Wir nähern uns nun unaufhaltsam der chinesischen Grenze. Nach Passu ist das Gelände bis Sost eher angenehm zu radeln, bevor es dann zum Khunjerab Pass, dem mit 4730 Meter höchsten Punkt des Karakorum Highways noch mal mächtig bergauf geht. Dort befindet sich die Grenze zwischen China und Pakistan. Sost ist davon noch achtzig Kilometer entfernt, dennoch sind hier schon die Grenzformalitäten zu erledigen. Dementsprechend schaut die Stadt auch aus. Grenzstationen gleichen sich irgendwie auf der ganzen Welt, schmuddelig und anrüchig. Heruntergekommene Häuser, viele Märkte, zwielichtige Gestalten und es liegt immer ein Hauch von Glücksrittertum und Schmugglerei über der Stadt. Sost bildet da keine Ausnahme. Hier werden die von Pakistan kommenden Güter auf die schmucklosen chinesischen Laster umgeladen. Kein Vergleich zu den Prachtstücken der pakistanischen Kollegen. Für uns ist in Sost erst mal wieder Schluss mit Radfahren. Aus irgendeinem Grund sind die ersten hundert Kilometer bis Tashkurgan auf chinesischem Boden für Individualreisende gesperrt und für Radfahrer insbesondere. Wahrscheinlich aufgrund der Nähe zur afghanischen Grenze und der verstärkten Präsenz des chinesischen Militärs in der Gegend. Für uns bleibt da also nur die Möglichkeit, diesen Teil der Strecke mit dem Bus zurückzulegen. Ganz hartgesottene Kollegen radeln an einem Tag zum Pass hoch und wieder runter, um die Strecke gemacht zu haben. Darauf verzichten wir, Bergpässe erwarten uns wahrlich noch genug.
Unsere Visa für China hatten wir daheim in München schon besorgt, hier an der Grenze wäre das nicht möglich gewesen. Normalerweise gibt China nur Visa für einen Monat an Touristen aus. Für uns zu wenig, zu mal wir in den Regionen, in denen wir uns bewegen wollen, wohl nicht darauf hoffen können, eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Also mussten wir ein wenig in die Trickkiste greifen. Aber den Eindruck hatte ich noch öfter, die chinesische Bürokratie fordert das richtig heraus, meist mit Geld verbunden, umgangen zu werden. So gab ich auf dem Antragsformular eine politisch äußerst korrekte Route durch Rotchina an. Hongkong, Shanghai, Peking und natürlich die große Mauer nicht zu vergessen. Das Fahrrad erwähnte ich dabei nicht. Für so eine schöne Route benötigt man natürlich viel Zeit und bat daher um ein 90-Tage-Visa. Die Konsulat-Beamten fanden meine „geplante“ Route sehr begeisternd und so sind wir nun stolze Besitzer von Drei-Monats-Visa. Von all den tollen Highlights Rotchinas ist Sost aber denkbar weit entfernt und die genehmigte Route wird zum Glück im Visa nicht vermerkt.
Die steilen Meter zum Khunjerab Pass fahren sich im Bus äußerst entspannt. Die Straße windet sich eindrucksvoll durch enge Schluchten und ist dementsprechend ziemlich gefährlich angelegt. In der Regenzeit geht hier ein Bergrutsch nach dem anderen ab, der dann zur Trockenzeit wieder weggeschaufelt werden muss. Die Kurven sind unübersichtlich und so sehen wir doch erschreckend viele Lastwägen unten im Fluss vor sich hinrosten.
Die Gegend um den Khunjerab Pass wurde zum Nationalpark erklärt, hier streunen noch die bei Trophäensammlern so begehrten Marco-Polo-Schafe mit ihren riesigen gewundenen Hörnern umher, sowie Schneeleoparden. Touristen müssen Eintritt bezahlen, auch wenn sie nur auf der Durchreise sind. Wenn es der Erhaltung dieser einmaligen Tierwelt dient, soll es uns recht sein. Die Ranger führen uns stolz ein nur wenige Monate altes Schneeleoparden-Kätzchen vor, welches sie mutterlos aufgefunden hatten. Für den Moment noch so groß wie eine ausgewachsene Hauskatze und sehr verspielt.
Im Bus trifft sich die altbekannte Reisegesellschaft wieder. All die Leute, die wir auch die letzten Tage immer wieder in den Hostels getroffen hatten, sind auch hier am Start. Man fühlt sich von der Stimmung her glatt auf eine beliebige Kaffeefahrt durch die Alpen versetzt. So geht die Fahrt immer bergauf. Das Wetter wird immer schlechter, links und rechts kommen abermals Gletscher in Sicht. Auf Passhöhe schneit es. Vor uns ein Stacheldrahtverhau, quer durch das ganze Tal. Die Grenze zu China!
Kapitel 2 - China - Xinjiang
Aksai-Chin-Plateau an der Grenze zu Indien
Orientalisches Märchen
Endlich liegen wir in Tashkurgan im Bett. Traffic Hotel, das einzige mit englischem Schild vor der Tür und Personal, welches Englisch auch spricht. Ab nun dürfen wir uns als Analphabeten fühlen. Chinesisch ist an sich schon schwierig genug, aber all die fremdartigen Schriftzeichen! Für jedes Wort ein eigenes. Da ist man als Urlauber chancenlos. Die wichtigsten überhaupt hatten wir uns jedoch vorsorglich schon daheim ausgeguckt, nämlich die für die Toilette!
Als wir Stunden zuvor die chinesische Grenze überschritten, waren wir erst mal geschockt. Die Chinesen hatten quasi den ganzen Karakorum Highway pulverisiert und machten sich nun an die Arbeit, die Straße wiederherzustellen. Neuer und größer versteht sich. Für den Moment glich das alles einem steinigen Feldweg. Erlaubten die Chinesen Fahrradfahrern im Moment allein zu deren Selbstschutz das Radeln nicht? Soviel Güte traue ich den chinesischen Beamten dann doch nicht zu. Wie auch immer, wir konnten das Ganze zunächst relativ entspannt aus dem Bus begutachten. Relativ, weil bei so einer Fahrt über eine Holperpiste wird man auch im Bus noch mächtig durchgeschüttelt. An der Grenze war ein chinesischer Soldat zugestiegen, der darüber wachte, dass ja kein Insasse bis zur offiziellen Grenzstation in Tashkurgan abtrünnig wurde.
Die Berge neben der Straße gehören bereits zum Pamir. Yurten verteilten sich über die Wiesen. Hier leben Tajiken, ein Nomadenvolk. China ist ein Vielvölkerstaat und wir sollten während dieser Reise noch viele Minderheiten kennenlernen. Hier im äußersten Westen des riesigen Reiches ist Peking weit, dennoch erstaunlich, wie die Chinesen es schaffen, so viele unterschiedliche Kulturen unter ihrer Knute zu halten. Die Vorzüge des Systems können es bestimmt nicht sein. Zu auffällig die Militärpräsenz. Die sozialistische Erleuchtung will sich einfach nicht von selbst einstellen. Also her mit den Daumenschrauben ...
Den Erstkontakt mit chinesischen Beamten galt es bei der Einreise zu überstehen. Insgesamt fünf Stationen mussten bestanden werden. Die Beamten zeigten sich freundlich aber sehr bestimmt. Der Befehlston überwog. Rucksäcke wurden inspiziert und immer wieder der Pass. Dreimal musste ich probehalber auf einem Papier unterschreiben, bevor der Vergleich mit dem Pass als überzeugend befunden wurde. Aber letztendlich überstanden wir diese erste große Hürde unserer Reise. Wir sind in China, real und legal durch die Hintertür. Und jetzt da wir schon mal hier sind, kann man mal über das reden, was wir da eigentlich so vorhaben. Nämlich nach Lhasa, von Kashgar aus quer durch Westtibet radeln. Auf dem Weg liegt unter anderem ein zwischen Indern und Chinesen umstrittenes Gebiet. Tibet ist für Individualtouristen offiziell immer noch tabu. Ausländische Besucher haben in betreuten Gruppen zu erscheinen und möglichst über Lhasa einzufliegen. Durch Westtibet und mit dem Fahrrad kann also nicht gerade als rechtmäßig bezeichnet werden, um es vorsichtig auszudrücken. Im Internet kursieren dementsprechend viele wilde Geschichten über Checkpoints, Polizisten und zurückgeschickte Fahrradfahrer. Bis vor einiger Zeit mussten Checkpoints abenteuerlich nachts umgangen werden, um überhaupt eine Chance zu haben und es konnte einem immer noch passieren, ganz banal von der Ausländer-Polizei, dem PSB, von der Straße aufgesammelt zu werden. Also nichts an die große Glocke hängen und immer schön vorsichtig!
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