Der Junge sprang in die Felsenspalte hinein, nahm in jede Hand eine Muschelschale und machte sich daran, den Sand beiseite zu werfen. Säcke fand er nicht, aber als er ein ziemlich tiefes Loch gegraben hatte, hörte er ein Klirren wie ein Metall und sah, daß da eine Goldmünze lag. Er tastete mit den Händen umher, fühlte, daß viele runde Münzen im Sand lagen, und eilte schnell zu Akka zurück. »Die Säcke sind vermodert und zerfallen,« sagte er, »so daß das Gold ringsumher im Sande zerstreut liegt, aber das Gold ist offenbar noch alles da.« »Das ist gut,« sagte Akka. »Fülle nun das Loch wieder zu und glätte den Sand, damit niemand sehen kann, daß daran gerührt worden ist.«
Der Junge tat, wie sie ihn geheißen, als er dann aber wieder auf die Klippe hinauf kam, sah er zu seiner Überraschung, daß sich Akka an die Spitze der sechs Wildgänse gestellt hatte, und daß sie alle mit größter Feierlichkeit auf ihn zumarschiert kamen. Sie machten vor ihm halt, verneigten sich vielmals mit dem Halse und sahen so vornehm aus, daß er unwillkürlich die Mütze abnahm und sich vor ihnen verbeugte.
»Wir haben dir etwas zu sagen,« begann Akka. »Alle wir Alten haben zueinander gesagt, wenn du, Däumeling, bei Menschen in Dienst gestanden und ihnen so große Hilfe geleistet hättest wie uns, so würden sie sich sicherlich nicht von dir trennen, ohne dir einen guten Lohn zu geben.« – »Nicht ich habe euch geholfen, sondern ihr habt euch meiner angenommen,« entgegnete Däumeling. – »Wir meinen auch,« fuhr Akka fort, »daß, wenn ein Mensch uns auf der ganzen Reise begleitet hat, er nicht ebenso arm von uns gehen sollte, wie er gekommen ist.« – »Ich weiß, daß das, was ich in diesem Jahr bei euch gelernt habe, mehr wert ist als Geld und Gut,« sagte der Junge.
»Da nun diese Goldstücke so viele Jahre hier in der Felsenspalte liegen geblieben sind, kann man wohl annehmen, daß sie niemand mehr gehören,« fuhr die Führergans fort, »und ich meine nun, du könntest sie an dich nehmen.« – »Habt Ihr selbst denn keine Verwendung für den Schatz, Mutter Akka?« fragte der Junge.
»Ja, wir haben Verwendung dafür: wir wollen dir einen solchen Lohn zahlen, daß dein Vater und deine Mutter sehen können, du hast bei ordentlichen Leuten als Gänsejunge gedient.«
Da wandte sich der Junge halb um, warf einen Blick auf das Meer hinaus und sah dann Akka in die blanken Augen. »Es wundert mich, Mutter Akka, daß Ihr mich aus Eurem Dienst entlaßt und mir meinen Lohn gebt, ehe ich gekündigt habe,« sagte er. – »Solange wir Wildgänse in Schweden sind, glaube ich wohl, daß du bei uns bleiben wirst,« entgegnete Akka. »Aber ich wollte dir doch zeigen, wo der Schatz zu finden ist, jetzt, wo wir ihn erreichen konnten, ohne einen zu großen Umweg zu machen.« – »Es ist trotzdem so, wie ich sage. Ihr wollt mich los sein, ehe ich selbst Lust dazu habe,« sagte Däumeling. »Nach der langen Zeit, die wir so gut miteinander gelebt haben, meine ich, wäre es doch wohl nicht zu viel verlangt, wenn ich Euch auch ins Ausland begleiten dürfte.«
Als der Junge dies sagte, streckten Akka und die anderen ihre Hälse gerade in die Höhe und standen eine Weile da und sogen mit halbgeöffnetem Schnabel die Luft ein. »Das ist etwas, woran ich gar nicht gedacht habe,« sagte Akka, als sie sich wieder gefaßt hatte. »Aber ehe du einen Beschluß hierüber faßt, wird es wohl am besten sein, wenn wir hören, was Gorgo zu erzählen hat. Ich will dir nämlich sagen, daß, ehe wir Lappland verließen, Gorgo und ich uns darüber einigten, daß er in deine Heimat, nach Schonen, fliegen und versuchen sollte, bessere Bedingungen für dich zu erwirken.«
»Ja, so verhält es sich,« sagte Gorgo. »Aber wie ich dir bereits mitteilte, habe ich kein Glück damit gehabt. Es war nicht schwer, Holger Nielsens Haus zu finden, und nachdem ich ein paar Stunden über dem Hofe hin und her geschwebt war, gewahrte ich den Kobold, der zwischen den Gebäuden umherschlich. Ich stieß sogleich nieder und flog mit ihm auf ein Feld, wo wir ungestört miteinander reden konnten. Ich sagte ihm, daß mich Akka von Kebnekajse geschickt habe, um zu fragen, ob er Niels Holgersen nicht bessere Bedingungen verschaffen könne«. »Ich wollte ich könnte es,« antwortete er mir, »denn ich habe gehört, daß er sich auf der Reise gut geschickt hat. Aber es steht nicht in meiner Macht.« – Da wurde ich zornig und sagte, ich würde mich nicht für zu gut halten, ihm die Augen auszuhacken, wenn er nicht nachgäbe. »Du kannst mit mir machen, was du willst,« erwiderte er. »Aber mit Niels Holgersen muß es so bleiben, wie ich gesagt habe. Aber du kannst ihn ja grüßen und ihm sagen, er täte am besten, wenn er bald mit seinem Gänserich nach Hause käme, denn hier stehen die Sachen schlecht. Holger Nielsen hat für einen Bruder, zu dem er großes Vertrauen hatte, gut gesagt, und das Geld hat er bezahlen müssen. Mit geborgtem Geld hat er ein Pferd gekauft, aber das Pferd hat von dem ersten Tage an, wo er damit fuhr, gelahmt, und seit der Zeit hat er keinen Nutzen davon gehabt. Ja, erzähle Niels Holgersen nur, daß seine Eltern schon zwei Kühe haben verkaufen müssen, und daß sie, wenn sie nicht von irgendeiner Seite Hilfe bekommen, von Haus und Hof gehen müssen.«
Als der Junge das hörte, runzelte er die Stirn, und seine Hände ballten sich, so daß die Knöchel ganz weiß wurden. »Es ist grausam von dem Kobold,« sagte er, »mir eine solche Bedingung zu stellen, daß ich nicht nach Hause kommen und meinen Eltern helfen kann. Aber es soll ihm nicht gelingen, einen treulosen Freund aus mir zu machen, Vater und Mutter sind redliche Leute, und ich weiß, daß sie lieber meine Hilfe entbehren, als daß ich mit einem schlechten Gewissen zu ihnen heimkehre.«
L. Silber im Meer
Sonnabend, 8.Oktober.
Das Meer ist, wie wir alle wissen, wild und anmaßend, und der Teil von Schweden, der seinen Angriffen ausgesetzt ist, war deshalb schon seit langen Zeiten durch eine lange, breite steinerne Mauer geschützt, die Bohuslän heißt.
Die Mauer ist so breit, daß sie das ganze Land zwischen Dalsland und dem Meer bedeckt, aber sie ist nicht gerade hoch, wie das bei steinernen Deichen und Wellenbrechern der Fall zu sein pflegt. Sie ist aus mächtigen Felsblöcken erbaut, und stellenweise liegen ganze, lange Bergrücken darin. Es würde auch keinen Zweck haben, mit kleinen Steinen bauen zu wollen, wo es sich darum handelt, einen Schutzwall gegen das Meer zu errichten, der vom Iddefjord bis zum Götaelf reichen soll.
Dergleichen große Bauwerke führen wir ja heutzutage nicht mehr aus, und die Mauer ist zweifelsohne sehr alt. Es läßt sich auch nicht leugnen, daß sie von der Zeit tüchtig mitgenommen ist. Die großen Felsblöcke liegen nicht mehr so dicht nebeneinander, wie das wahrscheinlich zu Anfang der Fall gewesen ist. Es haben sich so breite und tiefe Spalten dazwischen gebildet, daß darin Raum für Häuser und Felder ist. Aber die Felsblöcke liegen doch nicht weiter voneinander entfernt, als daß man deutlich sehen kann, sie haben einstmals zu derselben Mauer gehört.
Nach dem Lande zu ist diese große Mauer am besten erhalten. Dort zieht sie sich lange Strecken ganz und ununterbrochen hin. In der Mitte laufen lange, tiefe Risse mit Seen auf dem Grunde hinab, und nach der Küste zu ist sie so verfallen, daß jeder einzelne Steinblock wie ein kleiner Berg für sich daliegt.
Erst wenn man die große Mauer unten von der Küste her sieht, versteht man so recht, daß sie da, wo sie steht, nicht nur zu ihrem Vergnügen steht. Wie stark sie auch von Anfang an gewesen sein mag, an sechs bis sieben Stellen ist das Meer durchgebrochen und hat Fjorde hineingeschnitten, die mehrere Meilen lang sind.
Der äußerste Teil der Mauer steht obendrein unter Wasser, so daß nur der obere Teil der Felsblöcke sichtbar ist. Auf diese Weise sind eine Menge großer und kleiner Inseln entstanden, die Schärengruppen bilden, und diese wehren die ärgsten Angriffe des Sturmes und des Meeres ab.
Nun könnte man vielleicht glauben, daß eine Landschaft, die eigentlich nur aus einer großen steinernen Mauer besteht, ganz unfruchtbar sein muß, so daß kein Mensch dort Lebensunterhalt finden kann. Aber damit ist es nun doch nicht so gar schlimm bestellt, denn wenn auch die Felsen und Hochebenen in Bohuslän nackt und kahl sind, so hat sich doch gute und fruchtbare Erde in allen Spalten angesammelt, und es läßt sich dort vorzüglich Ackerbau betreiben, obgleich die Felder nicht sehr groß sind. Der Winter ist hier an der Küste in der Regel auch nicht so