Er stellt sich uns als Ali vor. „German, good people. American, British – no good!“. So einfach ist das für ihn. Weiter erzählt er uns von seinem Vater, dem hier in der Umgebung so gut wie alles gehört. Ein Familienbusiness also. Was Ali weiter noch so erzählt, hört sich für uns allerdings eher nach mafiösen Strukturen an, aber so läuft es hier wohl. Er betreibt das Internet-Cafe und hat eine Horde Angestellter, die Dokumente in alle möglichen Sprachen dieser Welt übersetzen können. Während er so im eher schlechten Englisch daherplaudert, dreht er sich einen Joint nach dem anderen und weiß natürlich, wo in der Stadt Wein, Whiskey und Bier aufzutreiben sind. Man könnte also nicht behaupten, dass er dem Laster abgeneigt wäre. Nur Heiraten geht nicht, weil viel zu teuer in Pakistan. Das Mitgift-System ist hier auch als mafiös zu bezeichnen und Wert sowie Qualität der Hochzeit bemessen sich an der Größe der Feier. Deswegen sollen wir in Deutschland nach einer Frau für ihn Ausschau halten. Er spekuliert wohl auf einen Preisnachlass. Hmm, ich frage mich, was er für ein Bild vom Westen hat?
Bettina und ich, wir sind natürlich verheiratet. Spontan bei Ankunft in diesem Land hatten wir entschlossen, uns seit sechs Monaten im sicheren Hafen der Ehe zu befinden. Damit wollen wir einige unangenehme Fragen und Situationen umschiffen und womöglich in irgendeinem Hotel nicht auch noch in getrennten Zimmern übernachten müssen. Gegenfrage kommt natürlich prompt, wo sind denn dann die Kinder? Ähmm ... nach nur sechs Monaten, so schnell ist Mutter Natur nicht.
Ali lädt uns für den nächsten Tag zu einer Tour in die Margalla Hills gleich hinter der Stadt ein. Die Chance lassen wir uns nicht entgehen und finden uns am nächsten Tag im Taxi mit Ali wieder. Sein Prachtauto, von dem er uns gestern noch so stolz erzählte, zog es bei der Heimfahrt in der Nacht unwiderstehlich gegen eine Wand und ist deswegen heute nicht einsatzbereit. So zumindest sein Ausrede.
Die Margalla Hills gleich nördlich am Stadtrand von Islamabad sind schon der erste Ausläufer des westlichen Himalajas und Teile davon wurden als Nationalpark ausgewiesen. An die 2000 Meter hoch bieten die dicht bewaldeten Hügel vor allem eines, Kühle! So strömen die Leute an freien Tagen in Scharen hoch, um der Hitze von Islamabad zu entkommen. Gerüchteweise soll hier sogar schon mal Schnee gelegen haben.
Was Ali nun so alles für den Tag geplant hat, wollte er uns nicht verraten. Ganz geheuer ist uns die Sache nicht, aber wir sind nun mal hier, um Abenteuer zu erleben. Jedenfalls zeigt er sich spendabel und besteht darauf, wir sind eingeladen. Er sucht wohl nur Gesellschaft. Sonntags sind die Geschäfte geschlossen und das kann für einen Single schon mal langweilig werden. Da ist es allemal besser, sich mit ein paar Westlern im Hinterland rumzutreiben. Zunächst einmal steht die Besichtigung seines Baugrundes für das zukünftige Haus an. Nette Hanglage, aber da bleibt noch viel zu tun. Die Leute sprechen in hier mit „Schah“ an, einem Ehrentitel für einflussreiche Personen. Irgendwie ergibt sich der Rest dann eher zufällig, aus dem kurzen Spaziergang in den Wald wird letztendlich eine ausgewachsene sechsstündige Wanderung zurück nach Islamabad. Wie aus dem Nichts findet sich noch ein Begleiter, „Musharaf“, dank seines Namens auch „Präsident“ genannt. Der derzeitige Militärmachthaber Pakistans heißt so. Er selber findet den Vergleich wohl am besten, immer wieder gibt er ein lautes „I am Musharaf – President of Pakistan“ von sich, um dann gleich in schallendes Gelächter ob dieses Kalauers auszubrechen. Die zwei sind Haschbrüder vor dem Herrn. Jeder der beiden dürfte den Tag über so an die 15 Joints geraucht haben. Auch hier ist das illegal, aber man gönnt sich ja sonst nichts. Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen, Bettina und ich sind in der Hinsicht absolute Abstinenzler. Aber wie soll man das jemandem klar machen, der mit jedem Zug mehr in eine Parallelwelt abgleitet.
Dank der zwei wird uns quasi uneingeschränkter Zugang zu all den Dörfern entlang des Weges gewährt. Wir dürfen überall rein, oder müssen viel mehr. Je nachdem wie man es nimmt. Im ersten Dorf gibt es ein „Lassi“. Kuhmilch, frisch gepresst, mit Butter. Nächste Station Tee und Kekse. So treiben wir die Akklimatisierung unserer Mägen an asiatische Verhältnisse im Eilschritt voran. Der Gusseisenmagen, den man sich mit jedem Schluck einredet, wird es schon aushalten.
Frauen halten sich meist versteckt, oder müssen den Raum verlassen, sobald wir antraben. Bettina bekommt trotzdem Zugang und sitzt anschließend zusammen mit mir in der Männerrunde. Keine Ahnung, was die islamischen Regeln für diesen Fall vorschreiben. Die Leute, welche wir auf diese Weise besuchen können, leben einfach. Lehmhütten dienen als Behausung. Jeder hat ein paar Kühe und Hühner. Viel anbauen lässt sich am Hang nicht und so versuchen sie, eher mit Weben und ähnlichen Handarbeiten über die Runden zu kommen. Andere wie Musharaf ergattern unten in Islamabad hin und wieder einen kleinen Job. Die Wanderung führt uns weiter durch dichte grüne Wälder. Mit jedem Schritt hinunter wird es heißer und alle sind wir schweißgebadet. Nur der inzwischen arg zugedröhnte Musharaf nicht, der breitet die Arme aus und fliegt ...
Für Abkühlung sorgen klare Bäche und schließlich in der Nähe einer Moschee im Grünen der obligatorische Coca-Cola-Stand. Bald erreichen wir wieder die Außenbereiche von Islamabad. Von der Hitze doch ziemlich erledigt, wollen wir eigentlich nur noch zurück ins Hotel. Aber wie den Fängen von Ali entgehen? Der besteht darauf, wir müssen unbedingt noch seine Stadtwohnung ansehen und mit ihm Abendessen. Ehe wir uns versehen, dürfen wir also seine Junggesellen-Residenz auch noch in Augenschein nehmen. Sagen wir mal so, der Fernseher nimmt eine sehr zentrale Rolle im Mobiliar ein und das ganze Haus scheint nur aus Schlafzimmern zu bestehen. Bald springt Ali im Unterhemd durch das Haus, was nun auch bei uns daheim vor Leuten, die man gerade erst kennengelernt hat, nicht gerade angebracht ist. Nach meinem Verständnis müsste so was in einem islamischen Land also völlig daneben sein.
„Look here, good muscle!“ so deutet er auf seinen Bizeps. „You will find good woman in Germany for me!“. Jaja Ali, lass gut sein. Schließlich begeben wir uns doch noch auf den Heimweg, aber für Bettina muss unbedingt noch ein Shalwar Kameez her. So in Hemd und Hosen kann sie nicht durch die Straßen dieses Landes laufen. Deswegen landen wir beim Stoffverkäufer, Männer-Business im Übrigen. Der Sohnemann darf ran, und die besten Stoffe Asiens gekonnt anpreisen. Die Leute sind hier eindeutig zum Verkaufen geboren! Ohne Handeln geht natürlich nichts, aber Schah Ali bekommt selbstverständlich einen Sonderpreis. Es ist inzwischen spätabends, doch der Schneider nimmt noch die Maße auf, und voila, bis morgen früh ist der Pyjama in Landestracht maßgeschneidert fertig. Jetzt aber, Bett, bitte! Doch Ali will uns immer noch nicht entlassen. Zum Glück erkennen wir die Gegend wieder und können uns daher Alis Ablenkungstaktiken zum Trotz in Richtung Hotel absetzen. Jedoch nicht ohne seinen Begleitschutz versteht sich. Die letzten Meter um die Ecke bis zum Hoteleingang will er aber partout nicht mitgehen. Standhaft weigert er sich, auch nur in Sichtweite des Hoteleingangs zu geraten. Ende der Einflusszone? Gefährliche Hood? Nein, schlimmer! Angeblich gehört das Ambassador einer Engländerin! Ist natürlich klar, da kann man schon mal seinen guten Ruf verlieren, wenn man vor so einem Establishment gesichtet wird.
Wir versinken schließlich doch noch im Bett, aus dem Fernseher dröhnt amerikanische Teufelsmusik mit halbnackten Weibern am Mikro. Irgendwie hatte ich mir Pakistan doch anders vorgestellt. Weit und breit keine Gotteskrieger und auf MTV schwingen knapp bekleidete Mädels ihre Hüften.
Ein Onkel in Deutschland
Islamabad ist heiß. Schon frühmorgens knallt die Sonne vom Firmament. Man sitzt einfach nur regungslos im Schatten und schwitzt. Da ist es schon sehenswert, wie ein Gehilfe für ein wenig extra Bakschisch unsere Räder auf dem Kopf balancierend auf das Busdach hievt. Wir wollen weiter in den Norden des Landes, nach Gilgit. Mit den Leuten ins Gespräch zu kommen gestaltet sich sehr einfach. Die meisten können Englisch und Ausländer sind eine willkommene Abwechslung zum Alltagstrott. Natürlich kennt jeder im Lande einen Verwandten, der im hintersten Winkel ein Hostel betreibt, wo wir unbedingt vorbeischauen müssen. So haben wir bald eine stattliche Sammlung von Visitenkarten beieinander, weil ohne die geht nichts. Sind alles „Businessmen“ hier!
Bettina