Quebec strich sich über den Schnurrbart. »Ich wette auch, aber dagegen. Das Wetter über dem Meer kann sich verteufelt schnell wenden.«
Kapitän Smith sah nicht so aus, als wäre er sehr erfreut über diese Wette. »Meine Herren«, begann er etwas steif, »die Sicherheit der Passagiere hier an Bord steht für die Crew immer an erster Stelle und ist nichts, worauf man wetten sollte.« Er warf einen strengen Blick zum Besitzer der Linie. »Wir versuchen natürlich wie immer nach besten Kräften, den Fahrplan einzuhalten, aber Garantien kann man mit einem Luftschiff eben nicht geben.«
»Aber mein lieber Kapitän Smith, das versteht sich doch von selbst. Allerdings ist Zeit immer auch Geld, das müssen wir natürlich ebenfalls bedenken. Ich bin mir sicher, das ist ihnen jederzeit bewusst, nicht wahr?« Russel Barker warf nun seinerseits dem Kapitän einen scharfen Blick über den Tisch hinweg zu.
Sollte es da etwa Spannungen geben? Becky nahm sich fest vor, mit den Angestellten und speziell mit dem Kapitän zu sprechen, bevor ihre Familie auch nur einen Pfennig hier investierte.
»Nun, mir ist es lieber, sicher und etwas später anzukommen, als gar nicht.« Rosemarie Kellermann hatte sich leise wie ein Mäuschen zu Wort gemeldet.
»Das versteht sich doch von selbst, meine liebe Misses Kellermann!« Barker knipste sein breitestes Lächeln an und strahlte damit in Richtung der farblosen Deutschen.
Der Kapitän sah so aus, als würde er gerne mehr dazu sagen, hatte jedoch nicht die Chance dazu. »Ah, sehen Sie nur, hier kommt auch schon der Hauptgang«, verkündete der Luftschifffahrtsbesitzer fröhlich und prostete den Kellnern zu, die die voll beladenen Teller brachten.
Damit schien das Thema beendet zu sein und das Gespräch splitterte sich in viele kleinere Unterhaltungen auf, während alle beherzt zugriffen. Becky unterhielt sich gerade mit Annett darüber, was sie in San Francisco unternommen hatten, als es plötzlich zu einem Tumult kam. Madame Silva war Mittelpunkt des anscheinend dramatischen Geschehens. Sie gestikulierte so wild in der Luft herum, dass einer ihrer weiten Ärmel beinahe das Tablett des Kellners erwischte. Er konnte es gerade noch recht unbeholfen mit der anderen Hand festhalten, bevor es Lord Conroy auf die Halbglatze rutschte.
»Oh nein, das kann ich nicht essen. Nein, nein und nochmal nein. Wie soll ich, jemand der über die Maßen sensibel für die Welt der Geister ist, ein totes Lebewesen zu mir nehmen können?« Mit einem Gesichtsausdruck, der echten Ekel verriet, lehnte sie sich zurück in ihrem Stuhl und atmete schwer. »Ich kann spüren, was für einen grauenvollen Tod diese unglückliche Kreatur hatte, ahnungslos hat sie ihr Leben gelebt und wurde dann brutal und sinnlos herausgerissen ... oh ... Blut strömt über die kleinen Äuglein ... nehmen Sie das weg von mir, bitte!«
Der Kapitän auf der einen und Conroy auf der anderen Seite versuchten Madame gleichzeitig Luft zuzufächeln, während der Kellner wiederum versuchte, zwischen dem allgemeinen Wedeln der Servietten nun den Teller abzuräumen, der vor dem Medium stand. Allerdings bekam er nur ständig eines der Stofftücher ins Gesicht geschlagen und schaffte es nicht, an den Teller zu gelangen.
Die beiden Kellermann-Kinder sahen so aus, als würden sie gleich in Lachen ausbrechen, während ihr Vater das Ganze überdeutlich als albernes Theater und unangemessene Störung des Dinners ansah.
Becky blickte hinunter auf ihren Teller, den sie gerade bekommen hatte. Es war erstklassiges Roastbeef, medium gebraten, ergänzt durch Rosmarinkartoffeln und grüne Bohnen. Ein zugegeben sehr britisches, aber durchaus gutes Essen, wie sie fand. Außerdem duftete es wunderbar. Das war zumindest ihre Meinung.
Quebec, Gentleman der er war, sprang nun ebenfalls auf und schaffte es, der Held der Stunde zu werden, indem er unter den wedelnden Stoffbahnen hindurch tauchte, den Teller ergriff und ihn dem inzwischen völlig entnervten Kellner in die Hand drückte.
Becky verfolgte das Geschehen gebannt und musste sich beim Anblick des entgeisterten Kellners ein Lachen verkneifen.
»Bitte Madame, der Teller wurde entfernt«, versuchte der Kapitän ein wenig hilflos, die aufgeregte Frau neben sich zu beruhigen.
Es war Frau Kellermann, die leise erklärte: »Sie verstehen das nicht. Das weiß doch wirklich jeder. Nein, Walther, lass mich«, fuhr sie trotz der wütenden Blicke ihres Mannes fort, »Madame isst nichts, was einmal eine Seele hatte. Sie ist reine Vegetarierin, weil sie den Schmerz des Todes spüren kann. Wussten Sie das denn nicht?«
Die Stimme der Gräfin durchschnitt das Chaos wie Sandpapier. »Jakob, wie konnte das passieren? Sie hatten doch den klaren Auftrag, die Küche der Demetrio darüber zu informieren, dass weder Madame Silva noch ich Fleisch zu uns nehmen. Sie sind wirklich zu nichts zu gebrauchen. Gehen Sie und klären Sie das!«
»Gräfin, ich werde das umgehend erledigen. Bitte entschuldigen Sie mich.« Mit einem bedauernden Blick auf sein eigenes Roastbeef erhob sich der Sekretär und folgte einem der Kellner in die Küche.
Auch Russel Barker stand auf. »Ich gehe ebenfalls und kümmere mich darum, dass so etwas nicht noch einmal passiert. Meine Damen.« Er neigte den Kopf und ging hinter Jakob Bleibtreu hinaus.
»Ich war mir nicht sicher ob der Sekretär kämpfen oder fliehen würde«, kommentierte Ben Truman die Szene gedämpft und wandte sich zu Annett. »Aber anscheinend ist ihm sein Leben lieber als sein Dinner.« Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Wie kann man etwas so Hervorragendes verschmähen?«
Becky sah sich den jungen Mann genauer an. Er wirkte wie jemand, der dem Leben offen und neugierig begegnete. »Ich glaube, wenn ich die Wahl zwischen der Gräfin und der Küche hätte, dann wäre sie genauso ausgefallen«, antwortete sie mit einem Lächeln.
Inzwischen hatte sich Madame Silva etwas erholt und erklärte nun mehr als ausführlich die Beweggründe für den Aufruhr. »Nein, wissen Sie, bevor ich meine Kräfte voll entwickelt habe, habe ich natürlich auch Fleisch gegessen wie jeder andere. Aber jetzt, wo ich so viel Schmerz spüre, wann immer ein Wesen stirbt, kann ich es einfach nicht über mich bringen. Und ich bin so froh, dass meine gute Freundin, Gräfin von Brauntroet, ebenso empfindet.«
»Wie könnte ich nicht, Madame, nachdem Sie mir die Augen geöffnet haben, für das, was hinter unseren kleinen Existenzen liegt.« Die Gräfin lächelte das Medium beinahe wohlwollend an.
»Oh, ich verstehe Sie ja so gut!«, warf Rosemarie Kellermann ein. »Ich verfolge Ihre Arbeit schon so lange, Madame Silva. Ich wünschte, ich hätte die Kraft mich ebenfalls dafür zu entscheiden und der internationalen Vegetarier-Union beizutreten, genau wie sie.«
Walther Kellermann schien nicht viel davon zu halten, auf Fleisch zu verzichten. »Schlag dir diesen Humbug besser aus dem Kopf! Du wärst ein schlechtes Vorbild für die Kinder, Rosemarie. Und ihr Kinder, fangt an zu essen, bevor es kalt wird. Wir haben es schließlich bezahlt. Du auch, Rosemarie!« Ehefrau und Kinder gehorchten, ohne zu widersprechen.
»Denk gar nicht erst daran«, gluckste Becky leise, als sie den Blick ihres Mannes sah. »Für so etwas hast du definitiv die Falsche geheiratet.«
»Und darüber bin ich mehr als froh«, erwiderte Miro.
»Ah, Madame, Gräfin, ich hoffe aber, dass Sie die Suppe genossen haben?« Becky sah die beiden unschuldig an und konnte fast spüren, wie Miro neben ihr die Augenbrauen hochzog.
»Oh ja«, beteuerte das Medium, »sie war hervorragend.« Auch die Gräfin nickte.
»So viel zu den überzeugten Vegetariern hier am Tisch«, sagte Becky leise zu ihrem Mann. Er sah sie fragend an. »Consommé ist Rinderbrühe. Man kocht ein Stück Rind inklusive Knochen«, erklärte Becky und zwinkerte ihm zu.
Miro lachte. »Und das weißt ausgerechnet du weil …?«
»Schon gut, auch wenn ich selbst nicht kochen kann, war ich immer gern in der Küche bei Mathilde. Sie hat mir armen Ritter gemacht. Und ich habe ihr zugesehen, wenn sie gekocht hat. Du siehst, in der Theorie kann ich also kochen!« Becky hoffte allerdings, dass sie diese Behauptung nie in die Praxis umsetzen musste.
»Das