So wird uns auch erzählt, wie Pakistan hier oben funktioniert, nämlich gar nicht. Die Macht hat der Familienclan und insbesondere das Oberhaupt, der Khan. Mit dem könnte man übrigens Jeep fahren. Er gehört zu dem illustren Grüppchen, welches Touris hochkarren darf.
Das alte Kashmir ist nun mal eine sehr besondere Zone, politisch gesehen. Die offizielle Meinung Pakistans ist, bei einer Wahl sollten sich die Bewohner dieses Landstriches für Pakistan oder Indien entscheiden. Bis dahin gehört Kashmir nirgends dazu. Die effektiv unter pakistanischer Verwaltung stehenden Zonen hängen also somit in der Luft. Gleichzeitig weigert sich Pakistan offizielle Provinzen auszurufen, weil dies die Teilung Kashmirs besiegeln würde. Dies führt nun zu dem Kuriosum, dass die pakistanischen Kashmiris im indischen Parlament einen Sitz frei hätten, im pakistanischen aber nicht. Da soll einer durchblicken ...
Die Bewohner des Tals deuten dies so, der Staat sitzt weit weg in Islamabad und hat nichts zu melden. Was sich zum Beispiel in dem Bau der abenteuerlichen Privatstraße als Zugang zum Tal äußerte. Die Macht des Clans geht soweit, dass selbst General Musharraf zu Fuß hoch laufen musste, weil sein Militär quasi keine Fahrerlaubnis für die Straße bekommen hatte. Ansonsten sind sie aber recht begeistert von ihrem Präsidenten. Der wurde eigentlich in Indien geboren und bekam dort neulich bei einem Staatsbesuch seine Geburtsurkunde ausgehändigt.
Erstaunt bin ich über das sehr große Umweltbewusstsein. Die Leute wissen genau, was sie an diesem Tal haben. Holz ist ein rares Gut in Pakistan und im Raikot-Tal gäbe es jede Menge davon. Damit könnte man schnelles Geld verdienen. Der natürliche Reichtum wäre damit unwiderruflich dahin, weswegen die Talbewohner alles tun, um sich vor Fremdeinfluss zu schützen. Sie setzen voll auf Öko-Tourismus, was aber in Zeiten von Terror und Gewalt eher schwierig ist. Man kann den Leuten nur viel Erfolg wünschen, in ihrem Bestreben, die Schönheit des Tales zu bewahren.
Zurück zum Lagerfeuer. Irgendwann zaubert jemand ein Keyboard hervor. Leider ist keiner der Anwesenden in der Runde befähigt, dieses Instrument gefällig zu spielen. Aber für diesen schlimmsten aller Fälle gibt es vorprogrammierte Songs. „Happy Birthday“ zum Beispiel. Das findet Anklang und so dudelt für den Rest des Abends „Happy Birthday“ in Endlosschleife aus der Kiste.
Am nächsten Tag fühlen wir uns soweit an die Höhe angepasst, um den Marsch ins Basislager zu wagen. Das liegt immerhin auf knapp 4000 Meter und es gilt einen kleinen Gletscherarm zu queren. Wir staunen nicht schlecht, mitten auf dem Eis eine Kuhherde samt Hirten anzutreffen. Er will seine Tiere auf die jenseitigen Weiden treiben, aber das eisige Etwas unter den Füssen behagt den Rindviechern nicht so sehr und sie geben sich störrisch. So werde ich kurzerhand als Aushilfskuhtreiber angeheuert, aber selbst dafür braucht man ein gewisses Basiswissen. Es hilft kein Bitten und Flehen, die Kuh will sich von mir nicht motivieren lassen, auch nur einen Zentimeter vorzurücken. Der Meister zeigt mir wie es geht, schnell hagelt es ein paar Steine und die Kuh marschiert. Rabiate Methoden sind das! Ob die auch bei störrischen Touristenherden zur Anwendung kommen? Nur die gehen eh freiwillig hoch und zahlen auch noch dafür. Seltsames Volk ...
Das Basislager ist der letzte grüne Fleck, bevor endgültig das ewige Eis die Bergflanken bedeckt. Eine tschechische Expedition ist anwesend, die Bergsteiger befinden sich aber gerade in einem der Hochlager und hoffen wohl, das schöne Wetter möge noch ein paar Tage andauern. Grüner Fleck ist eigentlich eine Beleidigung für die Wiese hier oben. Das Märchenschloss für jeden an Alpenflora Interessierten würde schon eher passen. Ein farbenprächtiges Blumenmeer, es ist unglaublich! Edelweiß ist bei uns leider mittlerweile eine ziemlich seltene Pflanze, hier wächst es myriadenfach und nimmt sich gegenüber den anderen mir unbekannten Gewächsen eher als Unkraut aus. Der Kontrast zwischen diesem Blütenmeer und der gleich dahinter liegenden Eisflanke des Nanga Parbat könnte nicht größer sein. Mitten drin eine Steinhütte mit dem Schild „Ideal Vice Hotel“. Die Rechtschreibreform greift hier voll, man schreibt, wie man es spricht. Egal, es gibt was zum Essen und man kann es sich auf einem Teppich mitten in der Wiese gemütlich machen, herrlich!
Für die folgenden Tage stecken wir uns noch höhere Ziel und wollen den Wander-Fünftausender der Gegend hier erklimmen, Jilipur Peak genannt. Ist schon unglaublich, in den Alpen wäre das der höchste, hier ist es gerade mal eine seichte Erhebung eines Gratausläufers des Nanga Parbats. Aus der Erklimmung dieses Gratzackens wird jedoch nichts, ein Tief macht sich breit und im strömenden Regen müssen wir von einem Hochlager den Rückzug antreten.
Wir packen also das watschelnasse Zelt ein und bewegen uns wieder gen Tal. Unseren Chauffeur hatten wir zwar erst für den nächsten Tag bestellt, aber ein vorausgehender einheimischer Guide regelt dies. Man muss mit demselben Fahrer wie hoch auch wieder runterfahren, sonst gibt es Ärger. Von der Raikot-Brücke können wir nach Gilgit zurück trampen. Für lau und mit köstlichen Weintrauben werden wir vom Fahrer auch noch versorgt. Wirklich nette Leute hier!
Karakorum-Highway
Oh Madina-Guesthouse, welch Oase! Wir lassen es uns abermals gut gehen, die Sonne scheint, die patschnassen Sachen trocknen auf der Leine. Es ist nun endgültig an der Zeit, die ersten Rad-Etappen vorzubereiten. Verpflegung muss her. Dazu ist Gilgit prinzipiell schon der richtige Ort, nur Einkaufen läuft hier anders als bei uns daheim. Supermarkt ist eher eine unbekannte Einrichtung. Die Jobmaschine in Asien heißt „eigener Laden“. Wenn man sonst nichts kann, verkauft man eben was und darin sind sie gut. So reiht sich im Bazar Laden an Laden, in denen man alles bekommt, was man für den täglichen Bedarf so benötigt, aber eben nur stückweise und so ist man doch ganz schön unterwegs, bis alles beisammen ist. Wir finden schließlich doch noch so was Ähnliches wie einen Supermarkt, der örtliche Großverkäufer quasi und in vertrauter Umgebung kauft es sich einfach schneller ein. Weil wir Europäer mögen zwar Uhren haben, aber die Zeit gehört anderen.
Wir schreiben den 9. August 2005. Ein historisches Datum, für uns zumindest. Unsere erste Radetappe steht an. Es kribbelt im Bauch, endlich können wir loslegen! Die lange Vorbereitung hat nun ein Ende, jetzt wird es ernst, vor uns Karakorum, China, Tibet. Wir kommen!
Zunächst aber bereitet es uns schon einige Probleme, auch nur aus Gilgit wieder rauszukommen. Die Hängebrücke über den Hunza-River hat es in sich, eine äußerst wackelige Holzkonstruktion. Heimtückisches Hindernis jenseits, ein Tunnel. Die Brücke bietet nur gerade so Platz für ein Fahrzeug. Zum Glück sieht man, ob jemand in den Tunnel einbiegt. Da die örtlichen Verkehrsregeln sich auf den Grundsatz reduzieren lassen, der mit der größeren Masse ist immer der Gewinner, Vorfahrt hin oder her, müssen wir einen Moment abpassen, in dem Brücke und Tunnel gleichzeitig frei sind, dann so schnell wie möglich hinüber zum Tunnel und durch diesen im Eiltempo hochtreten. Im Loch geht es zu allem Überfluss auch noch bergauf. Wir haben jedoch Glück, kein anderer beansprucht in diesem Moment die Flussüberquerung und so stehen wir schließlich keuchend jenseitig am anderen Ufer. Puh, über die Brücke das war wackelig. Ganz schön schwankende Angelegenheit, als ob man sich besoffen auf das Fahrrad schwingt.
Diese haben zwar noch nicht ihr volles Kampfgewicht erreicht, sind aber trotzdem schon ganz schön beladen. Als da wären, zwei vordere Gepäcktaschen mit Verpflegung, Töpfen und Benzinkocher. Hinten zwei Gepäcktaschen mit Kleidung, Zelt, Schlafsack, jeder Menge Werkzeug und Ersatzmaterial. Darüber spannen wir unseren Trekkingrucksack. Alles in allem mit Fahrrad so etwa vierzig Kilo. Für die härteren noch kommenden Etappen in Tibet verfügen wir über Bergschuhe zwecks besserer Isolation. Für den Moment genügen aber noch Turnschuhe.
Wenn ich daheim an unseren vier mal vier Meter breiten und drei Meter hohen Haufen an Habseligkeiten in der Scheune denke, ist es doch unglaublich, wie viel Zeug man so mit durchs Leben schleppt. Dabei würde doch eigentlich ein dicker Geldbeutel und etwas Wechselwäsche langen. Nun ja, ganz