Ein Jahr aus irgendeinem Leben. Pat Oliver. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pat Oliver
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847675068
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typisches zu erleben.

      Natürlich ist Mademoiselle Juli eine französische Austausch­studentin, die mit diesem Kurs ihr Geld verdient und natürlich sind ihre Augen voller Leidenschaft und ihr Akzent ist so erotisch, dass man alles für eine Nacht mit ihr geben würde.

      Ich gebe alles. Ich bin schon nach zwei Wochen derart versiert im Pinselstriche ziehen, dass sie mich immer wieder lobt, für meine gelungenen Licht- und Schattenverhältnisse oder die Vielschichtigkeit meiner Farbwahl. Ich danke ihr jedes Mal aufrichtig dafür und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Sie hat Grübchen.

      In der darauf folgenden Woche habe ich eine künstlerische Krise. Ich entschließe mich kurzerhand, als Quereinsteiger in dem Aufbaukurs für Fortgeschrittene, bei Günter Dubrovnik, einzuschreiben. Es ist schwer, aber ich komme in etwa mit.

      Ich beschließe, dass es Zeit für einen Französisch-Kurs wäre und besuche „Französisch für Anfänger“, bei Madame Bauer.

      Und dann eine Woche vor Ende des Kurses, ziehe ich den Joker. Ich vollende mein Bild mit einem gewagten Pinselstrich, führe es Mademoiselle Juli stolz erhobenen Hauptes vor und sage im besten Französisch: „Wenn es ihnen nicht gefällt, lade ich sie zum Essen ein.“

      Sie erwidert, das Bild sei unglaublich hässlich, lacht herzlich und am Abend sitzen wir beide beim Italiener um die Ecke.

      Ich erinnere mich an diesen süßen Film von Disney mit den zwei Hunden die sich so mögen, komme aber nicht auf den Namen. Wir bestellen beide Spaghetti. Sie hat den Film wohl auch gesehen.

      „Und was machen sie, wenn sie nicht gerade diese hässlichen Bilder malen?“ fragt sie, während wir anstoßen.

      „Ich studiere noch.“

      „Oh, was studieren sie denn?“

      „Mal dies, mal das. Ich lege mich da nicht so fest, wissen sie.“

      „Ah, ich verstehe... Äh, bitte lassen Sie uns doch dieses ‚Sie‘ ablegen, ich komme mir ja vor wie eine alte Frau. Ich bin erst sechsundzwanzig.“

      Wir trinken auf Du und Du und ich frage, wie sie nun eigentlich mit Vornamen heißt.

      „Dominique.“

      „Schöner Name. Dominique Juli, gefällt mir.“

      Das ist ein Anfang. Wir lernen uns kennen. Ich und die vier Jahre ältere Mademoiselle Juli. Ja, es ist schön mit ihr. Sie ist einfach. Sie lacht oft und ich bringe sie gerne zum Lachen. Ich mag ihre Grübchen.

      Die Französin. Die Erfüllung meiner pubertären Phantasien. Wenn ich diese Frau mit nachhause nehmen darf, dann fehlen nur noch die Jazzmusikerin, die Referendarin aus der sechsten Klasse und eine Polizistin, wahlweise ersetzbar durch eine Ärztin oder neue Nachbarin.

      Wenn ich mit all diesen Frauen jeweils eine Nacht verbracht habe, kann ich in Würde sterben. Die Chance, dass dieser Fall eintritt ist geringer als die Chance, eine gute Hollywoodfließbandkomödie zu sehen und das ist ja schon seltener, als der berühmte Sechser im Lotto, dessen Wahrscheinlichkeit wiederum geringer ist, als von einem Blitz getroffen zu werden.

      Aber wenigstens ein bisschen Würde werde ich bei meinem Ableben behalten, denn Dominique kommt mit zu mir. Sie schlägt es sogar vor. Wir kaufen noch zwei Flaschen Wein an der Tankstelle und sie legt sich zu mir auf das Sofa. Sie sagt, ihr wäre sehr warm und als ich ihr erzähle, dass ich vier Jahre jünger bin, küsst sie mich und weiht mich kurz darauf in die Geheimnisse der Liebe ein.

      Zumindest erzähle ich es so meinen Freunden. In Wahrheit waren wir nämlich beide so betrunken, dass wir das ganze fast gar nicht mehr hinbekommen haben. Gekommen ist keiner von uns und nach einer halben Stunde haben wir es einfach aufgegeben.

      Wir sind jetzt gute Freunde und ich schreibe ihr E-Mails, mit zweideutigem Inhalt. Im Sommer darf ich sie in Frankreich besuchen kommen. Vielleicht kennt sie ja eine Jazzmusikerin, mit der sie mich verkuppeln kann.

      8 – Absolute Giganten

      Jetzt. Genau jetzt. In exakt diesem Moment. Ich stehe quasi vor gepackten Koffern. Genau jetzt sollte ich abhauen. Einfach weg hier. Alles abbrechen und hinter mir lassen. Raus aufs Meer. Irgendwohin, wo ich in Einsamkeit vor mich hin philosophieren kann, ohne einen Gedanken an die Vergangenheit zu verschwenden.

      Nach Südamerika wäre gut. Vielleicht auch Kuba oder Jamaika. Aber darum geht es auch gar nicht. Wohin ist egal. Ich habe diesen Film gesehen. „Absolute Giganten“. Der neue deutsche Film ist ja mal so was von nicht tot. Im Prinzip geht es in dem Streifen darum, dass ein Typ mit seinen zwei besten Freunden einen letzten Abend verbringt, bevor er für immer abhaut. Einfach weg. Weg aus Hamburg. Ich will auch in Hamburg leben. Ja, das ist es. Ich will nach Hamburg ziehen. Und dann will ich da auch verschwinden.

      Am meisten beeindruckt mich das Ende von dem Film. So ziemlich am Anfang sagt der Hauptdarsteller, dass es immer Musik geben müsste, bei allem was man so macht und dass dann, wenn es am besten ist, wenn es besser nicht mehr geht, dass dann die Platte hängen sollte. Und am Ende hängt die Platte und man hört immer wieder dasselbe Stück Musik, während die Sonne über der Elbe aufgeht.

      So etwas beeindruckt mich einfach. Das ist einfach geil. Und genau jetzt muss ich hier wegziehen. Ich muss alles hinter mir lassen, meine Freunde anrufen und sagen dass ich gehe. Der Unterschied ist, dass sie wahrscheinlich eine richtig große Party organisieren, mit allen Menschen die mich irgendwie auch nur im Entferntesten kennen und am Schluss liegen alle betrunken unter dem Tisch.

      Wenn ich mir das Elend vorstelle, bleibe ich wohl doch besser hier. Vielleicht sollte ich mir auch einfach andere Freunde suchen und dann abhauen.

      Mit Marlene und Tom ist das schon ganz gut. Wir treffen uns vielleicht einmal im Monat, aber wirklich vermissen werden die mich auch nicht. Marlene hat jetzt auch einen Freund. Bezeichnenderweise ist es der Bruder von Toms Freundin. Sie hat ihn zwei Tage nach dem Abend bei mir kennen gelernt. Das nennt man wohl Pech. Wobei es mir eigentlich nicht viel ausmacht, denn richtig scharf war ich nie auf sie. Lag wohl am Charakter.

      Meine Mutter hat angerufen. Ich soll nächste Woche mal wieder zum Kaffeekränzchen vorbeikommen. „Wir hören ja immer so wenig von dir.“

      Kein Wunder. Wirklich etwas zu erzählen gibt es ja nicht. Von dem dreimaligen Studienwechsel sage ich ihnen besser nichts, sie würden nicht verstehen, dass man seine Prioritäten auch mal umstrukturieren kann und da ich außerdem keine Heiratspläne oder irgendwo im Lotto gewonnen habe, werde ich wieder da sitzen, sagen, dass bei mir alles gut ist, so wie es ist und dass sie sich keine Sorgen machen brauchen.

      Sie werden die Bilder vom letzten Urlaub auspacken und ich werde sie mir mittelprächtig beeindruckt ansehen. So läuft das nun mal in meiner Familie.

      Zack, da ist sie. Ich hatte schon gehofft, dass das dieses Mal ausbleiben würde, aber es ist unvermeidlich. Lebenskrise. Wo will ich hin? Was wird einmal aus mir werden? Will ich wirklich so weitermachen? Wer ist die perfekte Frau für mich? Warum meldet sie sich nicht bei mir? Wie kann ich mich selbst überhaupt noch ertragen?

      Mein Hang zum Pathos ist schon extrem lästig, aber ich kann mich ja nicht wehren. Ich lege mich auf mein Bett und höre irgendwelche psychedelischen Songs mit viel Geigen und Klavier drin. Hypnotischen Kiffer-Elektro-Klassik-Jazz-Rock.

      Ich sollte einfach schlafen gehen. Das wäre besser, aber ich weiß, dass ich das jetzt nicht tun kann. Ich werde mir bald eine Jacke anziehen und in der Dunkelheit durch die Stadt laufen. Irgendwann lande ich dann in einer Bar, in der ich ein Bier bestellen werde, während ich versuche, dem Wirt meine Leiden zu erzählen. Leider geht das heutzutage auch nicht mehr so einfach. Die meisten Barkeeper hören dir nicht mehr zu. Sie geben dir nur den Rat, schneller zu trinken und nachhause zu fahren. Irgendwann müssen sie diese Verordnung abgeschafft haben, dass angehende Gastwirte zwei Semester Psychologie oder Sozialpädagogik belegen.

      Nachdem ich mein Bier in der Bar ausgetrunken und bezahlt habe, betrinke ich mich zuhause weiter. Dann komme ich wieder auf die verrückten Ideen wie Künstler werden oder ein Buch