In der Hauptstadt des Landesherrn fand ein großes Fest statt. Tausende von Lampen und Lichtern strahlten dort, Raketen stiegen feuersprühend gen Himmel; – es lebt noch jener Glanz in der Erinnerung der Menschen, und zwar durch ihn, den Zögling der Militairschule, der damals in Thränen und im Schmerz, unbeachtet den Versuch wagte, fremden Grund und Boden zu erreichen; er mußte sie verlassen, Vaterland, Mutter, seine Lieben Alle verlassen, oder – in dem Strome der Allgemeinheit untergehen. –
Die alte Thurmglocke hatte es gut, die stand im Schutze an der Kirchenmauer in Marbach, gut aufgehoben, fast vergessen. Der Wind brauste über sie dahin und hätte schon erzählen können von ihm, bei dessen Geburt die Glocke geklungen, erzählen, wie kalt er selbst über ihn dahingeweht im Walde des Nachbarlandes, wo er, erschöpft von Müdigkeit, Hingesunken war mit seinem ganzen Reichthume, seiner Zukunft Hoffnung: nur geschriebene Blatter von »Fiesko«; der Wind hätte von seinen einzigen Beschützern erzählen können; Künstler ja Alle insgesammt, die sich beim Vorlesen jener Blätter davonschlichen und beim Kegelspiele sich unterhielten; der Wind hätte von dem blassen Flüchtlinge berichten können, der Wochen, Monate lang in dem elenden Wirthshause verlebte, wo der Wirth tobte und trank, wo rohe Belustigung waltete, während er vom Ideale sang. – Schwere Tage, finstere Tage! Selbst muß das Herz leiden und die Prüfungen bestehen, die es hinaussingen soll.
Finstere Tage, kalte Nächte zogen auch über die alte Glocke dahin; sie empfand sie nicht, aber die Glocke in des Menschen Brust, sie empfindet ihre trübe Zeit. Wie erging es dem jungen Manne? Wie erging es der alten Glocke? – Die Glocke wurde weit fortgeschafft, weiter als man sie von ihrer früheren hohen Thurmwarte aus jemals hatte vernehmen können; und der junge Mann? – Ja, die Glocke in seiner Brust tönte weiter als je sein Fuß wandern, sein Auge schauen sollte; sie läutete und läutet noch immerfort über das Weltmeer hinaus, über das ganze Erdenrund. – Bleiben wir aber zunächst bei der Thurmglocke. Aus Marbach kam auch sie fort; verkauft wurde sie als altes Kupfer und für den Schmelzofen im Bayernlande bestimmt. Wie und wann geschah das aber? – In Bayerns Königsstadt, viele Jahre nachdem sie vom Thurme heruntergestürzt, hieß es also, daß sie eingeschmolzen, mit zum Gusse eines Ehrendenkmals, einer der erhabenen Gestalten deutschen Volkes und deutscher Lande verwendet werden solle. Und sieh! wie sich das nun fügte; – sonderbar und herrlich geht es doch in der Welt zu! In Dänemark, auf einer jener grünen Inseln, wo die Buchenwälder rauschen und die vielen Hünengräber uns anschauen, war ein ganz armer Knabe geboren; in Holzschuhen war er einhergegangen, seinem Vater, der auf den Marinewerften schnitzelte, hatte er das Mittagsbrot in einem alten, verwaschenen Umschlagetuche hingetragen; – dieses arme Kind war aber der Stolz seines Landes geworden, aus Marmor verstand er Herrlichkeiten herauszuhauen, daß die ganze Welt erstaunte[21], und grade diesem war der Ehrenauftrag geworden, aus dem Thone eine Gestalt der Erhabenheit, der Schönheit, für den Guß in Erz, zu formen, das Standbild Desjenigen zu formen, dessen Namen der Vater einst mit Johann Christoph Friedrich in seine Bibel schrieb.
Das Erz floß glühend in die Form; die alte Thurmglocke, an deren Heimath und verklungene Klänge Niemand dachte, – die Glocke floß mit in die Form, und bildete Kopf und Brust der Statue, wie sie jetzt enthüllt dasteht in Stuttgart vor dem alten Schlosse, auf dem Platze, wo er, den sie vorstellt, einst lebendigen Leibes einherging, im Kampf und Streben, gedrückt von der Außenwelt, er, der Knabe aus Marbach, der Zögling der Karlsschule, der Flüchtling, Deutschlands großer, unsterblicher Dichter, der da sang von dem Befreier der Schweiz und der gottbegeisterten Jungfrau Frankreichs.
– Es war ein schöner, sonniger Tag, Fahnen wehten herab von Thürmen und Dächern in dem königlichen Stuttgart; die Thurmglocken läuteten zur Festlichkeit und Freude; nur eine Glocke schwieg, aber sie leuchtete dafür in hellem Sonnenscheine, strahlte vom Antlitze und von der Brust der Ruhmesgestalt; es waren an diesem Tage grade hundert Jahre verstrichen, seit jenem Tage, an welchem die Thurmglocke zu Marbach der leidenden Mutter Trost und Freude geläutet, als sie das Kind gebar, arm in dem armen Hause, – später aber der reiche Mann, dessen Schätze die Welt segnet, ihn, des edlen Frauenherzens Dichter, den Sänger des Erhabenen, des Herrlichen: Johann Christoph Friedrich Schiller.
Der silberne Schilling.
Es war einmal ein Schilling, blank ging er aus der Münze hervor, sprang und klang, »Hurrah! Jetzt geht's in die weite Welt hinaus!« – Und er kam freilich in die weite Welt hinaus.
Das Kind hielt ihn mit warmen, der Geizige mit kalten, krampfhaften Händen; der Aeltere wendete und drehte ihn Gott weiß wie viel Male, während die Jugend ihn gleich wieder rollen ließ. Der Schilling war von Silber, hatte sehr wenig Kupfer an sich, und befand sich bereits ein ganzes Jahr in der Welt, das heißt in dem Lande, in welchem er ausgemünzt worden war. Eines Tages aber ging er auf Reisen in's Ausland; er war die letzte Landesmünze in dem Geldbeutel, den sein reisender Herr bei sich führte, der Herr wußte selbst nicht, daß er den Schilling noch hatte, bis er ihm unter die Finger gerieth. »Hier hab' ich ja noch einen Schilling aus der Heimath!« sagte er, »nun der kann die Reise mitmachen!« und der Schilling klang und sprang vor Freude, als er ihn wieder in den Beutel steckte. Hier lag er nun bei fremden, kommenden und gehenden Kameraden, einer machte dem andern Platz, aber der Schilling aus der Heimath blieb immer im Beutel zurück: das war eine Auszeichnung.
Mehre Wochen waren schon verstrichen, und der Schilling war weit in die Welt hinaus gelangt, ohne daß er doch grade wußte, wo er sich befände; zwar erfuhr er von den andern Münzen, daß sie französische und italienische seien. Eine sagte, sie seien jetzt in der Stadt, eine Andere, sie seien in der, allein der Schilling konnte sich doch keine Vorstellung von alledem machen; man sieht Nichts von der Welt, wenn man immer im Sacke steht, und das war ja sein Loos. Doch eines Tages, als er so da lag, bemerkte er, daß der Geldbeutel nicht zugemacht war, und also schlich er sich bis an die Oeffnung hervor, um ein wenig heraus zu schauen: das hätte er nun freilich nicht thun sollen; er war aber neugierig, und das rächt sich; – er glitt hinaus in die Hosentasche, und als Abends der Geldbeutel herausgenommen wurde, lag der Schilling noch da wo er hingerutscht war und kam mit den Kleidern auf den Vorsaal hinaus; dort fiel er sogleich auf den Fußboden; Niemand hörte das, Niemand sah das.
Am andern Morgen wurden die Kleider wieder in das Zimmer getragen, der Herr zog sie an, reiste weiter, und der Schilling blieb zurück, er wurde gefunden, sollte wieder Dienste thun, und ging mit drei andern Münzen aus. »Es ist doch angenehm, sich in der Welt umzusehen,« dachte der Schilling, »andere Menschen, andere Sitten kennen zu lernen.«
»Was ist das für ein Schilling!« hieß es in demselben Augenblicke. »Das ist keine Landesmünze! Der ist falsch! Der taugt nichts!«
Ja, nun beginnt die Geschichte des Schillings, wie er sie später selbst erzählte.
»Falsch! Taugt nichts! – Dies fuhr mir durch und durch,« erzählte der Schilling. »Ich wußte, ich sei von gutem Klange, und habe ein echtes Gepräge. Die Leute mußten sich jedenfalls irren, mich konnten sie nicht meinen, aber sie meinten mich doch! ich war derjenige, den sie falsch nannten, ich taugte nichts! – »»Den muß ich im Dunkeln ausgeben!«« sagte der Mann, der mich erhalten hatte, und ich wurde im Dunkeln ausgegeben und am hellen Tage wieder ausgeschimpft, – »falsch, taugt nichts! wir müssen machen, daß wir ihn los werden!«
Der Schilling zitterte zwischen den Fingern der Leute jedesmal, wenn er heimlich fortgeschafft werden und für Landesmünze gelten sollte. – »Ich elender Schilling! was hilft mir mein Silber, mein Werth, mein Gepräge, wenn das Alles keine Geltung hat. In den Augen der Welt ist man eben das, was die Welt von Einem halt! Es muß entsetzlich sein, ein böses Gewissen haben, sich auf bösen Wegen umherschleichen, wenn mir, der ich doch ganz unschuldig bin, schon so zu Muthe sein kann, weil ich blos das Aussehen habe!« Jedes Mal, wenn man mich hervor suchte, schauderte ich vor den Augen, die mich ansehen würden, wußte ich doch, daß ich zurückgestoßen, auf den Tisch hingeworfen werden würde, als sei ich Lug und Trug. Einmal kam ich zu einer alten, armen Frau, sie erhielt mich als Tagelohn für harte Arbeit, allein sie konnte mich nun gar nicht wieder los werden. Niemand wollte mich annehmen, ich