Tödliche Habsucht. Martin J. Fredrikson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin J. Fredrikson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738035087
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finsteren Mächte – also Ragnarök, das Ende der Welt – möglichst lange aufzuhalten. Und dafür, dass dieses heilige Feuer niemals erlosch, sondern immerzu kräftig loderte, hatte der Tempeldiener Toki Sorge zu tragen.

      Als Asleif den Tempel betrat, war Toki gerade damit beschäftigt, Holz nachzulegen. Seine schaufelförmigen Hände bewegten die schweren Scheite so mühelos als wären sie flauschige Entendaunen. Dabei sah Toki auf den ersten Blick gar nicht besonders kräftig aus mit seiner 6½ Fuß großen, hageren Gestalt, die er wie üblich mit einer langen, dunkelbraunen Tunika verhüllt hatte. Überhaupt erinnerte er mehr an eine Vogelscheuche denn an einen Nordmann: lange Arme; lange Beine; langer, kantiger Kopf mit langem Kinn und einem knochigen Gesicht, in dem neben den hellen, grünen Augen eine lange Nase und ein breiter Mund saßen; sein Schnauzbart endete in langen Spitzen und die langen, hellblonden Haare hielt er mit einem Stirnband aus dunkelbrauner Wolle im Zaum. Toki war Mitte zwanzig und hatte seinen Dienst als Tempeldiener gleichsam mit der Fertigstellung des Tempels aufgenommen.

      »Hei, Toki, wie ist es denn?«, grüßte ihn der Schreiber.

      »Ah, hei, Asleif. Thor sei’s gedankt, allmählich geht es wieder. Die Hitze war ja kaum noch auszuhalten. Ich kann mich nicht entsinnen, wann wir seit den Tagen meines Großvaters jemals dermaßen heiße Wochen hatten. Aber sag mal, was treibt dich denn hierher? Suchst wohl den Goden, was?«

      Asleif zog die Stirn in Falten. »Stimmt, ja.« Er sammelte sich einen Augenblick, um nicht versehentlich etwas auszuplaudern und fragte dann: »Bist du jetzt unter die Seher gegangen oder hast du einfach nur geraten? In der Tat wollte ich mit ihm sprechen. Ist er denn nicht hier, nicht hier?«

      »Nein, Asleif, das ist er nicht. Ich kann dir aber sagen, dass ich ebenfalls sehnlichst seine Rückkehr erwarte, denn wir hatten für heute vereinbart die Opferstöcke der Hauptgötter zu leeren.« Ehe er weitersprach, zog er kurz die lange Nase kraus und seufzte einmal tief. »Wenn ich mir vorstelle, wie einfach es mein Großvater noch hatte! Der brauchte lediglich nach Beendigung der Feiertage die Gehängten in den Bäumen des heiligen Hains zu zählen! Das war beinahe alles, was er zu tun hatte. Und ich? Ich muss annähernd jede Woche gemeinsam mit dem Goden die Opferstöcke, die vor den jeweiligen Standbildern der Götter stehen, öffnen und hernach sämtliche Münzen auflisten, welche die Leute heutzutage als Opfer darbringen. Vom Sauberhalten des Tempels und dem ständigen Schüren des Feuers mal ganz zu schweigen. Bisweilen träume ich davon, ich könnte so leben wie mein Großvater seinerzeit. Aber weswegen langweile ich dich eigentlich damit? Lange Rede, kurzer Sinn – ich weiß nicht, wo der Gode steckt!«

      Asleif verdrehte kurz die Augen bevor er erneut zum Sprechen ansetzte. »Hat er vielleicht beiläufig erwähnt, wo er hinwollte? Du hast doch heute schon mit ihm gesprochen, oder etwa nicht?«

      »Fürwahr, gesehen habe ich ihn heute bereits, gleichwohl war es mir nicht vergönnt mit ihm zu reden. Es war nämlich so: Er tauchte hier heute früh zusammen mit Ari auf und derweil ich mit Letzterem ein wenig Abseits stand, um ihm das behagliche Leben meines Großvaters zu beschreiben, erflehte Teit den Beistand der Asen für so ’ne komische Silberschatulle. Als er damit fertig war, winkte er Ari heran und übergab ihm den Kasten. Allein bevor ich ihn fragen konnte, ob er nun mit mir zählen wolle, war er bereits mit Ari durch das Westportal entschwunden. Ich lief rasch hinterher, sah aber lediglich Ari auf dem Weg in die Stadt; der Gode musste demnach in den Svalgang getreten sein. Ich vermutete, dass er wohl die Burg aufzusuchen gedachte und eilte schnell durchs Tempelinnere zum Südportal, um ihn dort abzufangen. Nichtsdestotrotz traf ich ihn auch dort nicht an. Verwundert schritt ich noch ein wenig weiter bis zur Kreuzung, wo ich mich schließlich umwandte. Unvermittelt erblickte ich nun den Goden – er hastete mit ausgedehnten Schritten über den Ostweg Richtung Ostertor. Just in diesem Augenblick fiel mir mein Großvater wieder ein und ich entschloss mich spontan, Teit ziehen zu lassen und meinerseits in den Tempel zurückzukehren. Mehr vermag ich dir nicht zu berichten, Asleif.«

      Dieser bedankte sich bei Toki, bat ihn jedoch, dem Goden, im Falle dass dieser sich blicken lassen sollte, mitzuteilen, er möge sich bei Jarl Harald melden. Alldieweil Toki sich erneut dem Feuer widmete, verließ Asleif den Tempel durch die Westtür. Er gedachte nunmehr Teits Amtsstube aufzusuchen, in der Hoffnung dort, wenn schon nicht den Goden selbst, so doch wenigstens einen Hinweis auf seinen Verbleib zu finden.

      Die Amtsstube hatte Teit in einem Haus eingerichtet, welches der Kaufmann Gorm Finnsson sein Eigen nannte. Unmittelbar am Knut-Markt stehend gehörte es zu den wenigen Gebäuden in Birkuna, die aus Steinen errichtet worden waren. Neben einem in Svera ohnehin schon seltenen Obergeschoss verfügte es erstaunlicherweise gar noch über unterirdische Räume.

      Asleif ging durch die unverschlossene Haustür in den Flur hinein und öffnete alsdann die erste Tür links, um die Stube zu betreten. Diesen Raum benutzte der Gode in seiner Eigenschaft als Richter. Hier schlichtete er kleine Zwistigkeiten unter den Handwerkern und fällte Urteile über Gelegenheitsdiebe oder betrügerische Handelsherren. Schwere Verbrechen hingegen wie Totschlag oder Mord waren grundsätzlich dem Jarl vorbehalten oder wurden gar erst vom Thing abgehandelt, auf dem sich zweimal im Jahr die mächtigsten Männer aus ganz Svera versammelten.

      Die Tür der Amtsstube war absichtlich nicht verschlossen, damit diejenigen, die des Schreibens mächtig waren, ihre Anliegen durch Hinterlassung einer Mitteilung auch bei Abwesenheit des Goden Kund tun konnten. Insofern rechnete Asleif nicht damit, bedeutsame Dokumente vorzufinden. Tatsächlich gewahrte er nebst unbenutzten Pergamenten sowie Gerätschaften zum Schreiben lediglich einen Umhang, der einsam und verlassen hinter der Tür hing. Keine Botschaft von Teit, kein Vertrag und nicht der geringste Hinweis auf des Goden derzeitigen Aufenthaltsort.

      Asleif verließ die Stube und befragte die übrigen Hausbewohner, doch auch diese vermochten ihm nicht weiterzuhelfen. Der Gode ginge immerzu ein und aus, hieß es lapidar, da hätten sie weder das Recht noch die Zeit sich weiter drum zu kümmern. Nein, seit dem frühen Morgen hatte ihn niemand mehr gesehen.

      Somit blieb Asleif nur noch eines: die Kammer des Goden im Langhaus. Er nahm sich vor, sie aufs Gründlichste zu durchsuchen. Dass er Teit selbst dort vorfinden könnte, hielt er mittlerweile für ausgeschlossen. Als er zur Burg zurückgekehrt war bestätigten die Wachen seine Vermutung: Der Gode war in der Zwischenzeit nicht wieder aufgetaucht.

      Umgehend betrat Asleif Teits Kammer, die mit etwa vier mal fünf Schritt im Ausmaß ein wenig größer war als seine eigene und mit einer Truhe, einem Bettkasten sowie zwei Tischen mitsamt Hockern möbliert war. Überdies stand an einer der Wände ein hölzernes Gestell, auf welchem einige Dutzend Dokumente lagerten.

      Asleif sah sich jedes dieser Dokumente einzeln und auf das Genaueste an. Schließlich bestand ja die vage Möglichkeit, dass eines von ihnen der gesuchte Vertrag sein könnte. Allein es fanden sich ausnahmslos derlei Urkunden, die hier auch hingehörten – nicht eines der Dokumente deutete auf einen Handel mit den Sassirab hin. Aus lauter Verzweiflung wühlte Asleif schließlich noch in der Truhe herum, doch förderte er lediglich einige abgetragene Kleidungsstücke des Goden zum Vorschein. Weil auch auf den Tischen nichts Bedeutsames lag, entschloss er sich, wieder zu gehen.

      Er hatte bereits die Türklinke in der Hand, da entschied er sich doch noch dafür, das Bett zu untersuchen, welches er bislang als unerheblich übergangen hatte. Und tatsächlich – die Decke zurückschlagend, erblickte er einen Gegenstand, der ihn unwillkürlich einen Schritt zurückweichen ließ. Bei Balder, Jarl Harald hatte Recht, murmelte er in sich hinein. Entschlossen trat er wieder vor und hüllte seinen schier unglaublichen Fund rasch in die Decke – es war zweifellos besser, wenn ihn niemand damit sehen würde.

      Ohne einen weiteren Augenblick zu zaudern verließ er umgehend Teits Kammer und eilte gleich hinüber in die Jarlshalle. Als der Blaufuchs ihn erblickte, brüllte er gleich los: »Wo ist der Gode, hast du ihn gefunden, Asleif?«

      »Nein, Ohm, nein. Indes ich habe etwas anderes gefunden.« Als er die Jarlstafel erreicht hatte, legte er die Decke mitsamt seinem Fund so vorsichtig auf den Tisch, als handele es sich um ein halbes Dutzend roher Enteneier.

      Harald Blaufuchs sah seinem Schreiber erwartungsvoll in die blaugrünen Augen. »Der Vertrag, ist es der Vertrag?« Doch kaum hatte er es ausgesprochen, da wusste er auch schon, dass