Ein Jahr aus irgendeinem Leben. Pat Oliver. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pat Oliver
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847675068
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ausgehe, ja nicht. Die wissen, dass Brad Pitt ein Schönheitsideal ist und dass nicht alle Menschen so aussehen, aber sie wissen auch, dass ihr letzter Freund dreimal die Woche trainiert hat, um so auszusehen, dass man mit ihm weggehen kann. Das ist echter Einsatz. Und die Gene, die so jemand hat, sind förderlich in der Natur, wenn man überleben will.

      Ich allerdings bin ja eher der Stadtmensch. Die Natur reizt mich ehrlich gesagt nicht wirklich. Ich habe Pollenallergie. Ich lebe in einer Welt, in der man sich muskelstimulierende Elektroden auf die Haut pappt, um einen flachen Bauch zu bekommen. Einen Tiger töte ich mit meinen bloßen Händen – am Computer. Und hinterher gehe ich mir ein Steak kaufen.

      Leider habe ich so nie gelernt, wie man eine Frau an den Haaren in die Höhle schleift. Deshalb bin ich Single. Aber heutzutage ist man ja nicht mehr einfach nur Single. Nein, man ist auch noch glücklich dabei. Ich habe noch nie unglückliche Singles auf der Straße, oder in Bars oder im Kino getroffen. ‚Und wie geht’s dir?’ – ‚Ach gut. Nein, ich schaue mir gerne Filme alleine an, da kann man besser aufpassen, man ist nicht so abgelenkt. – Ich bin auch nur auf ein Bierchen vorbeigekommen. Wollte sehen, ob jemand von früher hier ist.’

      Alles Blödsinn! Das alles ist Wahnsinn. Geradezu paradox. Denn wenn man glücklich ist, dann will man den Zustand ja nur ungern ändern. Ergo bleibt man immer länger alleine und wird immer noch glücklicher. Die unwiderrufliche Folge: tiefe Depression. Mit 40 merken viele dann, dass das „Single sein und glücklich tun“ so nicht funktionieren kann. Ein wirklich glücklicher Single würde seine Einsamkeit eben nicht akzeptieren, dagegen ankämpfen, scheitern, ein paar Jungs zusammentrommeln und seinen Frust im Alkohol ertränken. Das ist es, was glückliche Singles tun.

      Im Café arbeitet jetzt eine neue Bedienung. Sie ist 23, hat braune Haare und heißt Ina. Natürlich hat Ina einen Traumkörper, sonst wäre sie an dieser Stelle kaum erwähnenswert und ich würde nicht den ganzen Tag hungern, um besser auszusehen. Wäre Ina eine fette Tonne mit Triefaugen, dann würde ich vielleicht meinen Schichtplan ändern und alles wäre in Ordnung. Aber Ina ist eines dieser Mädchen, die, wenn sie einen am Arm berühren, einen Mann wahnsinnig machen. Objektiv gesehen ist sie auf jeden Fall vier Nummern zu groß für mich. Aber ich habe mich da jetzt leider rein gesteigert und zurück geht es nicht mehr.

      Ich wache auf, kratze mich, hole mir einen Kaffee, setze mich an den PC und zack, schon denke ich an sie. Wenn ich mittags am Café vorbeigehe, schaue ich hinein, ob sie gerade Dienst hat und wenn ich abends das Licht ausmache, dann frage ich mich, was ich sagen könnte, wenn sie jetzt neben mir liegen würde. Ich würde Gedichte schreiben, wenn das nicht so schmalzig wäre. Ich würde dieses „Sterne vom Himmel holen“-Ding ausprobieren, wenn dadurch nicht die ganze Menschheit ausgelöscht werden würde. Und ich würde sogar eine Hollywood-Liebeskomödie für gut erklären.

      Aber Mädchen wie Ina haben natürlich immer einen Freund. Das lassen sie dich nicht merken. Nein, sie erwähnen es irgendwann beiläufig. So, als ob du es eigentlich hättest wissen müssen. Sie bemerken nicht den kurzen Anflug von Mordgelüsten gegenüber ihrem Angebeteten. Du versuchst, dich zu distanzieren, aber sie umarmen dich immer wieder herzlich und streicheln deinen Nacken, weil du schon wieder vorgegeben hast, du seist verspannt. Sie halten dich auf dem Abstellgleis, bis sie wieder Solo sind. Dann heißt es, sie brauchen jetzt einen guten Freund. Und natürlich bist du wieder so dämlich anzunehmen, dass du sie haben kannst. Aber nach einer Woche, in der du sie umarmt, gestreichelt, liebkost und umsorgt hast, haben sie wieder einen anderen.

      Natürlich könnte man ihnen sagen, dass die gute platonische Beziehung, die man so führt, nur der Vorwand dafür ist, in ihrer Nähe zu sein, aber Geheimnisse behält man ja doch lieber für sich.

      Ich bilde mir ein, Ina würde es irgendwann schon merken. Und bis dahin bleibe ich der Typ im Hintergrund. Damit ist die Sache zum Scheitern verurteilt. Ich müsste um sie kämpfen, ihr Herz erobern. Ich müsste sie vor einem 50 Meilen schnellen Bus retten oder so etwas, aber das kommt nicht in Frage.

      Stattdessen zeige ich ihr wie man die Kaffeemaschine richtig bedient und sie lächelt. Dagegen bin ich machtlos. Weiche Knie, Engelsgesang, der ganze Unfug. Ich frage sie, ob sie heute Abend schon etwas vor hat und sie hat etwas vor. Sie will auf ein Konzert. Irgend so ein Rockevent mit Live-Bands. Sie fragt, ob ich nicht mitkommen will und ich sage, dass ich es mir überlege. Sie sagt, sie würde sich freuen.

      Ich Idiot gehe natürlich in der Erwartung, sie würde dort mit einer oder zwei Freundinnen sein, hin. Stattdessen ist Thorsten da. Thorsten, der widerliche Thorsten. Der Thorsten, dessen Auto, falls ich es finde, nicht mehr besonders gut bremsen wird.

      Nachdem ich, mutig wie ich bin, auf die beiden zugegangen und Ina begrüßt habe, stellt er sich mir vor. Dann fängt eine der schlechten Bands an zu spielen und die beiden küssen sich. Vor meinen Augen, als wäre ich nie da gewesen. Und in diesem Moment raste ich aus. Ich kann es einfach nicht mehr ertragen. Ich koche innerlich über. Ich gehe nach draußen und trete eine Laterne aus.

      Dann rufe ich meine Freunde an und gehe mit ihnen einen trinken.

      5 – Neo

      Okay, Bestandsaufnahme: Die Sache mit Ina soll mir eine Lehre gewesen sein. Die Sache mit Lisa auch. Die Sache mit Steffi ist in Ordnung, platonische Beziehungen zwischen Männern und Frauen entstehen wahrscheinlich unter der Prämisse, dass man bereits eine sexuelle Basis teilt.

      Die Schichten im Café habe ich getauscht und die Diät wieder aufgegeben. Ich brauche jetzt dringend eine Pause. Ina hat mir den Rest gegeben. Vielleicht lege ich mir ein Hobby zu. Irgendwas ausgefallenes, dass mich so sehr in Anspruch nimmt, dass ich keine Zeit mehr habe, um an etwas anderes zu denken.

      Adolf geht es soweit ganz gut in seinem Terrarium. Er hat gestern einen herben Schlag der Alliierten einstecken müssen, als sie seine linke Flanke durch einen plötzlichen Artilleriebeschuss, in Form von Papierkügelchen, die meine Freunde nach dem gestrigen Gelage mittels Gummibändern abfeuerten, beinahe komplett auslöschten.

      Ich stelle mir einen Plan zusammen. Endlich Ordnung in dieses ganze Chaos bringen, das ist es. Ich muss jetzt erwachsen werden. Ich muss kluge Entscheidungen fällen. Um acht Uhr morgens schon im Büro schuften. Ich habe zwar kein Büro und auch keinen Job, der mich in ein Büro führt, aber ich räume mir eine Ecke in meinem Wohnzimmer frei. Ich strukturiere alles um. Ich baue mir ein Regal, in das ich eine Enzyklopädie stellen kann und ich kaufe mir diese „Posteingang-Postausgang“-Boxen und dann noch Ringordner. Ich mache alles, damit es so professionell wie möglich aussieht. So, als ob es viel zu tun geben würde. Ich strukturiere meine PC-Ordnung, lege drei Festplattenpartitionen an und ich stelle mir sogar einen Bilderrahmen hin. Normalerweise wäre dort ein Foto von meiner Familie, oder meiner Freundin, oder wenigstens von meinem Hund. Aber ich besitze seit geraumer Zeit nur noch digitale Fotos. Deshalb ist da immer noch das Modellbild, das mich anstarrt und ich stelle mir vor, wie es wäre, mit dieser Frau zusammen zu sein.

      Bloß nicht dran denken! Jetzt wird es Zeit zu arbeiten. Ich besorge mir Bücher aus der Uni-Bibliothek und fange an, eine wissenschaftliche Arbeit zu verfassen. Der Titel ist mir noch nicht ganz klar, aber ich nehme einfach alle Zitate, die mir gefallen und setze sie aneinander. Heraus kommt eine Mischung aus Philosophie des 19. Jahrhunderts, Psychoanalyse für den Hausgebrauch, Darwinismus im Vergleich zu marxistischen Ansätzen, sozialwissenschaftliche Deutungsweisen der antiautoritären Erziehung sowie ein kurzes Exposé über das Germanistikstudium an sich. Ich bin wie besessen. Interdisziplinär. Ich schreibe und schreibe und schreibe, während ich nicht einmal merke, dass ich da völligen Blödsinn zusammenkloppe. Ich denke mir, dass es genial sein muss. Ich finde Verknüpfungen zwischen Aristoteles und Martin Luther. Und ich beginne den Code zu sehen. Zu Entschlüsseln. Ich weiß, dass da ein großes Ding am Laufen ist. Ja, es muss so sein. Es gibt einen Masterplan.

      Und plötzlich fällt es mir wieder ein. Der zweite Teil war nicht besonders. Der dritte war einfach nur noch schlecht. Die Effekte waren gut, aber nur die wirklichen Fans konnten diesen beiden Teilen noch etwas abgewinnen. Und die Lösung des ganzen. Ich weiß noch wie ich da im Kino saß und mich gefreut habe. Eine hochkomplexe, bis ins kleinste Detail ausgetüftelte Story habe ich erwartet. Und dann das. Neo