Grüwig das Buch. Gabriela Beyeler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriela Beyeler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844200102
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nun leer von Musikern und wir warteten im halbdunkeln. Jeden Moment konnten sie auf die Bühne kommen. Es war dunkel und man hörte nur das Gemurmel der vielen Leute. Urplötzlich wurde mir schwindelig. Ich informierte Dieter und ginge so schnell wie möglich aus der Menschenmenge zur Seitenwand des Gebäudes. Mit dem Rücken zur Wand versuchte ich mich zu erholen. „Da…“, die Musiker sprangen auf die Bühne und fingen sogleich zu spielen an. Ein Blick zu Dieter liess mich erkennen, wie er durch die Menge, zu mir geeilt kam und nach seiner Aussage, mich gerade noch festhalten konnte, bevor ich umfiel. Scheinbar stand ich immer schräger an der Wand. Ich konnte nichts mehr sehen, alles war schwarz und ich konnte nicht mehr sprechen. Gehen und hören funktionierte noch. Ich hörte wie Dieter darum bat, dass ich vorne neben der Bühne Hilfe bekomme. Er sagte mir wäre schlecht und ich wollte ihn korrigieren und sagen, nein nur schwindelig, doch ich brachte kein Wort heraus. Er ging mit mir durch die Leute in Richtung Ausgang, zur Garderobe und so langsam kam das Augenlicht zurück und ich konnte wieder sprechen. Das war ja merkwürdig! Ich setzte mich draussen auf die Garderobenbank. Wir hörten die Musik und am liebsten wollte ich wieder hinein. Doch was, wenn mir wieder schwindlig würde? Ich war extrem hin und her gerissen. Die Vernunft siegte und wir fuhren frustriert nach Hause. Am nächsten Tag telefonierte ich mit Philip und erzählte ihm die Story. Er war nicht sonderlich beeindruckt und meinte, dass solch Schwindelanfälle bei ihnen in der «Uni» tagtäglich vorkamen und es bestimmt kein Anzeichen einer Schwangerschaft sein müsse. Ich war anderer Meinung und wie sich zeigte, hatte es sich auch bestätigt. Quintessenz war, dass sobald ich das Problem der Zeugungshemmung erkannt hatte, es plötzlich wieder funktionierte und die Blockade aufhob, interessant, nicht wahr?! Bei der ersten Untersuchung in Münsterlingen, nahmen sie mir Blut und machten einen Aids-Test. Sie versicherten mir, dass das zur Standarduntersuchung dazu gehöre. Mir wurde etwas mulmig, denn sogleich kam mir die Bluttransfusion nach Jans`s Geburt in den Sinn. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt nie darüber nachgedacht, dass das Blut hätte infiziert sein können. Wie der Fall von dem jungen Mann, der in allen Zeitungen abgedruckt wurde, der im Spital bei einer Bluttransfusion mit Aids angesteckt wurde. Es war wie erwartet alles in Ordnung und doch wurde mir wieder einmal bewusst, wie das Schicksal auch hier hätte zuschlagen können. In dieser Schwangerschaft hatte ich tatsächlich einen Kalender angefertigt und jeden Tag abgestrichen. Jahrelang quälten mich schon Einschlafprobleme und ich kann nicht genau sagen, wann sie begannen. Ich lag jede Nacht stundenlang wach und konnte meine Gedanken nicht abschalten. Es war schrecklich, denn tagsüber fühlte ich mich alles andere als fit. Ich habe einen Anhaltspunkt, und zwar muss das schon vor der Geburt von Joe begonnen haben, denn jene Frau, das Medium, erwähnte damals mein Einschlafproblem und dem war auch so. Also muss das nach oder gar vor Jan`s Geburt begonnen haben, ich vermute eher nach seiner Geburt. Ich habe dann nach etwa 5 gequälten langen Jahren einen Trick herausgefunden, wie ich mich selbst überlisten konnte. Das erzähle ich jedoch später.

      Überfordert

      Schon sehr früh brachte ich Jan das Velo fahren bei, so konnten wir ab und zu unsere Ausflüge machen. Liess ich Jan allein auf unserem Spielplatz im Innenhof spielen, ging es in der Regel nicht lange und ein anderes Kind fing an zu heulen. Es ging soweit, dass nur noch die wenigsten mit ihm spielen wollten. Ich fand das nicht gerade förderlich für seine Entwicklung, denn Spielmöglichkeiten brauchte er in diesem Fall ja um so mehr. Er schien mir ein „Grobian“ zu sein. Ich wusste oft nicht wie ich nun reagieren oder intervenieren sollte. Strafen, funktionierte bei Jan nicht, auf jeden Fall zeigte es nicht die gewünschte Wirkung, im Gegenteil, es verschlimmerte sogar die Lage. Er konnte sich in eine Sache hineinsteigern und kämpfen bis zum Äussersten, einfach unglaublich! Ich konnte beobachten, dass gängige Methoden bei anderen Kindern Wirkung zeigte, jedoch bei Jan überhaupt nicht. Es gab immer wieder Situationen in denen ich nicht mehr weiter wusste. Mit den gut gemeinten Ratschlägen anderer konnte ich nichts anfangen, denn diese fruchteten keineswegs. Ich hinterfragte ihn und natürlich mich selbst. Meine Nachbarin Jutta, hatte wie jede andere Mutter, auch ihre Probleme mit ihrem Sprössling und ich bekam das oft mit. Ihre Methode war es, den Kleinen dermassen anzuschreien und einzuschüchtern, zu beschimpfen, «dem Teufel ein Ohr ab». Ich sehe keinen grossen Unterschied, ob man ein Kind psychisch fertig macht oder körperlich quält, denn beides hat schwerwiegende Folgen. Wir hatten deswegen auch schon Streitdebatten, weil sie fand, dass Dieter zu rau mit Jan umging, wo ich ihr Recht gab und in diesem Punkt auch nicht widersprach. Doch sah sie nicht ein, dass man auf psychischer Ebene auch viel anrichten konnte, was auch keinesfalls in Ordnung ist.

      Vorfreude

      Ich bereitete Jan auf sein Geschwisterchen gut vor, denn 5 Jahre Unterschied ist nicht wenig und ich wollte auf keinen Fall, dass Eifersucht aufkam. Ich kaufte ein entsprechendes Bilderbüchlein und sorgte dafür, dass auch ihn die Vorfreude packte. Er wünschte sich insgeheim ein Schwesterchen, wie ich herausfand. Er sah ein Mädchen, draussen vor unserem Küchenfenster und riss sogleich das Fenster auf und fragte, woher sie ihr Röckchen habe? Er wolle auch so eins für seine Schwester, die bald auf die Welt kommen würde. Ich war perplex und gerührt zugleich. Er konnte nämlich so fürsorglich, zuvorkommend und lieb sein. Ich wollte meinen Hausarzt entlasten und ging gleich zu einem Frauenarzt in der Klinik selbst. Ich dachte ab und zu wieder an die Engländerin, die Dieter einmal in St.Gallen traf. Diese Frau hatte uns ja ein Mädchen vorausgesagt. Ich wünschte mir dieses Mal mit gut abgewogenen Worten, dass das Wesen in mir gut aussehen mochte aber auch alles mitbringen sollte um sich in dieser Welt gut behaupten zu können. Die Schwangerschaft verlief sehr gut. Ab und zu bekam ich Schwindelanfälle, vor allem wenn ich lange stand. Als ich mit Jan nach Amriswil im Coop einkaufen ging, was eher selten vorkam, wurde mir plötzlich wieder hundeelend! Ich sagte zu Jan, es gehe mir nicht gut und er solle doch so lieb sein und aufhören mir die Ohren voll zu quatschen. Ich setzte mich auf den ausfahrbaren Teil des Einkaufswagens, der für grosse Sachen gedacht war um mich ein wenig zu schonen und zu erholen. Als es wieder so einigermassen ging, rappelte ich mich auf und zog den Einkauf durch. Aber glaubt nicht, dass Jan sich an meine Bitte gehalten hätte. Ich vermutete, dass das Baby auf irgendwas drückte und so die Beschwerden hervorrief. In dieser Zeit lernte Dieter im WK ein Pärchen kennen, die auch ein Baby durch den Kindstod verloren hatten. Sie wollten, dass wir einer Selbsthilfegruppe beitreten. Ich muss hier erwähnen, dass ich dies auf keinen Fall wollte, denn der Zeitpunkt war mehr als ungünstig. Nur schon ihre Geschichte, wie sie ihr Kind verloren, wühlte mich erneut auf. Ihr Kind starb nach der Taufe im Nebenraum eines Restaurants in seinem Körbchen, während sie das Festessen genossen. Nach Cyrill`s Tod wäre ich froh gewesen um eine solche Selbsthilfegruppe, doch die gab es damals noch nicht. Ich fühlte mich von den meisten Menschen um mich herum unverstanden. Und von denen ich am ehesten Teilnahme erwartet hätte, gerade die haben mich am allermeisten enttäuscht und sogar verletzt. Ich möchte mich nicht im Detail dazu äussern, denn es war in den meisten Fällen unabsichtlich passiert und hervorgebracht aus deren Unbeholfenheit.

      Silvia und Walter erwarteten zu der Zeit ihr zweites Kind. Kurz nach Stefan`s Geburt, wurde sie wieder schwanger. Silvia verlor das Kind im dritten Schwangerschaftsmonat. Sie brachten den kleinen Stafan zu mir und ich hütete ihn einige Stunden, während sie in der Klinik waren. Als Walter wieder kam, sah er sehr niedergeschlagen aus und jammerte, dass sie nie gedacht hätten, dass ihnen sowas auch mal passieren könnte. Ich tröstete ihn so gut ich konnte. Man möchte nun denken, dass ich viel schlimmeres erlebte, doch ich hatte Verständnis für seinen Schmerz, denn auch sie freuten sich schon auf das Kind, wenn auch noch nicht lange.

      Veränderung im Anmarsch

      Die Firma Knupp stand vor grossen Umstrukturierungen. Sie wollten die beiden Lager von Küche und Bad zusammenführen und das leider nicht in Oberbüren, sondern in Burgdorf. Nun hatte Dieter die Wahl, nach Burgdorf zu ziehen, oder sich einen neuen Job zu suchen. Er flirtete mit dem Gedanken umzuziehen. Ich sagte ihm, dass mich in Zihlschlacht nichts zurückhalte und falls wir ein Haus fänden, käme ich mit, ansonsten könnten wir auch hier bleiben. Mit anderen Worten, wenn sich für mich, dass heisst für uns alle eine wohnliche Verbesserung ergeben würde, wäre ich für Veränderungen bereit. Nun wohnten wir schon ziemlich genau sechs Jahre in Zihlschlacht und eigentlich war ich gerade dabei, mich so langsam im Dorf zu integrieren. Ich übernahm erst kürzlich in der Spielgruppe einen Job als Ansprech- und Korrespondenzperson für die Anmeldungen. Dieter stellte ein