Jetzt ging dem Bootsführer auf, dass er sein Schiff in der nächsten halben Minute auf Grund setzen würde und wollte sich Bergmann schnappen, dieser war aber bereits heimlich und schnell aus dem Steuerstand verschwunden und versteckte sich in der Menge der aufgeregten Passagiere in Inneren des Schiffes. Als sich der Bug in den felsigen Untergrund des Flusses bohrte wurde die kinetische Energie des Schiffes sofort aufgehoben, mit einem widerlichen Kreischen stoppte das Wasserfahrzeug und durch den Aufprall wurden etliche der Passagiere von den Beinen gerissen, sämtliche auf den Tischen stehende Gegenstände – Teller, Tassen, Biergläser und anderes mehr – machten sich selbstständig und fielen auf den Boden und die dort liegenden Fahrgäste. Jetzt kam Panik auf und Gebrüll wurde laut, die Menschen drängten hastig zu den Ausgängen und Bergmann ließ sich einfach mittreiben, in der Menge verborgen fühlte er sich sicher. Mittlerweile war der Maschinist wieder auf seinen Posten zurückgekehrt und sah den Maschinentelegraphen auf „Volle Kraft zurück“ stehen, in der Hektik führte er diesen Befehl nunmehr aus und die Schraube drehte wild schäumend rückwärts. Es ruckte wieder und der Schiffskörper erzitterte, dann kam das Fahrzeug los und trieb auf den Fluss zurück. Jetzt drangen Schreie vom Heck nach vorn, denn in weniger als 200 Metern Entfernung näherte sich ein Frachtprahm. Der Bootsführer kurbelte wie von Sinnen am Steuerrad, legte den Maschinentelegraphen auf „Volle Kraft voraus“ und schaffte es gerade noch, vor dem Prahm wieder auf Kurs zu kommen. Langsam vergrößerte sich der Abstand der Schiffe und zwei Frauen vom Servicepersonal machten klar Schiff, indem sie die zu Bruch gegangenen Gegenstände zusammenfegten. Der Bootsführer meldete sich über die Lautsprecheranlage.
„Meine sehr verehrten Damen und Herren, durch einen technischen Defekt hatten wir eine leichte Grundberührung, aber keine Sorge, wir sind weiterhin seeklar. In 5 Minuten erreichen wir unseren Zielort, ich wünsche Ihnen noch gute Erholung in der schönen Landschaft. Es wäre mir eine Freude, Sie wieder einmal an Bord begrüßen zu dürfen.“
Frieder Bergmann war sich sicher, dass der Showdown kurz bevorstand. Souverän legte der Bootsführer an, der Maschinist machte die Leinen fest und ließ noch niemand von Bord gehen. Der Bootsführer kam aus seinem Stand heraus und platzierte sich genau am Ausgang des Schiffes, sein Plan war klar: er wollte sich Bergmann vorknöpfen. Dieser drückte sich im hinteren Bereich des Dampfers herum und versuchte verzweifelt einen Ausweg aus dieser verkorksten Situation zu finden, momentan hatte er noch keine Idee und es stand fest, dass er über die Stelling nicht verschwinden konnte, denn dort stand der Bootsführer und kontrollierte jeden an Land gehenden Gast. Am Ufer drängten sich etliche Leute die jetzt die Rücktour unternehmen wollten. Kopflos sagte sich Frieder Bergmann, dass er weder jetzt noch später, wenn der Dampfer wieder an seinem Ausgangspunkt anlegen würde, ungeschoren verschwinden könnte und wie um Zeit zu gewinnen stieg er vollkommen durcheinander über eine Leiter zur Dampfmaschine hinunter, der Maschinist stand ja mit dem Bootsführer noch am Ausgang. Unten angekommen schaute Bergmann sich gehetzt um, Richtung Heck sah er links und rechts jeweils eine eiserne Tür und drückte zuerst die linke auf. Dort sah er eine kleine Werkstatt, hinter der rechten wurde Koks gebunkert: das Material für die Feuerung der Dampfmaschine. Klirrende Leiterstufen zeigten an, dass der Maschinist wieder seinen Arbeitsplatz besetzen wollte und Frieder Bergmann verlor jetzt vollständig die Kontrolle über seine flatternden Nerven, mit einem Satz war er hinter dem Kokshaufen verschwunden aber realisierte noch, dass der Heizer sicher ab und an Nachschub an Brennmaterial holen müsste.
Kurz entschlossen sprang er hinter den Berg, warf sich auf den Boden und bedeckte sich so gut es ging noch mit Koks. Er hörte, dass der Heizer die Klappe des Dampfkessels öffnete und Koks hineinschaufelte, dann knallte der Verschluss wieder zu und der Maschinist hatte offensichtlich Zeit für eine Pause. Bergmann lauschte angestrengt und bekam mit, dass der andere Mann offensichtlich eine Flasche öffnete, denn nach einigen deutlich vernehmbaren gierigen Schlucken rülpste dieser röhrend und ließ einen donnernden Furz fahren. Dann schien er sich seine Schaufel zu greifen und weiterzumachen, denn der Koksberg geriet in Bewegung, als der Mann sein Arbeitsmittel in den Haufen stieß.
„Noch vier Schippen, das reicht dann bis nach Hause“ brabbelte er vor sich hin „Scheißschaufelei, ich hab‘ vielleicht die Schnauze voll, noch n Bierchen könnte mir jetzt gut tun.“
Wieder trank er hastig und quittierte den Kohlensäuregehalt des Bieres mit einem weiteren Rülpser. Bergmann konnte mittlerweile ganz gut lokalisieren wo sich der Heizer aufhielt, denn die Eisenplatten dröhnten unter dessen Schritten. Der Mann warf seine Schaufel krachend in eine Ecke, dann näherte er sich nochmals dem Koksberg und blieb vor diesem stehen. Frieder Bergmann erstarrte: war er entdeckt worden? Einen Augenblick später war diese Befürchtung hinfällig, denn es plätscherte laut auf den Koks, der Heizer erleichterte sich ungeniert. Das schien auch ein Zeichen für das baldige Anlegen zu sein denn kurz darauf sprang der Maschinentelegraph an und der Mann hantierte an der Steuerung. Frieder Bergmann verspürte einen sanften Stoß als der Dampfer an den Anlegeponton schrammte, er war wieder am Ausgangsort seiner Reise angekommen. Dennoch waren seine Probleme nicht kleiner geworden, wie sollte er von Bord kommen? Der Maschinist kletterte nach oben und Frieder Bergmann schälte sich unter dem Kokshaufen hervor, dann stieg er selbst nach oben. Seine zu Beginn der Dampferfahrt sauberen Sachen hatten nunmehr eine anthrazitfarbene Note erhalten und auch Gesicht und Hände trugen diesen Farbton. In diesem Aufputz würde er noch mehr Aufmerksamkeit erregen und keineswegs über die Landungsbrücke ans Ufer kommen. Jetzt ist alles egal sagte er sich, ging geduckt zum Heck des Schiffes und ließ sich an einem an der Bordwand baumelnden Tau ins Wasser gleiten. Das war nicht kalt und nach einigen Schwimmzügen hatte er Grund unter den Beinen, dann stieg er aus dem Fluss. Es war jetzt gegen 16 Uhr und der Bereich der Anlegestelle gut bevölkert, als Frieder Bergmann wie Aphrodite den Fluten entstieg richteten sich alle Augen auf ihn und er verfiel in einen Dauerlauf um den neugierigen Blicken zu entkommen. Plötzlich fiel ihm ein, dass er seinen Jaguar unweit der Anlegestelle geparkt hatte und das Parkticket in 10 Minuten ablaufen würde. Er musste also wieder zurück und da er nicht feststellen konnte wie er jetzt aussah stapfte er in hohem Tempo mit abwärts gerichtetem Blick an den staunenden Passanten vorbei. Seine zitternden Hände konnten kaum die Tasten der Autofernbedienung betätigen, aber dann öffnete er die Tür und ließ sich erschöpft in den Sitz fallen. Er hatte es geschafft.
Theoretischer Unterricht
„Sag‘ mal Frieder, hältst du das nicht albern für dein Alter, hier in der Badewanne mit Spielzeugschiffen zu hantieren?“ hatte ihn Petra gefragt.
„Keineswegs“ war die knappe Antwort gewesen.
Frieder Bergmann hatte nach dem Debakel auf dem Elbdampfer beschlossen, sich zunächst im kleinen Maßstab an die Kunst der Bootsführung heranzutasten. Aus seiner Sicht war das ja eine übliche Art etwas zu erlernen, schließlich übten Piloten ja auch im Simulator. Verglichen mit diesem komplizierten Gerät nahmen sich seine technischen Mittel aber eher bescheiden, allerdings