Und wie viele Schüler strömten nicht gleich von Anfang an herbei! In jedem Jahr wurden vier Kurse abgehalten, und zu allen meldeten sich mehr Schüler, als aufgenommen werden konnten. Auch im Ausland wurde die Schule bald bekannt, und Lehrer und Lehrerinnen aus aller Herren Länder kamen nach Nääs, um zu lernen, wie sie es anfangen mußten, um die Hand zu erziehen. Kein Ort in Schweden war so bekannt im Auslande wie Nääs, und kein Schwede hatte ringsumher auf der ganzen Welt so viele Freunde wie der Vorsteher des Nääser Handfertigkeitsseminars.
Die kleine, schüchterne Lehrerin saß da und hörte dies alles an, und je mehr sie hörte, um so lichter ward es um sie her. Sie hatte bisher gar nicht gewußt, warum die Handfertigkeitsschule auf Nääs war, sie hatte nicht gewußt, daß sie von zwei Männern ins Leben gerufen war, die ihrem Lande nützen wollten, sie hatte keine Ahnung davon gehabt, daß diese alles opferten, was sie opfern konnten, um ihren Mitmenschen zu helfen, besser und glücklicher zu werden.
Wenn sie nun an die große Güte und Nächstenliebe dachte, die dem allen zugrunde lag, ergriff sie das so sehr, daß sie nahe daran war, zu weinen. So etwas hatte sie noch nie erlebt.
Am nächsten Tage ging sie in einer ganz anderen Gemütsverfassung an die Arbeit. Wenn das alles aus Güte gegeben wurde, mußte sie es ja auf ganz andere Weise hinnehmen als bisher. Sie vergaß, an sich selbst zu denken, und ging ganz auf in ihrer Arbeit und dem großen Ziel, das dadurch erreicht werden sollte. Und von dem Augenblick an machte sie ihre Sache ausgezeichnet, denn alles Lernen wurde ihr leicht, sobald ihre Schüchternheit sie nicht lähmte.
Jetzt, wo ihr die Schuppen von den Augen gefallen waren, sah sie überall die große, wunderbare Güte. Sie sah, wie sorgfältig alles für die Besucher des Seminars geordnet war. Die Teilnehmer des Kursus erhielten weit mehr als nur den Unterricht in Handfertigkeit. Der Vorsteher hielt ihnen Vorträge über Erziehung, sie turnten miteinander, gründeten einen Gesangverein und kamen fast jeden Abend zu Vorlesungen und musikalischen Aufführungen zusammen. Und außerdem waren da Bücher, Badehäuser und Klaviere, alles zu ihrer Verfügung. Der Zweck des Ganzen war, daß sich alle glücklich und wohl befinden und fröhlich sein sollten.
Allmählich wurde es ihr klar, wie unschätzbar es war, die schönen Tage des Sommers auf einem großen schwedischen Herrenhof verbringen zu dürfen. Das Schloß, in dem der alte Herr wohnte, lag auf einem Hügel, der fast von allen Seiten von einem See umgeben und nur durch eine schöne steinerne Brücke mit dem Lande verbunden war. Sie hatte nie etwas so Schönes gesehen wie die Blumengruppen auf der Terrasse vor dem Schloß, wie die alten Eichen im Park, wie den Weg am See entlang, wo die Bäume über das Wasser hinabhingen, oder wie den Aussichtspavillon auf der Felsenklippe über dem See. Die Schulgebäude lagen dem Schloß gerade gegenüber auf grünen schattigen Wiesen, aber es stand ihr frei, im Schloßpark zu lustwandeln, sooft sie Zeit und Lust hatte. Es war ihr, als habe sie nie gewußt, wie schön der Sommer sei, bis sie ihn an einem so herrlichen Ort verbringen durfte.
Nicht daß eine große Veränderung mit ihr vorgegangen wäre. Mutig und selbstbewußt wurde sie nicht, aber sie fühlte sich froh und glücklich. Sie wurde förmlich durchwärmt von all dieser Güte. Sie konnte sich ja nicht unglücklich fühlen an einem Ort, wo alle es gut mit ihr meinten und ihr zu helfen bemüht waren. Als der Kursus beendet war und die Schüler Nääs verlassen sollten, war sie ganz neidisch auf alle, die dem alten und dem jungen Herrn richtig zu danken und mit schönen Worten das auszudrücken vermochten, was sie fühlten. Soweit würde sie es nie bringen.
Sie kehrte heim und nahm die Arbeit an der Schule wieder auf und tat es mit ebensoviel Freude wie bisher. Sie wohnte nicht weiter von Nääs entfernt, als daß sie da hinübergehen konnte, wenn sie einen Nachmittag frei hatte, und das tat sie in der ersten Zeit auch ziemlich oft. Aber da waren immer neue Kurse, neue Gesichter, ihre Schüchternheit stellte sich wieder ein, und sie wurde ein immer seltenerer Gast in der Handfertigkeitsschule. Aber die Zeit, die sie selbst als Schülerin auf Nääs zugebracht, lebte in ihrer Erinnerung immer als das beste, was sie erlebt hatte.
An einem Frühlingstage hörte sie, daß der alte Herr auf Nääs gestorben sei. Da dachte sie an den schönen Sommer, den sie auf seinem Gut hatte verweilen dürfen, und es betrübte sie, daß sie sich nie so recht bei ihm bedankt hatte. Er hatte sicher Danksagungen genug von hoch und niedrig erhalten, aber sie würde sich glücklicher gefühlt haben, wenn sie ihm mit ein paar Worten erzählt hätte, wieviel er für sie getan hatte.
Auf Nääs wurde der Unterricht auf dieselbe Weise fortgesetzt, wie vor dem Tode des alten Herrn. Er hatte nämlich der Schule das ganze schöne Gut geschenkt und sein Neffe blieb auch fernerhin Vorsteher und leitete das ganze Unternehmen. Jedesmal, wenn die Lehrerin nach Nääs kam, war da etwas Neues zu sehen. Jetzt war da nicht nur der Handfertigkeitskursus, sondern der Vorsteher wollte auch gern die alten Gebräuche und die alten Volksvergnügungen wieder ins Leben rufen, und er errichtete daher einen Kursus für Singspiele und viele andere Arten von Spielen. In einer Hinsicht aber blieb alles beim alten: so wie früher durchwärmte auch jetzt die Güte alle Menschen, sie fühlten, wie alles so geordnet und eingerichtet war, daß sie sich freuen und nicht nur Kenntnisse einheimsen, sondern auch Arbeitsfreudigkeit mit heimnehmen sollten, wenn sie zu den kleinen Schulkindern ringsumher im Lande zurückkehrten.
Nur wenige Jahre nach dem Tode des alten Herrn hörte die Vorsteherin eines Sonntags, als sie die Kirche besuchte, daß der Vorsteher auf Nääs erkrankt sei. Sie wußte, daß er in der letzten Zeit wiederholt an Herzschwäche gelitten hatte, aber sie hatte nicht geglaubt, daß er in Lebensgefahr schwebe. Und das, hieß es, sei diesmal der Fall.
Von dem Augenblick an, als sie dies hörte, konnte sie an nichts anderes denken, als daß nun vielleicht auch der Vorsteher so wie der alte Herr sterben würde, ehe es ihr möglich gewesen war, ihm zu danken. Und sie überlegte hin und her, was sie nur tun solle, damit ihr Dank zu ihm gelangen könne.
Am Sonntagnachmittag ging die Lehrerin zu allen Nachbarn und fragte, ob die Kinder sie nach Nääs begleiten dürften. Sie habe gehört, daß der Vorsteher krank sei, und sie glaube, es werde ihn freuen, wenn die Kinder ihm ein paar Lieder sängen. Es sei ja freilich schon ein wenig spät am Tage, aber der Mondschein sei an diesen Abende so hell und klar, daß man wohl nach Nääs hinauswandern könne. Die Lehrerin hatte ein Gefühl, daß sie noch an diesem Abend dahinaus müsse. Sie fürchtete, daß es am nächsten Tage zu spät sein könne.
Die Sage von Westgötland.
Sonntag, 9. Oktober.
Die Wildgänse hatten Bohuslän verlassen und standen in dem westlichen Teil von Westgötland in einem Teich und schliefen. Der kleine Niels Holgersen war, um im Trockenen zu sein, auf den Rand eines Grabens hinaufgekrochen, der quer über die sumpfige Wiese lief. Er war gerade im Begriff, sich einen Platz zum Schlafen zu suchen, als er eine kleine Schar Menschen die Landstraße daherkommen sah. Es war eine junge Lehrerin mit einem Dutzend Kinder um sich. Sie kamen in einem dichten Haufen gegangen, die Lehrerin in der Mitte und die Kinder rings um sie her. Sie plauderten so munter und vertraulich, daß der Junge Lust bekam, eine Strecke Weges mit ihnen zu laufen und zu hören, was sie miteinander sprachen.
Die Sache machte keine Schwierigkeiten, denn wenn er sich am Rande des Weges im Schatten hielt, war es fast unmöglich, ihn zu sehen. Und wo fünfzehn Menschen auf einem Wege entlang gingen, da war ein solcher Lärm von Fußtritten, daß niemand den Kies unter seinen kleinen Holzschuhen knirschen hören konnte.
Um die Kinder auf der Wanderung in guter Laune zu halten, hatte die Lehrerin ihnen alte Sagen erzählt. Sie war gerade mit einer Sage fertig, als der Junge sich der Schar anschloß, aber die Kinder baten sie sofort, noch eine zu erzählen. »Habt ihr die Sage von dem alten Riesen in Westgötland gehört, der nach einer Insel hoch oben im nördlichen Eismeer zog?« fragte die Lehrerin. Nein, die hatten die Kinder nicht gehört, und so begann denn die Lehrerin:
Es geschah einmal, daß ein Schiff in einer dunklen und stürmischen Nacht hoch oben im nördlichen Eismeer an einer kleinen Schäre scheiterte. Das Schiff zerschellte an den Klippen, und von der ganzen Besatzung retteten sich nur zwei Mann an Land. Dort standen sie auf der Schäre, klatschnaß und von Kälte erstarrt, und sie freuten sich natürlich