Überfordert
Schon sehr früh brachte ich Jan das Velo fahren bei, so konnten wir ab und zu unsere Ausflüge machen. Liess ich Jan allein auf unserem Spielplatz im Innenhof spielen, ging es in der Regel nicht lange und ein anderes Kind fing an zu heulen. Es ging soweit, dass nur noch die wenigsten mit ihm spielen wollten. Ich fand das nicht gerade förderlich für seine Entwicklung, denn Spielmöglichkeiten brauchte er in diesem Fall ja um so mehr. Er schien mir ein „Grobian“ zu sein. Ich wusste oft nicht wie ich nun reagieren oder intervenieren sollte. Strafen, funktionierte bei Jan nicht, auf jeden Fall zeigte es nicht die gewünschte Wirkung, im Gegenteil, es verschlimmerte sogar die Lage. Er konnte sich in eine Sache hineinsteigern und kämpfen bis zum Äussersten, einfach unglaublich! Ich konnte beobachten, dass gängige Methoden bei anderen Kindern Wirkung zeigte, jedoch bei Jan überhaupt nicht. Es gab immer wieder Situationen in denen ich nicht mehr weiter wusste. Mit den gut gemeinten Ratschlägen anderer konnte ich nichts anfangen, denn diese fruchteten keineswegs. Ich hinterfragte ihn und natürlich mich selbst. Meine Nachbarin Jutta, hatte wie jede andere Mutter, auch ihre Probleme mit ihrem Sprössling und ich bekam das oft mit. Ihre Methode war es, den Kleinen dermassen anzuschreien und einzuschüchtern, zu beschimpfen, «dem Teufel ein Ohr ab». Ich sehe keinen grossen Unterschied, ob man ein Kind psychisch fertig macht oder körperlich quält, denn beides hat schwerwiegende Folgen. Wir hatten deswegen auch schon Streitdebatten, weil sie fand, dass Dieter zu rau mit Jan umging, wo ich ihr Recht gab und in diesem Punkt auch nicht widersprach. Doch sah sie nicht ein, dass man auf psychischer Ebene auch viel anrichten konnte, was auch keinesfalls in Ordnung ist.
Vorfreude
Ich bereitete Jan auf sein Geschwisterchen gut vor, denn 5 Jahre Unterschied ist nicht wenig und ich wollte auf keinen Fall, dass Eifersucht aufkam. Ich kaufte ein entsprechendes Bilderbüchlein und sorgte dafür, dass auch ihn die Vorfreude packte. Er wünschte sich insgeheim ein Schwesterchen, wie ich herausfand. Er sah ein Mädchen, draussen vor unserem Küchenfenster und riss sogleich das Fenster auf und fragte, woher sie ihr Röckchen habe? Er wolle auch so eins für seine Schwester, die bald auf die Welt kommen würde. Ich war perplex und gerührt zugleich. Er konnte nämlich so fürsorglich, zuvorkommend und lieb sein. Ich wollte meinen Hausarzt entlasten und ging gleich zu einem Frauenarzt in der Klinik selbst. Ich dachte ab und zu wieder an die Engländerin, die Dieter einmal in St.Gallen traf. Diese Frau hatte uns ja ein Mädchen vorausgesagt. Ich wünschte mir dieses Mal mit gut abgewogenen Worten, dass das Wesen in mir gut aussehen mochte aber auch alles mitbringen sollte um sich in dieser Welt gut behaupten zu können. Die Schwangerschaft verlief sehr gut. Ab und zu bekam ich Schwindelanfälle, vor allem wenn ich lange stand. Als ich mit Jan nach Amriswil im Coop einkaufen ging, was eher selten vorkam, wurde mir plötzlich wieder hundeelend! Ich sagte zu Jan, es gehe mir nicht gut und er solle doch so lieb sein und aufhören mir die Ohren voll zu quatschen. Ich setzte mich auf den ausfahrbaren Teil des Einkaufswagens, der für grosse Sachen gedacht war um mich ein wenig zu schonen und zu erholen. Als es wieder so einigermassen ging, rappelte ich mich auf und zog den Einkauf durch. Aber glaubt nicht, dass Jan sich an meine Bitte gehalten hätte. Ich vermutete, dass das Baby auf irgendwas drückte und so die Beschwerden hervorrief. In dieser Zeit lernte Dieter im WK ein Pärchen kennen, die auch ein Baby durch den Kindstod verloren hatten. Sie wollten, dass wir einer Selbsthilfegruppe beitreten. Ich muss hier erwähnen, dass ich dies auf keinen Fall wollte, denn der Zeitpunkt war mehr als ungünstig. Nur schon ihre Geschichte, wie sie ihr Kind verloren, wühlte mich erneut auf. Ihr Kind starb nach der Taufe im Nebenraum eines Restaurants in seinem Körbchen, während sie das Festessen genossen. Nach Cyrill`s Tod wäre ich froh gewesen um eine solche Selbsthilfegruppe, doch die gab es damals noch nicht. Ich fühlte mich von den meisten Menschen um mich herum unverstanden. Und von denen ich am ehesten Teilnahme erwartet hätte, gerade die haben mich am allermeisten enttäuscht und sogar verletzt. Ich möchte mich nicht im Detail dazu äussern, denn es war in den meisten Fällen unabsichtlich passiert und hervorgebracht aus deren Unbeholfenheit.
Silvia und Walter erwarteten zu der Zeit ihr zweites Kind. Kurz nach Stefan`s Geburt, wurde sie wieder schwanger. Silvia verlor das Kind im dritten Schwangerschaftsmonat. Sie brachten den kleinen Stafan zu mir und ich hütete ihn einige Stunden, während sie in der Klinik waren. Als Walter wieder kam, sah er sehr niedergeschlagen aus und jammerte, dass sie nie gedacht hätten, dass ihnen sowas auch mal passieren könnte. Ich tröstete ihn so gut ich konnte. Man möchte nun denken, dass ich viel schlimmeres erlebte, doch ich hatte Verständnis für seinen Schmerz, denn auch sie freuten sich schon auf das Kind, wenn auch noch nicht lange.
Veränderung im Anmarsch
Die Firma Knupp stand vor grossen Umstrukturierungen. Sie wollten die beiden Lager von Küche und Bad zusammenführen und das leider nicht in Oberbüren, sondern in Burgdorf. Nun hatte Dieter die Wahl, nach Burgdorf zu ziehen, oder sich einen neuen Job zu suchen. Er flirtete mit dem Gedanken umzuziehen. Ich sagte ihm, dass mich in Zihlschlacht nichts zurückhalte und falls wir ein Haus fänden, käme ich mit, ansonsten könnten wir auch hier bleiben. Mit anderen Worten, wenn sich für mich, dass heisst für uns alle eine wohnliche Verbesserung ergeben würde, wäre ich für Veränderungen bereit. Nun wohnten wir schon ziemlich genau sechs Jahre in Zihlschlacht und eigentlich war ich gerade dabei, mich so langsam im Dorf zu integrieren. Ich übernahm erst kürzlich in der Spielgruppe einen Job als Ansprech- und Korrespondenzperson für die Anmeldungen. Dieter stellte ein