seinen Lippen, es leuchtete ein Schimmer um ihn; die klare Sonne Gottes strahlte ins Zimmer herein, wo sein Weib, lebend, mild und voller Liebe, ihn aus einem Traume erweckte, der ihm von Gott gesandt war!

      Hast Du je die Geschichte von der alten Straßenlaterne gehört? Außerordentlich amüsant ist sie zwar nicht, jedoch einmal läßt sie sich anhören.

      Es war eine recht ehrliche, alte Laterne, die viele, viele Jahre hindurch ihren Dienst versehen hatte, jetzt aber in Ruhestand versetzt werden sollte. Zum letzten Male stak sie auf dem Pfahle und leuchtete durch die Straße. Es war ihr zu Muthe wie einer alten Balletfigurantin, die zum letzten Male tanzt und morgen vergessen auf ihrer Bodenkammer sitzt. Die Laterne hatte gar große Angst wegen des andern Tages, denn sie wußte, daß sie zum ersten Male auf dem Rathhause erscheinen und vom Bürgermeister und Rath besichtigt werden sollte, ob sie noch zu fernerem Dienste brauchbar sei oder nicht.

      Da sollte nun beschlossen werden, ob sie künftig ihr Licht für die Bewohner einer der Vorstädte müßte leuchten lassen, oder auf dem Lande in irgend einer Fabrik; vielleicht ging ihr Weg geradezu in eine Eisengießerei, um umgegossen zu werden. In diesem Falle konnte freilich Alles aus ihr werden, aber der Gedanke, ob sie dann wohl die Erinnerung daran behalten würde, daß sie früher Straßenlaterne gewesen, peinigte sie schrecklich. Wie es ihr auch gehen mochte: so viel ist gewiß, daß sie vom Nachtwächter und seiner Frau, die sie wie zu ihrer Familie gehörig betrachteten, getrennt werden würde. Als die Laterne zum ersten Male aufgehängt wurde, war der Nachtwächter ein junger, rüstiger Mann; es geschah, als er eben zu derselben Stunde sein Amt antrat. Ja! das war freilich lange her, daß sie Laterne und er Nachtwächter wurde. Die Frau war damals ein wenig stolz. Nur wenn sie Abends vorbeiging, würdigte sie die Laterne eines Blickes, am Tage nie. Jetzt aber, in den letzten Jahren, wo sie alle Drei, der Wächter, die Frau und die Laterne, alt geworden, hatte die Frau auch sie gepflegt, geputzt und mit Oel versehen. Grundehrlich waren die beiden Eheleute; nie hatten sie die Lampe nur um einen Tropfen des ihr bestimmten Oels betrogen.

      Es war ihr letzter Abend auf der Straße und morgen sollte sie auf's Rathhaus: das waren zwei finstere Gedanken! Kein Wunder, daß sie nicht schön brannte. Aber auch viele andere Gedanken durchkreuzten sie. Zu wie Vielem hatte sie ihr Licht geliehen, wie Vieles hatte sie gesehen, vielleicht eben so viel, wie Bürgermeister und Rath. Allein diese Gedanken ließ sie nicht laut werden, denn sie war eine gute, ehrliche, alte Laterne, die Niemandem etwas zu Leide thun mochte, am allerwenigsten der Obrigkeit. Gar Vieles fiel ihr ein und mitunter flackerte ihre Flamme auf. Sie hatte in solchen Augenblicken ein Gefühl, daß man sich auch ihrer erinnern würde. »Da war damals der junge, hübsche Mann – es ist freilich lange her – der hatte ein Briefchen auf rosarothem Papier mit Goldrand. Es war so zierlich geschrieben, wie von einer Damenhand. Zweimal las er es und küßte es und blickte empor zu mir mit Augen, die deutlich aussprachen: »»Ich bin der glücklichste der Menschen!«« Nur er und ich wußten, was in diesem ersten Briefe seine Geliebten geschrieben stand. Ja! auch noch eines Augenpaares erinnere ich mich. Es ist doch etwas Wunderbares um die Gedankensprünge! In der Straße war ein Leichenbegängniß; die junge, schöne Frau ruhte auf dem vornehmsten Leichenwagen in dem mit Blumen und Kränzen bedeckten Sarge; die vielen Fackeln verdunkelten mein Licht. Längs der Häuser standen die Menschen gedrängt; sie zogen alle dem Leichenzuge nach. Als aber die Fackeln mir aus dem Gesicht waren und ich umher blickte, stand eine einzige Person noch an meinen Pfahl gelehnt und weinte. Nie vergesse ich das trauernde Augenpaar, das zu mir aufblickte!« Diese und ähnliche Gedanken beschäftigten die alte Straßenlaterne, die heute zum letzten Male leuchtete.

      Die Schildwache, die von ihrem Posten abgelöst wird, kennt doch wenigstens ihren Nachfolger und darf ihm einige Worte zuflüstern: die Laterne kannte den ihrigen nicht, und sie hatte ihm doch einige nützliche Winke in Bezug auf Regen und Nebel geben, ihn in Kenntniß setzen können, wie weit die Strahlen des Mondes das Trottoir berührten, von welcher Seite der Wind gewöhnlich blase und Anderes mehr.

      Auf der Rinnsteinbrücke standen drei Personen, die sich der Laterne vorstellen wollten, weil sie glaubten, daß diese selbst das Amt zu vergeben habe. Die erste Person war ein Häringskopf, der im Finstern auch leuchten konnte. Er meinte, es sei eine große Oelersparniß, wenn er auf den Pfahl gesteckt würde. Nummer Zwei war ein Stück faules Holz, welches auch schimmert. Es sei, meinte es, aus einem alten Stamm, einst die Zierde des Waldes, entsprossen. Die dritte Person war ein Johanniswürmchen; woher dieses gekommen sei, begriff die Laterne nicht, da war es aber, und leuchten konnte es auch. Das faule Holz und der Häringskopf schwuren jedoch bei Allem, was ihnen heilig, daß es nur zu bestimmten Zeiten leuchte und daher nicht in Betracht kommen könne.

      Die alte Laterne erklärte, daß keins von ihnen genügend leuchte, um den Posten einer Straßenlaterne zu bekleiden; das glaubte aber keiner von ihnen. Als sie daher hörten, daß die Laterne nicht selbst das Amt zu vergeben habe, meinten sie, daß dies sehr erfreulich sei; sie wäre auch viel zu hinfällig, um diese Wahl treffen zu können.

      In demselben Augenblicke kam der Wind von der Straßenecke daher gesaust und fuhr durch die Luftlöcher der alten Laterne. »Was muß ich hören!« fragte er. »Du willst morgen fort? Ich treffe Dich heute zum letzten Male? Da muß ich Dir noch etwas zum Abschied bescheeren; ich blase