Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen. Elke Bulenda. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Bulenda
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745030990
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Kopf!

      Ich vernahm, wie jemand erstaunt die Luft einzog. Und derjenige war niemand anderer als ich selbst, da mir gewahr wurde, was soeben geschehen war. Hätte ich nur ein bisschen tiefer gezielt, würde in Galateas hübscher Stirn ein Messer stecken. Wie konnte ich mich nur so verschätzen? Dem Publikum hingegen gefiel dieser Trick und die Schöne verteilte unbesorgt die Apfelhälften an zwei der johlenden Zuschauer. Und nun neigte sich die Darbietung ihrem Höhepunkt entgegen. Galatea verbeugte sich in Richtung des Publikums. Dann nahm sie ihre Position an der Holzwand ein. Obwohl ich mit Bento diese Nummer schon etliche Male aufgeführt hatte, bekam ich beinahe weiche Knie, denn diese Situation war doch ein wenig ungewohnt für mich. Mein Vater sah mir zu, und zugleich bot sich die in meinen Augen kostbare Galatea für diese Vorführung an. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht die Nerven zu verlieren. Bis die Gute jedoch so weit war, nutzte ich die Zeit, um ein wenig bewusster zum atmen. Ich redete mir zusätzlich ein, wir beide wären gänzlich allein und Bento stünde an ihrer statt vor der Holzkulisse. Ja, so klappte es dann einigermaßen. Ich atmete noch einmal tief durch und beim Ausatmen sausten dann die Messer um die Silhouette der Schönen herum. Beim letzten Messer sah ich, wie Galatea mit den Augen zuckte und die Lippen bewegte. Doch sie überspielte diesen Fauxpas, indem sie von der Wand Abstand nahm und lächelnd zu mir zeigte, zum Zeichen dafür, dass das Publikum jetzt applaudieren durfte. Sie wirkte dabei, wie ein Dirigent, der sein Orchester voll und ganz beherrschte, denn die Anwesenden reagierten sogleich auf ihre Geste und klatschten. Wahrscheinlich war ich der Einzige im Raum, dem es auffiel, wie eine kleine rote Linie Galateas Handgelenk herunter wanderte und einen Bluttropfen auf dem Boden hinterließ. Galatea bemerkte dies und leckte kurz an ihrem Handgelenk, als sie die Kulisse abbaute und mit sich nahm.

      Schnell verbeugte ich mich brav und verließ mit Galatea die provisorische Bühne. Bento zeigte derweil mit Luigi Akrobatik, indem er den Hünen als Sprungbrett und Werfer benutzte. Eigentlich sollte ich in diese Nummer längst einsteigen, doch ich folgte stattdessen lieber Galatea.

      »Galatea? Entschuldige. Es tut mir so leid, ich habe dich mit dem Messer verletzt! Das wollte ich nicht. Niemals würde ich dir ein Leid antun!«, gab ich mich bekümmert.

      »Bitte?«, fragte sie. »Nein, du hast mich nicht getroffen!«, behauptete sie unterdessen.

      »Doch! Ich habe selbst gesehen, wie du am Handgelenk geblutet hast!«, beteuerte ich voller Reue.

      »Nein, Ragnor. Wie kommst du darauf? Mir ist nichts passiert. Da musst du dich geirrt haben«, wiegelte sie ab.

      »Und was ist das?« Dreist hob ich ihre linke Hand an, um ihr zu beweisen, dass ich mich nicht irrte. Doch, was war das? Statt eines Schnittes, sah ich rein gar nichts, außer ihre weiße, unversehrte Haut.

      »Das, mein Lieber, ist mein linkes Handgelenk. Gib es zu, du wolltest nur wieder meine Hand halten«, lächelte Galatea reizend. »Mach dir meinetwegen keine Sorgen. Geh! Du verpasst sonst deinen Einsatz. Ach ja, Bento sagte, du sollst, während die Nummer läuft, auf den Wagenrad-Leuchter klettern und dort kopfüber herunterbaumeln. Alles klar?«, fragte sie, schaute mich ernst an und richtete mir das Kostüm.

      »In Ordnung. Trotzdem bin ich ein wenig verwirrt, weil ich glaubte, du hättest am Handgelenk geblutet«, sagte ich und trollte mich, um Bento nicht zu verärgern.

      Rad schlagend gesellte ich mich zur Truppe und wir führten unsere Ergötzlichkeiten auf wie gewohnt. Zuletzt stemmte Luigi die Beine fest gen Boden, machte für Bento eine Räuberleiter, die dieser dafür nutzte, einen Salto zu machen und damit auf Luigis Schultern zu landen. Danach war ich an der Reihe, machte meinen Salto, um auf Bentos Schultern meinen Halt zu finden. Luigi ging ein paar Schritte, damit ich an den Leuchter herankam, auf den ich kletterte, ein wenig auf ihm herum schaukelte und mich mit den Beinen kopfüber einhakte und so an ihm herabbaumelte. Allerdings war es nicht abgemacht, mich dort oben zu lassen. Offensichtlich hatte weder Luigi, noch Bento Lust, mich von dort wieder herunterzuholen.

      »Hey!«, sagte ich. »Habt ihr mich vergessen?«

      »Pssst! Der Krümel sollte schweigen, wenn der Kuchen redet!«, winkte der Possenreißer ab, der jetzt ein paar Schritte auf meinen Vater zuging, der sich sicherlich noch immer fragte, was der kleine Kerl dort oben auf dem Leuchter trieb. »Werter Herr!«, machte Bento eine tiefe und ebenso elegante Verbeugung. »Versprecht mir, diesen Burschen dort oben nicht zu bestrafen. Versprich es mir. Er ist ein guter Junge und auf dem besten Wege, ein hervorragender Artist zu werden.«

      »Versprich mir, ihn nicht zu bestrafen!«, bettelte jetzt seine Marotte zunehmend theatralisch, was bei meinem Vater ein irritiertes Stirnrunzeln hervorrief, welches wiederum dafür sorgte, dass seine Augenklappe schief saß.

      »Was soll das? Weshalb sollte ich ihn bestrafen?«, fragte er belustigt.

      »Oh, er ist ungezogen, weil er nie das tut, was man ihm sagt!«, scherzte Alter Ego. »Versprich es!«, bettelte er.

      »Na, schön. Ich verspreche, diesen Jungen nicht zu betrafen«, sagte mein Vater, der das wahrscheinlich alles nur für eine harmloses Posse hielt.

      »Ach ja, übrigens, er gehört dir, Herr!«, sagte die Marotte mit zuckersüßer Stimme.

      »Was soll ich mit diesem Burschen anfangen? Ich habe genug Personal und brauche keinen hüpfenden Sklaven, und erst recht keinen, der mit unserem Besteck herumwirft«, meinte Skryrmir amüsiert.

      »Na gut. Wenn du ihn nicht willst, dann bring ihn deiner Frau mit. Ich bin mir sicher, sie will ihn bestimmt haben!«, schlug die Marotte vor.

      »Hör mal, Narr. Was soll meine Frau Gemahlin mit diesem Jungen anfangen?«

      »Keine Ahnung, das hättet ihr euch viel früher fragen sollen. Ich sagte doch bereits, dass das deiner ist!«, kicherte Alter Ego.

      »Rutger, lass den Leuchter herab!«, befahl Skryrmir, dem diese ganze Geschichte ein wenig zu bunt wurde.

      Rutger tat wie ihm befohlen und gemeinsam mit Luigi löste er das Seil, welches den Leuchter hielt. Langsam ließen sie mich herab, damit ich vor meinen Vater treten konnte.

      Wie ein Büßer neigte ich meinen Kopf.

      »Wie heißt du, Bengel?«, wollte er wissen und beobachtete die beiden Wolfshunde, die sofort wedelnd auf mich zukamen.

      »Ragnor«, sagte ich und nahm die Narrenkappe ab. Mein unverkennbar dunkelrotes Haar fiel auf meine Schultern herab. »Bitte sei nicht böse auf mich, Papa!«, bat ich, während im Saal Unruhe ausbrach, was ich nicht verstand.

      Sätze wie: »Er lebt!«, und: »Wie ist das möglich?!«, ertönten um mich herum. Das Murmeln und Brummen füllte den Saal.

      Mein Vater dagegen wirkte seltsam blass. Zum ersten Mal hatte ich keine Angst vor der Bestrafung, sondern dass er möglicherweise tot von seinem Stuhl sinken könnte.

      »Papa? Was ist denn? Bist du etwa doch böse auf mich?«, fragte ich verwirrt, weil er noch immer nichts sagte.

      Dann schien er plötzlich wie aus einer Trance zu erwachen, stand auf, ging um die Tafel und streckte die Arme aus. »Komm her!« Er nahm mich in die Arme. »Mein kleiner Sohn! Bei Odin, dies ist ein Wunder! Wir hielten dich für tot!«

      Während er mich innig umarmte, sah ich beschämt zu Boden und entdeckte dort einen geronnenen Tropfen Blut.

      *

      Zum König oder zum Narren muss man geboren sein.

      (Lucius Annaeus Seneca)

      Mein Sohn kratzte sich verwundert den Lockenkopf. »Okay, ich habe eigentlich jede andere Reaktion erwartet, nur nicht so eine dermaßen sentimentale Szene. Wieso war dein Vater derart emotional aufgewühlt? Du siehst mich ernsthaft verwirrt. Und warum glaubte er, du seist angeblich tot?«

      »Wenn ich diese Reaktion von dir bekomme, kann ich wirklich sicher sein, dass du mir gut zugehört hast. Ich werde dir erläutern, weshalb mein Vater so überzogen reagierte.«

      Dieser spontane Gefühlsausbruch war mir enorm peinlich, schon mal er mich »Mein kleiner Sohn« nannte,