Als Pommerle am nächsten Tage aus der Schule kam, überreichte ihr die Mutter einen Brief. »Der Jule schreibt schon wieder, Pommerle. Merkwürdig, wie fleißig unser junger Tischler im Briefschreiben geworden ist.«
Pommerle drückte zunächst den blauen Umschlag zärtlich ans Herz, dann riß sie ihn ungestüm auf. »Wollen mal schauen, was er wieder will!«
Das erste, was ihr entgegenleuchtete, war ein großer Tintenfleck. »Ohne den geht es nun einmal nicht«, lachte das junge Mädchen. »Auch im vorigen Brief war solch ein schwarzer Gruß. – Der Jule ist ein liebes Ferkel. Doch das wird ihm seine Appi schon noch abgewöhnen.«
»In seiner Facharbeit ist er sehr sauber und ordentlich, mein liebes Kind.«
»Ja«, entgegnete Pommerle mit leuchtenden Augen. »Ich glaube, er ist einer der besten Tischler, die es gibt. Meister Rispe hätte ihm sonst niemals seine Tochter gegeben.«
»Vorgestern hat dich der Jule zu seiner Hochzeit eingeladen; vielleicht widerruft er heute die Einladung.«
»Mütterchen – nur das nicht! Ich freue mich schon schrecklich auf den achtundzwanzigsten Dezember!«
Dann beugte sich Pommerle über den Brief und las. Mitunter ließ sie lautes Lachen hören, so daß Frau Bender fragte: »Was will er denn, der gute Jule?«
»Imponieren will er seiner Appi, darum hat er angefangen, englisch zu lernen. Er schreibt aber alles falsch. – Sieh mal, Mütterchen: ›Dir Pommerle! Ich muß dir heute etwas wichtiges mitteilen. Mei homo ist mei Kästel. Das zuerst als Mitteilung! Nun weiter: Dir Pommerle! Ich werde jetzt bald vor dem Standesamt aufgehenkt und bleibe dort drei Wochen hängen. Dann nimmt man mich herein und ich bin zum heiraten fertig. Jeder Verlobte muß so gehenkt werden, damit nicht einer mit Ansprüchen kommt und ihn wegen früher heiraten will. Du hast doch gesagt, du willst mir nur Freundin und Schwester sein. Aber deswegen frage ich tu day noch einmal an, ehe ich aufgehenkt werde. Meine Appi hat schon eine schöne Aussteuher und mein Meister ist noch glücklicher, weil er einen so tüchtigen Schwiegersohn kriecht. Also, Dir Pommerle, am achtundzwanzigsten Dezember. Verwexle den Tag nicht! Wegen deiner dummen Schule habe ich meinen Freudentag verschieben müssen, sonst könnte Appi schon Miss Kretschmer sein. Aber nun muß sie bis zu deinen Ferien warten. Schreibe sofort, ob du wirklich nicht daran denkst, daß du einst meine Frau werden wolltest, denn ich will mich hengen sehen! Ich habe englisch gelernt, weil mei homo ist mei Kästel werden soll! Appi kann auch englisch. Vielleicht machen wir unsere Hochzeitsreise deswegen nach Italien. – I love you. Dein Jule!‹«
»Für Italien wird ja sein Englisch reichen«, lachte Frau Bender. »Jule, Jule, du bist und bleibst der alte treuherzige, liebe, dumme Junge!«
»Halt, Mütterchen, hier steht noch etwas an der Seite!«
»So lies es vor, Pommerle.«
»Möge dir, my Dir Pommerle, in der Andreasnacht der Herzallerliebste erscheinen, damit du keine Seelenkwal hast, wenn du an mich und mein Mäuschen Appi denkst. Schreibe bald wegen dem Gehenke.«
»Dummer Jule, brauchst wirklich nicht in Sorgen zu sein, kannst ruhig deine Appi heiraten, kannst ruhig drei Wochen vor dem Standesamt aufgehängt werden! Sag, Mütterchen, wie ist denn das mit der Andreasnacht? Ich habe schon einmal davon gehört. Wann ist sie?«
»Die Nacht vom neunundzwanzigsten zum dreißigsten November. Der Volksglaube behauptet, daß in dieser Nacht den jungen Mädchen und Burschen im Traum derjenige erscheint, mit dem sie später zum Altar gehen werden. Wir haben hier in Schlesien viele alte Sitten und Gebräuche, aber auch viel Aberglauben; dazu gehört die Andreasnacht.«
»Na, ich glaube, mir wird keiner im Traum erscheinen. Ich träume fast nie etwas.«
»Mit deinen sechzehn Jahren hast du auch noch Zeit, mein Pommerle.«
»Schöne Sitten und Bräuche haben wir in Schlesien! – Mütterchen, weißt du noch, wie wir im Frühling, am Sonntag Lätare, zum Sommersingen gingen?«
»Ja, mein Kind!«
»Im nächsten Jahre machen wir es wieder, es war gar zu ulkig! Daß aber der Jule seine Hochzeitsreise bis nach Italien machen will, freut mich wirklich! Ich habe schon die Schweiz gesehen, dort hat es mir sehr gefallen. Wie wird er erst in Italien staunen.«
»An Italien glaube ich noch nicht recht. Der Jule wird wohl eher, wie er dir in einem der letzten Briefe schrieb, mit seiner Appi nach dem Riesengebirge fahren.«
»Das soll er nur machen, hier ist es ja so schön, Mütterchen, und nun erzähle mir noch mehr von der Andreasnacht.«
»Es werden am Andreasabend und in der Nacht allerhand übermütige Streiche getrieben. Leider gibt es noch viele törichte Menschen, die sich einbilden, daß die Andreasnacht voller Zauber sei, daß man in dieser Nacht einen Blick in die Zukunft werfen könne. Ich erinnere mich, daß ich als junges Mädchen mit meinen Freundinnen am Andreasabend in verschiedene Gehöfte ging. Wir klopften an die Tür des Hühnerstalles und riefen unsere Namen. Meldete sich zuerst der Hahn, so machte man innerhalb der nächsten zwölf Monate Hochzeit; meldete sich erst die Hähne, blieb man noch ledig. Nun wollten wir natürlich wissen, in welchem Monat man eine junge Frau werden würde. Wir schnitten eine Zwiebel in zwölf Stücke und legten sie der Reihe nach hin; jedes Stück bedeutete einen Monat. Dann wurde Salz darauf gestreut, und derjenige Monat, auf dessen Stück das Salz besonders feucht wurde, war der Hochzeitsmonat.«
»Mütterchen, ist alles richtig eingetroffen?«
»Bei mir zufälligerweise, ja. Aber das besagt natürlich nicht …«
»Da ist vielleicht doch etwas Wahres an dem Zauber der Andreasnacht?«
»Aber Pommerle! – Das könnte wohl der Jule glauben, der heute noch auf den Berggeist Rübezahl schwört, aber du brauchst diese törichten Dinge wirklich nicht zu glauben.«
»Na – ich könnte doch auch mal am Andreasabend an die Türen des Hühnerstalls klopfen.«
»Mit siebzehn Jahren würden wir dich noch nicht heiraten lassen, mein liebes Kind. Vor dir liegen noch zahlreiche Pflichten, die du zu erfüllen hast.«
»Hast recht, Mütterchen – es war ja nur ein Spaß. – Aber klopfen könnte ich deshalb doch einmal gehen!«
»Meinetwegen – wenn es dir Spaß macht, so geh und klopfe!«
Am Nachmittag schrieb Pommerle dem Jule einen beruhigenden Brief. Er brauche nichts zu fürchten, sie bliebe ihm eine Freundin bis ans Lebensende, sie freue sich, daß er seine liebe Appi bekomme und würde den achtundzwanzigsten Dezember nicht vergessen. Sie habe schon lange ausgerechnet, wie viele Tage noch vergehen würden, bis sie ihren Jule wiedersehe.
»Englisch brauchst Du aber nicht für Italien, mein lieber Jule. Es müßte denn sein, daß Du Deine Hochzeitsreise nach England oder Amerika machen willst. Doch müßtest Du bis dahin noch sehr viel lernen, denn ich habe in Deinem Englisch manchen Fehler gefunden. Befasse Dich lieber mehr mit der deutschen Sprache, damit Dir das Briefschreiben keine Qual wird, damit Du Dich vergnügt vor dem Standesamt hängen siehst. ›Hängen‹, lieber Jule! Sonst hat mir Dein Brief sehr viel Freude gemacht. Immer in Liebe Dein getreues Pommerle.«
Am nächsten Tage mußte Pommerle natürlich von der Andreasnacht in der Schule erzählen. »Heute haben wir den achtundzwanzigsten November. Es wäre also morgen, daß uns der Herzallerliebste erschiene«, rief Ilse Torlege.
»Ich weiß das alles schon lange«, ergänzte Wanda Horgitt. »Ich habe schon im vorigen Jahre den Andreasspruch gesagt; leider ist mir im Traume niemand erschienen. Darum bin ich noch ledig.«
»Menschenskind«, schrie Karin, »willst du etwa mit fünfzehn Jahren schon ’ne Ehefrau werden? Das wäre ja ein Unsinn! – Aber sag uns mal den Spruch!«
»Am Abend, ehe man ins Bett steigt, muß man das Sprüchlein sagen. Dreimal nacheinander, sonst