»Meine vortreffliche kleine Nachtigall!« sagte der Cavalier, »ich habe die große Freude, Sie zu einem Hoffeste heute Abend einzuladen, wo Sie Dero hohe kaiserliche Gnaden mit Ihrem charmanten Gesänge bezaubern werden!«
»Der hört sie am besten im Grünen an!« sagte die Nachtigall; aber sie kam doch gern mit, als sie hörte, daß es der Kaiser wünschte.
Auf dem Schlosse war tüchtig aufgeputzt. Die Wände und der Fußboden, welche von Porzellan waren, glänzten im Strahle vieler tausend Goldlampen; die prächtigsten Blumen, welche recht klingeln konnten, waren in den Gängen aufgestellt. Das war ein Laufen und ein Zugwind, und alle Glocken klingelten so, daß man sein eigenes Wort nicht hören konnte.
Mitten in den großen Saal wo der Kaiser saß war ein goldener Stecken gestellt, auf diesem sollte die Nachtigall sitzen. Der ganze Hof war da, und die kleine Köchin hatte die Erlaubniß erhalten, hinter der Thür zu stehen, da sie nun den Titel einer wirklichen Hofköchin bekommen hatte. Alle waren in ihrem größten Putz, und Alle sahen nach dem kleinen grauen Vogel, dem der Kaiser zunickte.
Die Nachtigall sang so herrlich, daß dem Kaiser die Thränen in die Augen traten und ihm über die Wangen herniederliefen, da sang die Nachtigall noch schöner: das ging recht zu Herzen. Der Kaiser war so froh, daß er sagte, die Nachtigall solle seinen goldenen Pantoffel um den Hals zu tragen bekommen. Aber die Nachtigall dankte: sie habe schon Belohnung genug erhalten.
»Ich habe Thränen in des Kaisers Augen gesehen, das ist mir der reichste Schatz! Eines Kaisers Thränen haben eine besondere Kraft! Gott weiß es, ich bin genug belohnt.« Darauf sang sie wieder mit ihrer süßen, herrlichen Stimme.
»Das ist die liebenswürdigste Koketterie, die ich kenne!« sagten die Damen rings umher, und dann nahmen sie Wasser in den Mund um zu glucken, wenn Jemand mit ihnen spräche. Sie glaubten dann auch Nachtigallen zu sein. Ja, die Lakaien und Kammermädchen ließen melden, daß auch sie zufrieden seien; das will viel sagen, denn die sind am schwersten zu befriedigen. Kurz, die Nachtigall machte wahrlich Glück.
Sie sollte nun bei Hofe bleiben, ihr eigenes Bauer und die Freiheit haben, zweimal des Tages und einmal des Nachts herauszuspazieren. Sie bekam dann zwölf Diener mit, welche ihr alle ein Seidenband um das Bein geschlungen hatten, an dem sie sie recht fest hielten. Es war durchaus kein Vergnügen bei einem solchen Ausfluge.
Die ganze Stadt sprach von dem merkwürdigen Vogel, und begegneten sich Zwei, so sagte der Eine nichts Anderes als: »Nacht!« – und der Andere sagte: »gall!«[3] Und dann seufzten sie und verstanden einander. Ja, elf Hökerkinder wurden nach ihr benannt; aber nicht eins von ihnen hatte einen Ton in der Kehle. –
Eines Tages erhielt der Kaiser ein großes Packet, worauf geschrieben stand: »Die Nachtigall«.
»Da haben wir nun ein neues Buch über unsern berühmten Vogel!« sagte der Kaiser. Aber es war kein Buch, sondern ein kleines Kunstwerk, welches in einer Schachtel lag: eine künstliche Nachtigall, die der lebenden gleichen sollte, allein überall mit Diamanten, Rubinen und Saphiren besetzt war. Sobald man den Kunstvogel aufzog, konnte er eins der Stücke, die der wirkliche Vogel sang, singen; und dann bewegte sich der Schweif auf und nieder, und glänzte von Silber und Gold. Um den Hals hing ein kleines Band, darauf stand geschrieben: »Des Kaisers von Japan Nachtigall ist arm gegen die des Kaisers von China.«
»Das ist herrlich!« sagten Alle; und der, welcher den künstlichen Vogel gebracht hatte, erhielt sogleich den Titel: Kaiserlicher Ober-Nachtigall-Bringer.
»Nun müssen sie zusammen singen: was wird das für ein Duett werden!«
Und so mußten sie zusammen singen; aber es wollte nicht recht passen, denn die wirkliche Nachtigall sang auf ihre Weise und der Kunstvogel ging auf Walzen. »Der hat keine Schuld,« sagte der Spielmeister; »der ist besonders taktfest und ganz nach meiner Schule!« Nun sollte der Kunstvogel allein singen. Er machte eben so viel Glück, als der wirkliche, und dann war er ja viel niedlicher anzusehen: er glänzte wie Armbänder und Busennadeln.
Dreiunddreißig Mal sang er ein und dasselbe Stück und war doch nicht müde. Die Leute hätten ihn gern wieder aufs Neue gehört, aber der Kaiser meinte, daß nun auch die lebendige Nachtigall etwas singen solle. – – Aber wo war die? Niemand hatte bemerkt, daß sie aus dem offenen Fenster zu ihren grünen Wäldern fort geflogen war.
»Aber was ist denn das!« sagte der Kaiser. Und alle Hofleute schalten und meinten, daß die Nachtigall ein höchst undankbares Thier sei. »Den besten Vogel haben wir doch!« sagten sie; und so mußte denn der Kunstvogel wieder singen, und das war das vierunddreißigste Mal, daß sie dasselbe Stück zu hören bekamen. Sie konnten es dessenungeachtet doch nicht auswendig; es war gar zu schwer. Und der Spielmeister lobte den Vogel außerordentlich; ja, er versicherte, daß er besser als eine Nachtigall sei, nicht nur was die Kleider und die vielen herrlichen Diamanten beträfe, sondern auch innerlich.
»Denn sehen Sie, meine Herrschaften, der Kaiser vor Allen! bei der wirklichen Nachtigall kann man nie berechnen, was da kommen wird; aber bei dem Kunstvogel ist Alles bestimmt! Man kann es erklären, man kann ihn öffnen und dem Menschen begreiflich machen, wie die Walzen liegen, wie sie gehen, und wie das Eine aus dem Andern folgt!«
»Das sind auch unsere Gedanken!« sagten Alle, und der Spielmeister erhielt die Erlaubniß, am nächsten Sonntage den Vogel dem Volke vorzuzeigen. Es sollte ihn auch singen hören, befahl der Kaiser. Und es hörte ihn; und es wurde so vergnügt, als ob es sich in Thee berauscht hätte, denn das ist chinesisch; da sagten Alle: »Oh!« und hielten den Zeigefinger in die Höhe und nickten dazu. Die armen Fischer jedoch, welche die wirkliche Nachtigall gehört hatten, sagten: »Das klingt hübsch genug; die Melodien gleichen sich auch; aber es fehlt Etwas, ich weiß nicht was!«
Die wirkliche Nachtigall wurde aus dem Lande und Reiche verwiesen.
Der Kunstvogel hatte seinen Platz auf einem Seidenkissen dicht bei des Kaisers Bette; alle die Geschenke, welche er erhalten, Gold und Edelsteine, lagen rings um ihn her, und im Titel war er zu einem »Hochkaiserlichen Nachttisch-Sänger« gestiegen, im Range bis Nummer Eins zur linken Seite. Denn der Kaiser rechnete die Seite für die vornehmste, auf der das Herz saß, und das Herz sitzt auch bei einem Kaiser links. Und der Spielmeister schrieb ein Werk von fünfundzwanzig Bänden über den Kunstvogel; das war so gelehrt und so lang, voll von den allerschwersten chinesischen Wörtern, daß alle Leute sagten, sie hatten es gelesen und verstanden, denn sonst wären sie ja dumm gewesen und wären auf den Leib getrampelt worden.
So ging es ein ganzes Jahr. Der Kaiser, der Hof und alle die andern Chinesen konnten jeden Gluck in des Kunstvogels Gesange auswendig. Aber gerade deshalb gefiel er ihnen jetzt am Allerbesten: sie konnten selbst mitsingen, und das thaten sie auch. Die Straßenbuben sangen: »Zizizi! Gluckgluckgluck!« und der Kaiser sang es ebenfalls. Ja, das war gewiß prächtig!
Eines Abends jedoch, als der Kunstvogel am Besten sang, und der Kaiser im Bette lag und darauf hörte, sagte es inwendig im Vogel »Schwupp«. Da sprang Etwas! »Schnurrrr!« alle Räder liefen herum, und dann stand die Musik still.
Der Kaiser sprang gleich aus dem Bette und ließ seinen Leibarzt rufen; aber was konnte der helfen! Dann ließen sie den Uhrmacher holen, und nach vielem Sprechen und Nachsehen bekam er den Vogel etwas in Ordnung; aber er sagte, daß er geschont werden müsse, denn die Zapfen seien abgenutzt, und es wäre unmöglich, neue so einzusetzen, daß die Musik sicher ginge. Nun war eine große Trauer! Nur einmal des Jahres durfte man den Kunstvogel singen lassen, und das war schon fast zu viel. Aber dann hielt der Spielmeister eine kleine Rede voll inhaltsschwerer Worte und sagte, daß es eben so gut sei, wie früher; dann war es eben so gut, wie früher.
Jetzt waren fünf Jahre vergangen, und das Land bekam eine große Trauer. Die Chinesen hielten im Grunde alle auf ihren Kaiser, und jetzt war er krank und konnte nicht lange mehr leben, sagte man. Schon war ein neuer Kaiser gewählt, und das Volk stand draußen auf der Straße und fragte den Cavalier, wie es ihrem alten Kaiser ginge.
»P!« sagte er und schüttelte