Oh ja, und natürlich der große Atlas „Weltbilder“ – mit exzellenten Repros von sehr seltenen mittelalterlichen Karten. Er hatte bei der Anschaffung schon mehrere hundert DM gekostet und war nun seit langem vergriffen, galt als Sammlerstück und war in Fachkreisen ausgesprochen begehrt. Auch dafür fand sich bestimmt ein zahlungskräftiger Interessent.
Elli schrieb sich das alles auf und fand, den Rest sollte die Kripo gefälligst dem Bibliothekskatalog entnehmen.
Sie bastelte sich dazu noch eine Einkaufsliste, sammelte diversen Müll ein, um ihn auf dem Weg nach draußen loszuwerden, und überlegte, ob sie für das Polizeipräsidium angemessen gekleidet war – Jeans und Ringelshirt: warum nicht? Im Sommer, an einem notgedrungen freien Tag? Es war ja nicht so, als ginge sie zu Hofe…
Als sie schließlich im Präsidium ankam, war es exakt fünf Minuten nach vier, wie sie befriedigt feststellte – man wollte ja auch nicht übereifrig wirken.
Sie wurde in einen großzügigen Raum mit mehreren Schreibtischen und einem gewaltigen Whiteboard geführt, das allerdings ausgeschaltet war. Schade, es hätte sie durchaus interessiert, was die Kripo bis jetzt schon herausgefunden hatte.
Kommissar Schönberger reichte ihr die Hand. „Danke, dass Sie kommen konnten! Ich denke, wir gehen am besten in den Besprechungsraum…“
„Ist das dann so etwas wie ein Verhörraum?“
„Äh, naja – sagen wir, multifunktional? Wir wollen Sie schließlich nicht verhören, sondern nur von Ihrer Sachkenntnis profitieren.“
Nicht ungeschickt, fand Elli und nickte gnädig.
Der Besprechungs- oder Verhörraum war relativ groß und bis auf zwei zusammengeschobene Tische nebst den nötigen Stühlen unmöbliert. Immerhin stand ein Aufnahmegerät auf dem Tisch, und auf einem der Stühle saß ein Mann, denn Elli sofort unauffällig taxierte: Kantiges Gesicht, sehr kurze dunkle Haare, dunkle Augen, Dreitagebart, Kapuzenshirt in leuchtendem Blau – mehr war nicht zu sehen, aber er schien recht groß zu sein. „Grüß Gott“, sagte sie also in leicht fragendem Tonfall und setzte sich auf den Platz, den Schönberger ihr zugewiesen hatte.
„Kommissar Daxenberger, Dr. Eversbach“, besorgte Schönberger die Vorstellung eher nachlässig und setzte sich ebenfalls.
Daxenberger reichte ihr quer über die Tischplatte die Hand. „Grüß Sie. Sie sind die Bibliothekarin?“
„Eher die Bibliotheksaufsicht. Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin. Diese Liste wollten Sie haben?“
Sie zog die Liste aus der Tasche und schob sie über den Tisch. „Vollständig ist sie nicht, dazu müssten Sie die Daten im Bibliotheksrechner mit dem Bestand im Glasschrank abgleichen. Aber diese hier dürften die wertvollsten Stücke sein, abgesehen von den Handschrift-Fragmenten natürlich.“
Daxenberger begann zu lesen und gab ab und zu beeindruckte Geräusche von sich, dann reichte er das Blatt an Schönberger weiter. Ulkige Namensähnlichkeit, fand Elli – in Bayern aber vielleicht nicht so ungewöhnlich…
„Wie viel?“, fragte Schönberger schließlich.
„Fünfstellig auf jeden Fall“, antwortete Daxenberger. „Ich würde grob geschätzt dreißigtausend ansetzen. Für genauere Zahlen müsste ich die Objekte auch sehen können. Der Sybel ist eine Erstausgabe?“
„Ich glaube schon. Das müsste man im Netz rauskriegen können, oder?“
„Vielleicht fahren wir mal schnell rüber?“, schlug Daxenberger vor. „Haben Sie den Bibliotheksschlüssel zufällig dabei?“
Elli nickte und Daxenberger wandte sich an seinen Kollegen: „Spusi ist durch?“
„Ich werde nachfragen.“
Nach einem kurzen Gespräch nickte er. „Alles klar, wir können rein.“
„Aha – dann können wir am Montag wieder öffnen? Manche sind da schon sehr ungeduldig. Workaholics eben.“
„Ach ja? Wer zum Beispiel?“, fragte Schönberger über die Schulter, während er diversen Kram in den Taschen seiner Lederjacke verstaute.
„Na, Wülfert zum Beispiel. Der muss ja bei uns arbeiten, weil ihn die Germanisten rausgemobbt haben. Und Teubner, weil der offensichtlich so schnell wie möglich habilitiert werden will. Sehr ehrgeizig, der Junge. Der hat sich für den Tod von Becky Rottenbucher aber schon gar nicht interessiert, nur gejammert, wo er jetzt arbeiten soll. Ich hab ihn an die Unibibliothek verwiesen und gesagt, er soll sich nicht so anstellen.“
Daxenberger blinzelte wegen dieses Wortschwalls. „Vielleicht kannte er die Frau gar nicht?“
„Mag sein, aber wenigstens ein, zwei Sätze hätte ich doch erwartet. Er muss ja nicht in Tränen ausbrechen, aber so nerdartig muss er doch auch nicht unterwegs sein. Jede Tragödie ist wohl nur dazu da, ihn bei der Arbeit zu stören.“
„Schlechter Zeuge“, vermutete Schönberger. „So einer nimmt ja wohl überhaupt nicht wahr, was um ihn herum passiert.“
Elli konnte ihm nur zustimmen, Daxenberger aber schüttelte den Kopf. „Ich würde mir den Kerl schon mal ganz gerne näher anschauen. Aber jetzt nehmen wir uns diese Bibliothek mal vor!“
Dass sie mit dem Auto hinfuhren, kam Elli etwas albern vor; wie sie es vermutet hatte, dauerte die Parkplatzsuche dann auch länger als die eigentliche Fahrt.
Sie schloss die Bibliothekstür auf, nachdem Schönberger das Siegel durchtrennt hatte, und stieß die Tür weit auf. „Bitte sehr, meine Herren!“
Beide traten ein und blieben sofort wieder stehen. „Wo ist denn der Katalog?“, fragte Daxenberger. Elli grinste – seine Studienzeiten schienen schon etwas länger zurückliegen, denn offenbar hatte er nach einem Karteischrank Ausschau gehalten.
Sie wies auf die Reihe Rechner in der ersten Reihe. „Wenn Sie nach der Signatur GS suchen – GS für Glasschrank -. müssten Sie alle Titel bekommen. Der Drucker steht dahinter.“
Daxenberger setzte sich und schaltete den Rechner ein; Schönberger begehrte den Glasschrank zu sehen, den Elli ihm mit großer Geste präsentierte.
„Schaut nicht gerade voll aus“, kommentierte Schönberger nach einem kurzen Blick.
„Aber es scheint auf den ersten Blick nichts zu fehlen, denn der Dieb war offenbar schlau genug, die Reste etwas günstiger zu verteilen“, fügte Elli mit gerunzelter Stirn hinzu. „Respekt…“
Daxenberger kam zu ihnen, die Liste in der Hand. „Eine ganz nette Sammlung. Lauter nicht wirklich erstklassige Stücke, aber -“
„- Kleinvieh macht ja auch Mist“, ergänzte Elli, was ihm ein überraschtes Grinsen entlockte.
Er begann die Liste langsam vorzulesen und Elli sagte jeweils „Ist da“ oder „Ist weg.“
Schließlich waren sie fertig. „Sieben Stücke fehlen“, zog Daxenberger Bilanz. „Ich werde den Marktwert ermitteln und die Summe so festlegen. Wie gesagt, Rembrandts oder Stundenbücher sind es nicht gerade, aber doch ein beträchtlicher Schaden für die Bibliothek.“
Er legte die Liste beiseite und beugte sich zu dem Schloss