»Ich wollte den Enrico eigentlich für mich behalten. Du kannst meinen Bruder haben, für den schwärmst du doch auch.«
»Freilich – aber Enrico Madeni klingt besser als Herbert Torlege.«
»Last mir den Enrico, Karin. Wenn du aber meines Bruders überdrüssig bist, bekommst du den Scheitelaffen.«
»Wen?« fragte Pommerle.
»Ich wollte ja nicht, daß der Scheitelaffe und das Stinktier eingeladen werden. Aber Vater meinte, er müsse es tun. Na, wir brauchen uns ja um beide nicht zu bekümmern. Es sind noch genug andere junge Mädchen vorhanden, zu denen die beiden passen.«
»Wer sind denn Scheitelaffe und Stinktier?«
»Zwei Ingenieure aus der Fabrik. Der Scheitelaffe heißt eigentlich Doktor Alfons Versen. Er ist ein eitler Mensch, trägt die Haare in der Mitte gescheitelt. Tagsüber soll er sich drei- oder viermal den Scheitel neu ziehen. So nannte man ihn den Scheitelaffen.«
»Und das Stinktier, Ilse?«
Karin lachte übermütig. »Den kenne ich auch schon. Er bespritzt sich täglich mehrmals mit Wohlgerüchen. Das ist der Lorenz Brunner. Sonst ein netter Mensch, aber er stinkt eben immer nach Veilchen, Maiglöckchen …«
»Veilchen oder Maiglöckchen stinken nicht«, fiel Pommerle ein, »sie haben einen süßen Duft.«
»Na, da haben wir ja einen Tänzer für dich, Pommerle. Brauchst nur von Maske zu Maske zu gehen und zu riechen. Derjenige, der nach Wohlgerüchen stinkt, ist Ingenieur Lorenz Brunner.«
»Kannst dich ruhig in ihn verlieben, Pommerle, damit du auch mal was fürs Herz hast.«
»Das brauche ich nicht! Aber auf den Maskenball freue ich mich furchtbar. Noch nie habe ich einen Maskenball mitgemacht. Und die Eltern müssen auch maskiert erscheinen?«
»Alle dreißig Geladenen! Sonst wird keiner hereingelassen.«
»Da werde ich für Väterli und Mütterchen etwas Schönes ausdenken.«
»Unsinn, Pommerle«, tadelte Ilse, »du darfst die Maskenkleider deiner Eltern auch nicht kennen. Es macht viel mehr Spaß, wenn man seine Angehörigen sucht.«
»Dann sage ich auch nicht, als was ich gehe!«
»Nein, das muß strengstes Geheimnis bleiben!«
»Ja – dann kann ich mir doch das Kleid nicht zu Weihnachten wünschen.«
»Das brauchst du auch nicht. Du läßt dir ein Kleid außer dem Hause nähen, ziehst es dann heimlich an.«
»Herrlich, herrlich«, jubelte Pommerle. »Ilse, das ist wirklich eine große Freude, die uns wieder bevorsteht! Erst die Hochzeit des Jule, Ende Dezember. Kaum ist diese Freude ein wenig verklungen, bimmelt schon wieder eine neue: der Maskenball!«
»Wir werden schon unseren Spaß haben! – Ich sage euch ganz bestimmt nicht, was ich für ein Kleid wähle.«
So kamen die drei Freundinnen überein, die Vorbereitungen zu dem Maskenball mit aller Heimlichkeit zu betreiben. Den Eltern würden sie es freilich schon heute sagen, daß bei Fabrikbesitzer Torlege Anfang Januar ein solches Fest stattfände, zu dem dreißig Personen geladen waren.
Pommerle konnte heute das Ende des Unterrichts kaum erwarten. Dutzende von Maskenkleidern tauchten vor ihrem Geiste auf. – Als was sollte sie gehen?
Karin Rauke flüsterte Pommerle auf dem Heimwege zu: »Ich verrate zwar nicht, als was ich gehe, aber ich weiß es schon! Enrico Madeni ist Grieche, ich glaube, er wird sich einer schönen Griechin zuerst nähern.«
»Nun weiß ich ja, als was du gehst.«
Karin schlug sich mit der Hand auf den Mund. »Ach, ich bin ein Dusel! Aber schwöre mir, Pommerle, daß du mich nicht verraten wirst. Weißt du, ich schwärme für Enrico Madeni! Ich fühle schon heute, daß er schicksalhaft in mein Leben eingreift.«
»Rede keinen Unsinn, Karin – du kennst ihn ja noch nicht!«
»Aber ich werde ihn kennenlernen. Du weißt, in der Schule habe ich von jeher für griechische Helden geschwärmt. Für diese schönen, gertenschlanken Männer mit den melancholischen Augen und der melodischen Stimme. Es wird ein wunderbares Fest werden!«
Pommerle hatte das Haus der Eltern erreicht. Schon als sie durch den Vorgarten eilte, ließ sie ihre ›Fanfare‹ ertönen. Es war eine Tonleiter aufwärts und abwärts.
Professor Bender hörte das Signal und schmunzelte. Sein Liebling schien wieder in recht froher Stimmung zu sein. Natürlich, die Einladung zu Jules Hochzeit wirkte wohl noch nach. Da stand Pommerle auch schon in seinem Zimmer. »Väterli – die Freuden werden eimerweise über mich ausgeschüttet! – Denke mal, wir gehen alle zum Maskenball!«
Stürmisch umschlang das junge Mädchen den Vater. Zärtlich erwiderte Bender die Liebkosungen der vor zehn Jahren von ihm angenommenen Tochter. Noch zu keiner Stunde hatte er es bereut, dieses prächtige Mädchen an Kindesstatt angenommen zu haben. Pommerle brachte Freude und Sonne in sein Haus, das sonst wahrscheinlich recht still gewesen wäre.
»Also eimerweise schüttet man die Freuden über dich aus?«
»Ja, Väterli! Ich freue mich auf die Hochzeit, freue mich auf den Maskenball! Ich werde noch ganz übersättigt werden!«
»Nach den Freuden kommen dann Pflichten und Arbeit, Pommerle.«
»Ja – Versetzung und Schulabgang, dann das Pflichtjahr – dann meine Lehrzeit als Gärtnerin. Ich finde, das sind auch Freuden, Väterli. Meinst du nicht?«
»Ja, Pommerle, wenn man treue Pflichterfüllung für Freude ansieht, ist es gut. Dann wird auch die schwerste Arbeit leicht. – Und nun sage mir endlich – was ist das für ein Maskenball?«
»Bei Fabrikbesitzer Torlege in der Villa«, sprudelte es heraus. »Dreißig Menschen werden eingeladen. Ihr und ich, Karin Rauke mit den Eltern, dann kommen die beiden Brüder der Ilse, die Studenten, der Bürgermeister, Direktor Monno und andere Leute, die wir auch kennen, und dann noch ein Grieche. Es soll ein fabelhafter Mann sein, schlank wie ’ne Tanne, mit schwarzen großen Sternenaugen und … hahaha, Väterli, der Scheitelaffe und das Stinktier!«
»Pommerle!«
»Stinktier klingt etwas gewöhnlich. Sagen wir: der Skunks! Weil er sich mit allerlei Wohlgerüchen einschmiert. Es ist ein Ingenieur aus der Torlegeschen Fabrik. Seinen Namen habe ich vergessen.«
»Und der Scheitelaffe?«
»Auch ein Ingenieur, der sich immerfort frisiert.«
»Ich finde es nicht gerade schön, Pommerle, daß ihr Lästermäuler junge Herren mit derartigen Ausdrücken belegt.«
»Ach, Väterli, sie haben dich ja auch mal den ›Klamotten-Bender‹ genannt, und du hast dich darüber nicht geärgert. Da wird es dem Scheitelaffen und dem Skunks auch nichts schaden. – Väterli, du mußt auch maskiert kommen. Was wirst du denn anziehen? Ich sage euch nicht, was ich anziehe. Ihr könnt mich dann suchen! Ach, es wird herrlich sein!«
»Hast du denn schon die Erlaubnis erhalten, Pommerle?«
Strahlend schaute sie in die Augen des Vaters. »Ich wünsche sie mir herzlich zu Weihnachten. Verdient habe ich die Freuden eigentlich nicht, denn heute habe ich einen riesigen Betrug verübt.«
»Was hast du denn angestellt?«
Pommerle berichtete ehrlich. Sie schob alle Schuld der Hochzeitseinladung in die Schuhe. »Nun«, meinte Professor Bender, »da wirst du wohl in der Freude auf das Maskenfest noch manchmal vergessen, deine Aufgaben zu erledigen?«
»Nein, Väterli, ich habe mich mächtig geschämt! Es war wirklich Pech, daß ich an die Reihe kam und er mich vorher lobte. Das war eine Gemeinheit des Schicksals! – Ja, ja, Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser, Schicksal des Menschen,