„Möglich. So weit sind wir noch gar nicht, aber vielleicht weiß dieser Prof ja Näheres, deshalb fahren wir schließlich durch halb Bayern.“
„Ja, schon klar…“
Wieder breitete sich Schweigen im Wagen aus, bis Joe selbst das Schweigen brach: „Ich bin ja mal gespannt, was der zu den Diebstählen sagt.“
„Vielleicht wissen die von den Eigentumsdelikten Genaueres? Ob kostbare Bücher vertickt werden oder so?“
„Guter Gedanke, Patrick! Nachher, wenn wir zurück sind, fragen wir mal beim Flo Daxenberger nach, ob ihm was zu Ohren gekommen ist. Vielleicht haben ja andere Bibliotheken das gleiche Problem… Schreib das schon mal auf, bitte!“
Patrick tippte diese Fragen in die To-do–Liste und überlegte dann weiter. „Vielleicht hat das tote Mädchen ja den Dieb oder die Diebe beobachtet?“
„Hm. Vielleicht… Das wäre wohl naheliegender als die Theorie, dass sie Ärger mit ihrer Familie oder ihrem Freund hatte. Denn da fragt man sich natürlich -“
„- wie ein Täter aus diesem Kreis in die Bibliothek gekommen ist: Da muss man doch einen Ausweis vorzeigen?“
„Genau. Und obendrein war die Bibliothek noch geschlossen, bevor der diensthabende Assistent sie geöffnet und die Leiche gefunden hat. Vielleicht kann dieser Mahlmann uns Genaueres zu den Abläufen in dieser Bibliothek mitteilen.“
„Wenn er nicht erhaben über diesen alltäglichen Dingen schwebt“, unkte Patrick.
Deprimiertes Schweigen breitete sich wieder aus und es hielt an, bis sie die Autobahn gegen die Bundesstraße tauschten und schließlich in Garmisch die Alpspitzstraße ansteuerten.
Professor Mahlmann erwies sich als kleines Männlein in Bergsteigerkluft, gerade, dass er kein Seil über der Schulter trug, um deutlich zu machen, dass er jeden Moment aufbrechen wollte und sich von der Polizei in dieser Absicht behindert fühlte.
Rucksack und Seil lagen immerhin schon griffbereit im Flur und der zierliche Mittfünfziger trug bereits Bergstiefel.
„Also, was gibt es so Dringendes, meine Herren?“
„Wie wir Ihnen am Telefon schon mitgeteilt haben, wurde in der Bibliothek des Instituts für Mittelalterliche Geschichte heute Vormittag eine tote Studentin entdeckt“, kam Joe in wenig konziliantem Ton sofort zur Sache. „Als Chef – oder wie immer man das nennt – des Instituts sind Sie doch sicher sehr betroffen und ebenso daran interessiert, dass dieser Todesfall schnell geklärt wird?“
„Gewiss, gewiss – übrigens bin ich der Institutsvorstand. Allerdings habe ich bei unserem Telefongespräch gar nicht recht registriert, was Sie da genau gesagt haben… ein Todesfall? Sehr tragisch, gewiss. Ein Unfall vielleicht? Oder eine Überdosis?“
„Wie kommen Sie sofort auf eine Überdosis?“, fragte Patrick. „Hat Ihr Institut denn ein besonderes Problem mit Betäubungsmittelmissbrauch?“
„W-was? Wie kommen Sie denn – also, das ist ja wohl eine Unverschämtheit!“
„Warum?“, fragte Joe sofort und zog dabei sein bekanntes harmloses Schulbubengesicht, „Sie haben doch die Überdosis erwähnt – spricht das nicht für eine gewisse Erfahrung mit der Problematik?“
„Aber nicht doch! Man weiß aber doch schließlich – junge Leute, nicht wahr…?“
Joe und Patrick schüttelten synchron den Kopf. „Das scheint mir aber wohl eher ein Vorurteil zu sein, aus den Achtzigern offenbar. Sie haben doch viel Kontakt mit jungen Leuten, immerhin bieten Sie ja verschiedene Lehrveranstaltungen an – kommen Ihnen da so viele Junkies unter?“
„Absolut nicht! Allerdings wüsste ich auch nicht, woran man das erkennen kann.“
„Das sollte jemand, der junge Leute unterrichtet, aber schon wissen“, tadelte Patrick. „Die Anzeichen kann man garantiert googeln.“
Empörtes Schnauben.
Joe und Patrick warteten, bis der Herr Professor das Schweigen nicht mehr aushielt. Lange dauerte es nicht:
„Gut, diese Studentin ist also nicht an irgendwelchen Drogen gestorben… ein Unfall also? Allerdings wüsste ich nicht, was da in unserer Bibliothek so unfallträchtig sein sollte – bestenfalls könnte man von der Leiter fallen… vielleicht klären Sie mich endlich einmal auf?“
„Frau Rottenbucher wurde erschlagen, soweit wir es bis jetzt sagen können“, antwortete Joe und fixierte den Professor mit strenger Miene.
„Was!“ Zum ersten Mal wirkte der Professor betroffen. „Frau Rottenbucher? Erschlagen?“
Oder wollte er nur Zeit gewinnen?
„Kannten Sie Frau Rottenbucher?“
„Äh – ja. Sie hat einmal ein Seminar bei mir besucht. Und eine sehr überzeugende Hausarbeit verfasst. Viel Verständnis für die Probleme der Forschung… eine begabte Studentin, wirklich.“
„Wissen Sie sonst noch etwas über sie?“
„Natürlich nicht! Ich kannte Frau Rottenbucher nur als Studentin!“
„Etwas anderes wollten wir auch gar nicht andeuten.“ Jetzt klang Joe wieder ganz sanft. „Aber sie könnte ja einmal etwas erzählt – oder Sie um Rat gefragt haben, nicht wahr?“, ergänzte Patrick.
„Nein. Gut, einmal hat sie etwas über die Inhalt des Seminars hinaus gefragt, aber da wollte sie auch nur wissen, ob ich sie als Doktorandin annehmen würde, sobald sie ihr Staatsexamen absolviert hätte. Natürlich habe ich zugesagt.“
Joe nickte. „Wir haben uns auch mit Frau Dr. Eversbach unterhalten.“
„Ach ja… hat sie etwa Frau Rottenbucher gefunden?“
„Nein, das war ein Herr Hambacher.“
„Ach je – der Arme. Frau Dr. Eversbach hätte so etwas sicher besser verkraftet. Eine sehr fähige, aber etwas kühle Person, wenn Sie mich fragen. Gewiss war sie Ihnen eine große Hilfe?“
„Durchaus. Was halten Sie denn von diesen merkwürdigen Diebstählen?“
„Ach, ich glaube, das wird ziemlich überbewertet. In jeder Bibliothek wird gestohlen – leider. Der Respekt vor dem Eigentum anderer scheint immer mehr nachzulassen, meinen Sie nicht?“
„Auch der Respekt vor dem Leben anderer. Diese Diebstähle interessieren uns vor allem, weil sie vielleicht diesen Mord erklären können. Dr. Eversbach zufolge handelt es sich aber um Werke, die in einem verschlossenen Glasschrank aufbewahrt und damit gesichert waren. Das ist nicht das gleiche, als klaute ein Student ein Lehrbuch, mit dem er zu Hause weiter arbeiten will. Sind Sie nicht meiner Ansicht?“
Mahlmann seufzte und irgendwie klang es herablassend, so, als seien Joe und Patrick naiv.
„Was hätten wir machen sollen? Dr. Eversbach wollte, dass wir unsere kleinen Kostbarkeiten der Universitätsbibliothek übergeben, die sie angeblich besser schützen können – aber wir hätten die Bücher und Handschriften doch nie zurückbekommen!“
„Warum das denn?“
„Dr. Üblher ist in dieser Hinsicht ausgesprochen raffgierig.“
Oha, da schien eine gewisse Feindschaft zu bestehen… „Man kann doch einen Vertrag über Leihgaben abschließen?“, fragte Patrick. „Sonst könnten Museen doch nie etwas ausstellen, was ihnen nicht selbst gehört.“
Mahlmann winkte ab. „Das hat doch mit dem Tod von Frau Rottenbucher nun wirklich nichts zu tun! Aber Dr. Eversbach musste sich in diese Dinge natürlich