»Ach ja, ach ja!« seufzte der kleine Klaus im Sacke und drehte und wendete sich; aber es war ihm nicht möglich, das Band aufzulösen. Da kam ein' alter, alter Viehtreiber daher, mit schneeweißem Haare und einem großen Stabe in der Hand; er trieb eine Heerde Kühe und Stiere vor sich hin; die stießen an den Sack, in dem der kleine Klaus saß, sodaß er umgeworfen wurde.
»Ach ja!« seufzte der kleine Klaus. »Ich bin noch so jung und soll schon in's Himmelreich!«
»Und ich Armer,« sagte der Viehtreiber, »ich bin schon so alt und kann noch immer nicht dahin kommen!«
»Mache den Sack auf!« rief der kleine Klaus; »krieche statt meiner hinein, so kommst Du augenblicklich in's Himmelreich.«
»Ja, das will ich herzlich gern,« sagte der Viehtreiber und band den Sack auf, aus dem der kleine Klaus sogleich herauskroch.
»Willst Du nun aber auch auf das Vieh Acht geben?« sagte der alte Mann und kroch statt seiner in den Sack hinein, worauf der kleine Klaus ihn zuband und mit allen Kühen und Stieren seines Weges zog.
Bald darauf kam der große Klaus aus der Kirche und nahm seinen Sack wieder auf den Rücken, obgleich es ihm schien, als wäre derselbe leichter geworden; denn der alte Viehtreiber war nur halb so schwer wie der kleine Klaus. »Wie ist er doch jetzt leicht zu tragen! Das kommt daher, weil ich einen Psalm gehört habe.« So ging er nach dem Flusse, der tief und breit war, warf den Sack mit dem alten Viehtreiber hinein und rief hintendrein – denn er glaubte ja, daß es der kleine Klaus sei: »Da liege! Nun sollst Du mich nicht mehr foppen!«
Darauf ging er nach Hause; als er aber an die Stelle kam, wo der Weg sich kreuzte, begegnete er dem kleinen Klaus, welcher mit seinem Viehe dahintrieb.
»Was ist das?« sagte der große Klaus. »Habe ich Dich nicht ertränkt?«
»Ja!« sagte der kleine Klaus. »Du warfst mich ja vor einer kleinen halben Stunde in den Fluß!«
»Aber wie hast Du das herrliche Vieh bekommen?« fragte der große Klaus.
»Das ist Seevieh!« sagte der kleine Klaus. »Ich will Dir die ganze Geschichte erzählen und Dir Dank sagen, daß Du mich ertränktest, denn nun bin ich obenauf, bin wahrhaft reich! – Wie war mir bange, als ich im Sacke steckte! der Wind pfiff mir um die Ohren, als Du mich von der Brücke hinunter in das kalte Wasser warfst. Ich sank sogleich zu Boden, aber ich stieß mich nicht, denn da unten wächst das schönste, weiche Gras. Auf dieses fiel ich, und sogleich wurde der Sack geöffnet; das lieblichste Mädchen mit schneeweißen Kleidern und mit einem grünen Kranze um das nasse Haar nahm mich bei der Hand und sagte: »Bist Du da, kleiner Klaus? Da hast Du zuerst einiges Vieh! Eine Meile weiter auf dem Wege steht noch eine ganze Heerde, die ich Dir schenken will!« – Nun sah ich, daß der Fluß eine große Landstraße für das Meervolk bildete. Unten auf dem Grunde gingen und fuhren sie gerade von der See her und ganz hinein in das Land, bis dahin, wo der Fluß endete. Da war es so schön voll Blumen und dem frischesten Grase; die Fische, welche im Wasser schwammen, schossen mir an den Ohren vorüber, wie hier die Vögel in der Luft. Was gab es da für hübsche Leute, und war da für Vieh, das in Gräben und auf Wällen graste!«
»Aber weshalb bist Du gleich wieder zu uns heraufgekommen?« fragte der große Klaus. »Das hätte ich nicht gethan, wenn es so schön dort unten ist!«
»Ja,« sagte der kleine Klaus, »das ist eben politisch von mir gehandelt. Du hörst ja wohl, daß ich Dir erzähle: die Seejungfer sagte mir, eine Meile weiter auf dem Wege – und mit dem Wege meinte sie ja den Fluß, denn sie kann nirgends anders hinkommen – stehe noch eine ganze Heerde Vieh für mich. Aber ich weiß, was für Krümmungen der Fluß macht, bald hier, bald dort, das ist ja ein weiter Umweg; nein, da macht man es kürzer ab, wenn man hier an das Land kommt und treibt querfeldüber wieder zum Fluße; dabei spare ich ja fast eine halbe Meile und komme hurtiger zu meinem Seevieh!«
»O, Du bist ein glücklicher Mann!« sagte der große Klaus. »Glaubst Du, daß ich auch Seevieh erhalte, wenn ich auf den Grund des Flusses käme?«
»Ja, das denke ich,« sagte der kleine Klaus. »Aber ich kann Dich nicht im Sacke bis zum Flusse tragen; Du bist mir zu schwer! Willst Du selbst dahin gehen und dann in den Sack kriechen, so werde ich Dich mit dem größten Vergnügen hineinwerfen.«
»Ich danke Dir!« sagte der große Klaus. »Aber erhalte ich kein Seevieh, wenn ich hinunterkomme, glaube mir, so werde ich Dich tüchtig prügeln!«
»O nein, mache es nicht so schlimm!« Da gingen sie zum Flusse hin. Als das Vieh, welches durstig war, das Wasser erblickte, lief es, was es konnte, um hinunter zum Wasser zu gelangen.
»Sieh, wie es sich sputet!« sagte der kleine Klaus. »Es verlangt darnach, wieder auf den Grund zu kommen!«
»Ja, hilf mir nur erst,« sagte der große Klaus, »sonst bekommst Du Prügel!« Und so kroch er in den großen Sack, der quer über dem Rücken eines Stieres gelegen hatte. »Lege einen Stein hinein, sonst befürchte ich, nicht unterzusinken,« sagte der große Klaus.
»Es geht schon!« sagte der kleine Klaus, legte aber doch noch einen großen Stein in den Sack, knüpfte das Band fest zu, und dann stieß er daran. Plump! da lag der große Klaus in dem Flusse und sank sogleich hinunter auf den Grund.
»Ich glaube, er wird das Vieh nicht finden!« sagte der kleine Klaus und trieb dann heim mit Dem, was er hatte.
Der unartige Knabe.
Es war einmal ein alter Dichter, so ein recht guter, alter Dichter.
Eines Abends, als er zu Hause saß, gab es draußen ein schrecklich böses Wetter; der Regen strömte hernieder, aber der alte Dichter saß gemächlich hinter seinem Ofen, wo das Feuer brannte und die Aepfel zischten.
»Es bleibt kein Faden trocken an den Armen, die in diesem Wetter draußen sind!« sagte er.
»O, öffne mir! Mich friert und ich bin durchnäßt!« rief draußen ein kleines Kind. Es weinte und klopfte an die Thüre, während der Regen herabströmte und der Wind mit allen Fenstern klirrte.
»Du armes Wesen!« sagte der Dichter und ging hin, die Thüre zu öffnen. Da stand ein kleiner Knabe; er war nackt, und das Wasser floß aus seinen langen, blonden Locken. Er zitterte vor Kälte; wäre er nicht hereingelassen, so wäre er in dem bösen Wetter sicher umgekommen.
»Du kleines Wesen!« sagte der Dichter und nahm ihn bei der Hand. »Komm zu mir, ich werde Dich schon erwärmen! Wein und einen Apfel sollst Du haben, denn Du bist ein prächtiger Knabe!«
Das war er auch. Seine Augen leuchteten wie zwei helle Sterne, und obgleich das Wasser aus seinen blonden Locken herabfloß, ringelten sie sich doch gar schön. Er sah aus, wie ein kleiner Engel, war aber bleich vor Kälte und zitterte am ganzen Körper. In der Hand trug er einen herrlichen Bogen, aber der war vom Regen völlig verdorben; alle Farben auf den schönen Pfeilen liefen vor Nässe ineinander.
Der Alte setzte sich an den Ofen, nahm den kleinen Knaben auf seinen Schoos, drückte das Wasser aus seinen Locken, wärmte dessen Hände in den seinigen und machte ihm süßen Glühwein: da erholte er sich, bekam rothe Wangen, sprang auf den Fußboden und tanzte um den Alten herum.
»Du bist ein lustiger Knabe!« sagte der Alte. »Wie heißt Du?«
»Ich heiße Amor!« erwiderte er. »Kennst Du mich nicht? Dort liegt mein Bogen! Glaube mir, damit schieße ich! Sieh, nun wird das Wetter draußen wieder gut, der Mond scheint.«
»Aber Dein Bogen ist verdorben!« sagte der alte Dichter.
»Das wäre schlimm!« sagte der kleine Knabe, nahm ihn auf und besah ihn. »O, der ist völlig trocken und hat keinen Schaden gelitten; die Sehne sitzt straff; ich werde ihn probiren!« Dann spannte er ihn, legte einen Pfeil darauf, zielte und schoß den guten, alten Dichter mitten in das Herz. »Siehst Du wohl, daß mein Bogen nicht verdorben war?« sagte er, lachte laut auf und lief