Ein Jahr aus irgendeinem Leben. Pat Oliver. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pat Oliver
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847675068
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und dass sie gerne noch einmal bei mir klingeln können, wenn sie es geschafft haben. Ein Bierchen könnte ich auch anbieten. Mein Abend würde jetzt sowieso nur noch aus Fernsehen und Computerspielen bestehen.

      Sie sagen, dass sie wahrscheinlich noch drauf zurückkommen werden und ich sage, dass ich mich freue. Eigentlich will ich gar nicht wirklich, dass sie noch vorbeikommen, aber nach dem melancholischen Anfall von vorhin muss ich mir da mal in den Arsch treten.

      Warum denn auch nicht mal ein paar neue Leute kennen lernen? Okay, warum ausgerechnet BWL-Studenten? Na, ist ja auch egal. Das macht mich nicht zu einem schlechteren Menschen. Ich darf halt niemandem davon erzählen. Sonst rutsche ich wahrscheinlich automatisch auf der Freundeskreisleiter eine Stufe nach unten.

      Um halb elf klingelt es schließlich an meiner Tür. Ich bin gerade dabei eine feindliche MIG abzuschießen, schrecke hoch und werde tödlich getroffen. Der Computer spielt ein bisschen Trauermusik, während mein Grabstein im Hintergrund erscheint. Ich drücke den Türsummer und warte, bis Marlene und Tom die zwei Stockwerke überwunden haben.

      „Hallo, hast du schon geschlafen?“, fragt Marlene mit Blick auf meine zerzausten Haare.

      „Nee, Russen getötet“, entgegne ich.

      Tom reicht mir ein Sixpack Bier.

      „Wir waren eben noch an der Tankstelle. Praktisch, so was direkt vor dem Haus zu haben.“

      Wir setzen uns in mein Wohnzimmer und ich biete ein paar Mini-Salamis an, die ich noch im Kühlschrank gefunden habe.

      „Und? Wie war die Party noch?“, frage ich, als kein Gesprächsthema aufkommen will.

      Tom sagt: „Also, Manfred wird immer schlimmer. Meine Güte, was da für Leute waren.“

      „Ja, und wie die alle drauf waren…“, wirft Marlene ein.

      „Nächstes Mal haben wir aber bitte was vor, wenn er fragt“, meint Tom. „Sag mal, wo ist denn hier die Toilette?“

      Ich verweise auf die zweite Tür, die es in der Wohnung gibt und sitze jetzt alleine mit Marlene im Zimmer.

      „Du studierst also BWL, hm? Wie weit bist du denn?“

      „Sechstes Semester. Ich hab bald wieder Prüfungen. Was machst du denn so?“

      „Na ja, offiziell bin ich wohl auch Student. Aber eher interdisziplinär. Jedes Semester mal was Neues. Ich kann mich da nicht so festlegen.“

      „Hm, okay.“

      Dann folgt Schweigen. Unangenehmes Schweigen. Diese Art von Stille, die einen immer dazu verleitet, schneller zu trinken. Ich schaue mir Marlene ein bisschen genauer an. Körbchengröße C wahrscheinlich, relativ schlank, mittellange braune Haare mit Strähnchen, Stupsnase. Nicht mehr wirklich Mittelmaß, aber auch nicht die höchste Stufe der Schönheit. Jetzt sollte ich wohl fragen. Könnte aber auch falsch verstanden werden. Aber na ja, ich kenne die beiden ja nicht. „Also, du und Tom...?“

      Sie unterbricht mich: „Ich und Tom wohnen in einer WG.“

      Ich nicke verständig, aber es juckt mir unter den Fingern.

      „Und ihr beide seid...?“

      „Na ja, kein Paar, wenn du das meinst. Also nicht im eigentlichen Sinne.“

      „Wie soll ich das denn verstehen?“

      „Manchmal schlafen wir miteinander, aber nur wenn wir in keiner Beziehung sind.“

      „Einfach so?“

      „Einfach so. Im Moment ist er aber ganz glücklich vergeben. Wieso erzähl ich dir so was überhaupt?“

      „Keine Ahnung.“

      „Wie auch immer. Ist ja auch egal. Also, eigentlich sind wir nur gute Freunde.“

      „Okay, aber geht das denn? Ich meine, ich würde bei so was vielleicht schon Gefühle entwickeln. Oder wenigstens ein bisschen eifersüchtig werden.“

      „Hm...“

      Marlene überlegt wahrscheinlich gerade, wann sie das letzte Mal mit ihm geschlafen hat und ob es so gut war, dass sie es vermissen könnte. Ich hingegen bin vollkommen verwirrt, in Anbetracht der Tatsache, dass sich da gerade neue Welten auftun. Ich werde ein bisschen eifersüchtig auf Tom und wünsche mir, dass ich mein Leben mit ihm tauschen könnte.

      „Und weiß Toms Freundin das mit euch?“, frage ich. Einen Haken muss die Sache ja wohl haben.

      „Nein, natürlich nicht. Wenn mein Freund so etwas getan hätte oder überhaupt nur daran denken könnte, dann wäre da aber die Kacke am dampfen. Ich weiß es ist unfair, aber he, die Regeln sind ja klar.“

      Wusste ich’s doch. Einen Haken hat die Sache immer

      „Und du bist wirklich nicht eifersüchtig?“

      „Nein. Na ja, ein bisschen vielleicht, manchmal.“

      Damit ist das Gespräch über Liebe, Sex und Zärtlichkeiten erst einmal durch. Tom kommt vom Klo wieder und wir unterhalten uns noch etwas über Belangloses.

      Am Ende des Abends tauschen wir Telefonnummern aus und verabschieden uns herzlich. Marlene drückt mich, als ob wir uns ewig kennen würden und ich sehe ihrem Hintern hinterher. Ein schöner Hintern. Kein Weltklasse-Arsch, aber doch sehr ansehnlich.

      Dann setze ich mich auf den Balkon und gucke in den Himmel. Ich zünde mir eine Zigarette an, lasse den Abend Revue passieren und danke Manfred leise für alles. Für alkoholfreies Bier, für Kuschelrock, für Monopoly und für gut gelaunte BWL-Studenten.

      Dann schreibe ich eine SMS an Marlene. Nach einer Viertelstunde kommt ihre Antwort: Werde es mir überlegen. Schöne Träume.

      7 – Mademoiselle Juli

      Scheiße, ist das klischeehaft hier. Überall diese Bilder mit den Bananen, Äpfeln oder Birnen in den Schalen und alle haben diese Malerkittel an. Zwei tragen sogar Baskenmützen. In der Ecke diskutiert ein Ehepaar über modernen Expressionismus und Pop-Art. An der Wand hängt eine Kopie der Mona Lisa und in einer anderen Ecke stehen ein paar schöne selbstgetöpferte Vasen, die man nur einem hungernden Kind abkaufen würde. Selbst dann würde man wohl noch verhandeln.

      Ich stelle mich an eine Staffelei und begutachte das daneben liegende Werkzeug. Ein Spachtel, Pinsel in jeder Form und Größe und Ölfarben. Neben mir steht Frau Neubaum, die nette alte Dame von schräg gegenüber.

      „Ach wie nett. Ich wusste gar nicht, dass sie auch diesen Kurs besuchen“, tönt es mir entgegen, als sie mich erkennt.

      „Na, ist auch das erste mal heute. Ich habe mir überlegt, dass ich mir ein Hobby zulege, wissen sie.“

      „Ja, ja, die jungen Leute. Wir mussten ja früher immer arbeiten. Keine Zeit um zu spielen. Trümmer haben wir zusammengefegt, ja. Und dann haben wir Kohlen gesammelt. Im Winter war es ja so kalt, damals.“

      „Na, dann können wir ja beide froh sein, dass diese Zeiten vorbei sind, nicht wahr, Frau Neubaum?“

      „Ach, wir hatten ja nichts damals...“

      Nette alte Dame. Ich musste mir das schon oft anhören, aber für Nostalgie habe ich auch ziemlich viel übrig. Manchmal stelle ich mir vor, wie ich ein paar jungen Bengels Geschichten von früher erzähle. Auf einer Parkbank, während ich mich auf meinen Gehstock stütze.

      Die Tür geht auf und Frau Neubaum hört auf zu reden, flüstert noch ein „ah, jetzt geht’s ja los“ und ich sehe, wie eine ziemlich hübsche, etwa 27-jährige Brünette in den Raum marschiert. Sie stellt sich an das Pult und legt ihre Tasche darauf. In diesem Moment erinnert sie mich stark an die Referendarin aus der sechsten Klasse. Mann, waren wir damals verknallt.

      Sie begrüßt uns mit einem „Bon jour“ und schreibt ihren Namen an die Tafel. Mademoiselle Juli.

      Wenn hier etwas