„Prima“, konterte Matthias‘ Freundin. Sie war alles andere als jemand, der gerne kocht, und auch Matthias selbst gehörte eher zur Fraktion der puren Konsumenten. „Ich übernehme das Putzen“, fuhr sie fort. Matthias wechselte mit seinem Freund einige Blicke. Unsere Rollen werden sich irgendwo zwischen Kochen und Putzen ansiedeln, grübelte er.
Nun saßen sie in einem kleinen Restaurant mitten in Berlin und freuten sich auf die anstehende Reise. Ihnen stand eine lange Fahrt bevor, keiner von ihnen war jemals eine derartig lange Strecke gefahren, aber jeder besaß einen Führerschein, und sie hatten auch nicht weniger als zwei Zwischenstopps eingeplant. Bei Verwandten, bei Freunden… Das Quartett hatte zwei Autos, einen Audi, einen Honda, und auch wenn der Honda etwas klapprig war, sie würden ganz gemütlich in die Schweiz reisen, ohne Eile, voll entspannt.
„Auf einen schönen Urlaub!“ sagte Sebastian, und alle fielen ein. Es war spät geworden, nach einem langen Sportwettkampf, zwei Uhr morgens. Selbst in Berlin waren um diese Zeit nicht viele Restaurants geöffnet, aber dieses winzige Lokal war ein echter Geheimtipp. Schade nur, dass der Weg nach Hause nicht gerade kurz sein würde, bedauerte Matthias. Aber was soll‘s? In nur wenigen Tagen würden sie unendlich entspannen können.
„Auf uns!“ fielen alle ein und stießen an. Nur noch zwei Tage… Spät – oder eher früh – verabschiedeten sie sich und fuhren nach Hause.
Schon am nächsten Tag in der Frühe, nach wenigen Stunden, sahen sie sich wieder. Caroline holte Matthias ab, und sie fuhren zum gemeinsamen Sporttraining. Unterwegs sahen sie mitten auf einer großen Straße einen Unfallwagen, wie für die Ewigkeit mit einem schräg stehenden Laternenmast verbunden.
„Na, da hat’s aber gekracht“, ließ sich Matthias‘ Freundin vernehmen, und er sagte: „Der steht ja auf der verkehrten Seite.“ Wie war der Wagen nur über die breite Straße nach links gekommen?
Ein leichtes Unwohlsein machte sich in Matthias breit. Morgen würden sie fahren. Weit fahren. Viele Kilometer. An unzähligen Laternenmasten vorbei… Aber sie waren jung. Warum sollte ihnen das geschehen?
Beim Training trafen die vier wieder zusammen. Sebastian und Julia sahen noch deutlich erschöpfter aus als Caroline und Matthias, nur was tat man nicht alles für den Sport?
„Spät geworden?“ amüsierte sich der Trainer.
„Kann man so sagen“, lachte Matthias und stupste seine Freundin. „Aber morgen fahren wir in den Urlaub.“
Sebastian räusperte sich: „Äh, da ist ein Problem…“
„Sag‘ jetzt nicht, dass Ihr nicht mitkommt“, fuhr Caroline auf. „Das geht nicht. Wir haben gebucht. Maisonette für vier Personen. Wir können das nicht allein bezahlen…“
Julia räusperte sich nun auch: „Unser Auto…“
Die Erkenntnis traf Matthias wie ein Schlag. Das Auto! An der Laterne! Es war spät gewesen, der Fahrer eingeschlafen, quer über die Straße geschossen, nur noch aufgehalten von einer tapferen Laterne. Und er kannte Fahrer und Beifahrerin… Wenigstens gab es keine weiteren Verletzten als Fahrzeug und Mast.
Es half nichts. Sie würden also mit einem Auto fahren. Mit einem alten klapprigen Honda. Irgendwie werden wir das Gepäck für drei Wochen schon unterbringen, dachte Matthias, und er atmete tief durch. Irgendwie würde es schon gehen.
Abends trafen sie sich mit gepackten Sachen, schafften es tatsächlich, alle Koffer und Taschen unterzubringen. Zugegeben, viel Platz hatten die beiden auf dem Rücksitz nicht, und selbst der Fußraum des Beifahrers war gefüllt, aber wenigstens der Fahrer hatte die Möglichkeit, nicht mit den Knien an den Ohren zu sitzen, sondern sie immerhin noch vor der Brust halten zu können. Was soll’s, lachte Matthias innerlich, wir sind jung!
Er sah das Schmunzeln seiner Eltern, als sie am nächsten Morgen abreisten. Er am Steuer, etwas weiter vorne als bequem. Neben ihm Caroline mit einer heraufdämmernden Migräne, hinter ihnen Sebastian und Julia, kaum zu sehen zwischen diversen Taschen und einer gigantischen Kühlbox. Julia wurde nicht müde zu betonen, wie perfekt sie die Kühlbox gepackt hatte. Schließlich könnten sie so einige verderbliche Lebensmittel in die Schweiz mitnehmen – Wurst, Käse, Butter -, sparten so eine Menge Geld.
Es war heiß. Sehr heiß. Sie waren nicht die einzigen, die das alte West-Berlin verlassen wollten. Sie standen eine gefühlte Ewigkeit an der Grenze, um endlich im Transit durch die DDR reisen zu dürfen. Caroline, bleich wie ein Bettlaken, flüsterte Matthias zu: „Ich lasse die nicht fahren mit meinem Auto.“
„Wieso nicht?“
„Die fahren gegen Laternen.“
Matthias überlegte, wie er ihr vermitteln konnte, dass das übermüdete Fahren gegen Laternen vermutlich keine grundsätzliche Eigenschaft eines Menschen war und sich auch nicht viral von Freund zu Freundin übertrug, doch er erkannte an ihrem Gesicht, dass sie kein Interesse an einer Diskussion hatte. Außerdem – was sollte es? Es blieben immer noch sie und Matthias selbst. Zwei Fahrer.
Schon nach der Hälfte der Strecke durch die DDR war er völlig erschöpft. Matthias fuhr gerne, aber er war keine wirklich langen Strecken gewohnt. Es war heiß. Draußen war es heiß. Im Auto war es unfassbar heiß. Durch die halboffene Scheibe drangen glühender Fahrtwind und beißende Trabbidüfte, aber hätten sie die Scheibe nicht heruntergekurbelt, wären sie in ihrem eigenen Schweiß gekocht worden. Noch aber war die Stimmung gut. Sebastian und Julia hielten Matthias mit munteren Reden wach. „Hinter der Grenze, irgendwo in Hessen, machen wir Rast“, lächelte Julia. „Ich habe schließlich eine vollgepackte Kühlbox dabei. Und dann gibt’s eine Brotzeit.“
Ein Blick auf Caroline zeigte, dass Matthias bis dahin keine Chance haben würde, das Steuer an sie zu übergeben. Sie war gerade damit beschäftigt, nicht aus dem Leben zu scheiden. Ihr ging es überhaupt nicht gut. Die Migräne ist wohl wirklich echt, dachte Matthias. Was soll’s? sinnierte er weiter. Schließlich gibt’s auf der Transitstrecke keine Straßenlaternen, gegen die ich fahren kann…
Sie erreichten einen Parkplatz im Nirgendwo, irgendwo in Hessen. Der Asphalt dampfte. Warum schlägt der keine Blasen? grübelte Matthias. Er fühlte sich wie ein Ertrinkender, als er halb, steif wie ein trockenes Stück Leder, aus dem Auto rollte. Er war vollkommen fertig, schweißgetränkt, müde, starr durch die unbequeme Haltung. Er sah eine Art Leiche auf der anderen Seite aus dem Auto taumeln, und schließlich falteten sich zwei weitere Gestalten aus dem Fahrzeug. Sebastian und Julia lachten, während sie damit begannen, sich zu strecken und die Kontrolle über ihre Glieder zurückzuerlangen.
„Jetzt die Kühlbox“, freute sich Julia. „Die habe ich nämlich gepackt, und da passt kein Fitzelchen Luft mehr rein.“
Die Leiche neben Matthias knurrte. Immerhin, dachte er, Caroline nimmt akustische Signale noch wahr…
Fünf Minuten später war der gesamte Inhalt der Kühlbox in die Mülltonne gewandert. Kühlboxen erfüllten durchaus ihren Zweck und diese spezielle Kühlbox war auch definitiv perfekt gepackt gewesen, nur machte das alles physikalisch keinen Sinn, wenn man die Kühlaggregate nicht mit hineinsortierte. Julia schwieg mit hochrotem Kopf, die Leiche knurrte immer noch, Sebastian machte Späße zur Ablenkung. Hungrig schlängelte sich Matthias hinter das Steuer. Ihm war klar, dass er dort auch den Rest der Fahrt bis zum ersten Ziel verbringen würde. Ich muss mich zusammenreißen, feuerte er sich selbst an, und die Erschöpfung vergessen.
Am Abend trafen sie in Franken ein. Ein großes Familienfest erwartete sie in einem zünftigen fränkischen Gasthaus. Sie wurden erfreut begrüßt von Bekannten und Unbekannten, es war laut, es war fröhlich, es war deftig. Die Leiche neben Matthias knurrte längst nicht mehr, war in ihrem bedauernswerten Zustand in eine Art Starre verfallen. Matthias selbst hatte mittlerweile auch starke Kopfschmerzen, wollte eigentlich nur noch ins Bett. Schließlich entließen die Verwandten ihre Gäste, und