Am 26. Juli 1974 hat Frau Bertha Sander, die in England wohnte, die entsprechenden Schritte beim Amt für Grabstätten der Stadt Liège eingeleitet, um die Angelegenheiten der Grabstätte LOESER-MEYER zu regeln. Die Dauer hat sich auf 50 Jahre verlängert, durch rückwirkende Wirkung am 13/08/1971 (das Datum des Beginns der Gesetzesanwendung die Beendigung der unbegrenzten Konzessionen betreffend).
Das bedeutet, dass die Grabstätte — verwaltungsmässig — bis 12/08/2021 bereitsteht. Zu diesem Datum muss die Verlängerung erneut durchgeführt werden. Auf Grund des Dekrets von 2010 wird dies nur mehr für 30 Jahre möglich sein. Auf Grund der Tatsache, dass es sich um eine alte, unbegrenzte Konzession handelt, ist die Verlängerung gratis. Es muss nur ein Steuerstempel gezahlt werden (heute kostet er 5 Euro — ich kann Ihnen nicht sagen, wie viel dieser 2021 kosten wird). Diese Verlängerung kann durch jede Person erfolgen, die am Erhalt der Grabstätte interessiert ist. Es ist daher nicht notwenig, dass es sich um jemanden aus der Familie der Verblichenen handelt.
Das ist die Situation, liebe Frau Rogalski. Ich denke, dass ich zu dem Thema umfassend genug war und vor allem auch klar genug. Ich möchte, um zu enden, Sie bitten uns zu entschuldigen, dass die Antwort ein wenig Zeit gebraucht hat. Es mussten tatsächlich Recherchen in verschiedenen Abteilungen gemacht werden.
Wenn Sie eines Tages diese Grabstätte besuchen möchten, können Sie sich an das Personal wenden, das sich um das Büro am Eingang des Friedhofes kümmert. Es wird es als seine Pflicht ansehen, Ihnen den Ort der Grabstätte auf dem Friedhof mitzuteilen, der mehr als 100.000 Gräber umfasst mit mehr als 800.000 Verstorbenen.
Ich hoffe, ich habe Ihre Erwartungen erfüllt.
Mit besten Grüßen
Für den Beigeordneten des Bürgermeisters, Jean-Géry GODEAU
Marcelino ARGUËLLES, Attaché
Jetzt ist sicher, dass Berthas Großeltern Gabriel und Bertha Loeser wirklich hier ruhen. Zudem Berthas früh verstorbener Bruder und ihr vier Jahre später verblichener Vater. Der freundliche Monsieur Arguëlles hat offenbar die handschriftlichen Einträge des Namens Sander als „Lander“ gelesen. Auch der Ehemann von Pauline Straus geborene Loeser, also Berthas Tante, liegt hier begraben sowie ein Karl (Carl) Sander, der nicht weiter bekannt ist. Und für 2021 bietet sich eine unglaubliche und unglaublich preiswerte Option: Dann kann jeder, der es wünscht, diese historische Grabstätte für 30 weitere Jahre sein eigen nennen und nutzen. Monsieur Arguëlles, der serviceorientierte Lütticher Verwaltungsmitarbeiter, kann leider heute die künftigen Stempelgebühren für diese Übertragung nicht vorhersagen, im Moment lägen sie bei fünf Euro. Auch das macht neugierig auf die Loeser-Mayersche Grabstätte in Lüttich.
Art Nouveau à Liège
Im September 2012 führt mich eine Autoreise in die Normandie praktisch an Lüttich vorbei. Der Friedhof Robermont ist von der Autobahn aus nicht einfach zu finden, endlich erscheint in der endlosen Umfassungsmauer der Haupteingang mit dem Empfang, dessen Service Monsieur Arguëlles so freundlich offeriert hat. Eine Frau sucht in den Karteischränken und kommt mit dem museumsreifen Dokument für die Parzelle No. 109 a zurück. Die Karteikarten- und die Parzellennummer sowie der Familienname sind sorgsam mit einer Tuschfeder geschrieben. In der linken oberen Ecke steht — weniger formvollendet — dass die Konzession 1974 für weitere 50 Jahre erneuert wurde und dazu Berthas Name und Londoner Adresse. Mit einem kleinen Lageplan in der Hand gilt es nun, auf dem von grauen Steinen dominierten Terrain den Weg zur Parzelle No. 109 zu finden. Sie liegt bevorzugt an einem der wenigen Rondelle auf dem Gelände mit insgesamt nicht weniger als 100.000 Gräbern — und sie fällt ins Auge: eine schlanke, steinerne Stele mit einem eingelegten Kupferrelief, das die hellgrüne Patina trägt, die sich erst nach zwanzig, dreißig Jahren bildet. Dargestellt ist eine junge Frau im langen, fließenden Gewand, die sich zur Sonne streckt. Ganz oben steht „Famille G. Loeser“. Diese elegante Grabstele ist formal ganz auf der Höhe ihrer Zeit. 1902 wurde sie für Berthas Großvater Gabriel Loeser errichtet. In allen Details trägt sie die Handschrift des Jugendstils, der in Belgien und Frankreich als „Art Nouveau“ eine eigene formale Ausprägung hat. Auf dem Steinsockel sitzt ein niedriges Kupfergeländer, das vorne mit einem gefächerten Schwung endet. Das Relief ist unten links vom Hersteller signiert, „B. Verbeyst, Fondeur, Bruxelles“, eine Gießerei, die 1902 ihren Betrieb aufnahm. Rechts beginnt die Künstlersignatur mit einem grossen „B“, mehr ist leider nicht zu identifizieren.
Jetzt ist klar, warum Bertha das Ganze so viel bedeutete, dass sie im Alter die Friedhofsbehörde wieder und wieder mit ihren Nachfragen behelligt. Sie ist schön und stilvoll, diese Familiengrabstätte, sie zeugt von Geschmack und kultivierten Lebensumständen. Nach Berthas Tod ist übrigens keiner ihrer Erben auf die Idee gekommen, ihre Urne dorthin überführen zu lassen. Offenbar wusste keiner der ihr meist nicht so nahestehenden Erben, wie sehr ihr diese Grabstätte, die ja noch Platz bietet, am Herzen lag. Allerdings hat sie in ihrem Testament einen solchen Wunsch auch nicht festgehalten.
Als im Mai 2013 in Lüttich angefragt wird, ob eine Reproduktion der historischen Karteikarte für die Kölner Ausstellung möglich wäre, kommt die Antwort sozusagen postwendend. Diesmal von Jean-Claude Remacle, dem Büroleiter der Beigeordneten des Bürgermeisters namens Julie Fernandez. Er sendet einen perfekten Scan, wünscht viel Erfolg und bleibt weiterhin gerne „à votre disposition“. Merçi, Monsieur — und der belgischen Beamtenschaft!
3
Das Gästebuch aus Spa
Das Gästebuch und die Villa Mosella in Spa
Das Gästebuch mit dem roten Samteinband hat gelitten. Sein Rücken ist ebenso abhanden gekommen wie der Verschlussbügel. Der Goldschnitt der Seiten existiert noch, aber die Goldprägung auf dem textilen Einband lässt den Schriftzug VILLA MOSELLA 1901 nur noch erahnen. Auch das filigrane Golddekor an den Ecken des Buchdeckels bröckelt. Das Gästebuch aus dem Haus ihrer Großeltern ist genauso alt wie Bertha. Im März 1901 wird sie in Köln geboren und die Sommersaison 1901 ist die erste im neu erbauten Sommerhaus ihrer Großeltern im Kurort Spa in Belgien. Für den Bauherrn, Berthas Großvater Gabriel Loeser, ist es die erste und die einzige, er stirbt überraschend im Sommer 1902.
Clara Sander, Berthas Mutter, schreibt in ihren Erinnerungen: „Spa liegt an den Ausläufern der belgischen Ardennen. Wenn man frühmorgens das Fenster öffnete, ist die Luft voll vom Duft der Tannen und des Heidekrautes. Ich habe nie Worte finden können für den herrlichen Genuß dieser aromatischen Luft, wie es ja überhaupt unmöglich ist, Gerüche mit Worten zu beschreiben. […] Wir wurden ständige Kurgäste von Spa, bis 1900 in gemieteten Wohnungen und dann in der schönen Villa Mosella, die sich mein Vater bauen ließ und die er leider nur einen Sommer lang bewohnte. Meine Mutter behielt die Villa bis nach dem ersten Weltkrieg und ich war jeden Sommer mit meinen Kindern dort zu Gast.“
Muntere Reime
Der erste Gästebucheintrag überhaupt stammt aus dem Jahr 1901, Einträge der jungen Familie Sander aus Köln finden sich von 1903 bis 1913. Vater Gustav verewigt sich nur ein einziges Mal, da aber charmant.
„1906
Zu Mosellas schönen Hallen
hat es uns sehr gut gefallen:
Hier gibt es das beste Futter
Und die liebste Schwiegermutter.
Zum Andenken an die schönen Ferien von 1906
Gustav Sander“
Im Gästebuch wird, dem Zeitgeist entsprechend, munter gereimt, oft in Variationen eines gewissen Repertoires. Ein launiger bilingualer Eintrag eines Herrn Martin Rosenthal aus Wien steht auf einer der vorderen Seiten:
„Mosella du bis magnifique
In und um Dir ist alles chick
Deine