Am Abgrund. Georg Sonnleitner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Sonnleitner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742774330
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in der Kälte verbingen zu müssen. Die ganze Aufregung ließ ihn erschöpft einschlafen. Und im Traum erschien ihm sein Vater. Und er rief seinen Namen. Immer wieder rief er den Namen seines Sohnes, bis dieser aufwachte. Er erinnerte sich wieder, wo er war und als er die vertraute Stimme seines Vaters hörte, hielt er es erst wieder für einen Traum. Doch er war es wirklich. Sein Vater kam, um ihn zu holen. Stefan lief ihm entgegen und fiel ihm in die Arme. Ohne viel zu reden, gingen sie zurück zur Hütte. Dort saßen Ralph und dessen Vater am Lagerfeuer. Ralph war anscheinend nach seinem Sturz unversehrt aufgestanden und sofort zurück zur Hütte gegangen. Stefan hatte damit gerechnet, Ärger zu bekommen, weil er Ralph niedergestoßen und einfach abgehauen war. Doch zu Stefan`s Verwunderung hatte Ralph nichts von dem Vorfall erzählt. Auch Stefan gegenüber hatte er es nie erwähnt.

      Der Ausflug blieb der letzte seiner Art. Doch kurz darauf traf Stefan Ralph wieder: die beiden kamen auf diesselbe Privatschule. Stefan gab sich größte Mühe, Ralph aus dem Weg zu gehen, was ihm auch ganz gut gelang.

      Überhaupt schottete er sich immer mehr von seinen Klassenkollegen ab. Die anderen Jungen konnten nichts mit dem stillen Sonderling anfangen. Manche hatten sogar Angst vor ihm.

      Bereits mit 16 begann Stefan Zauner, in die Geschäfte seines Vaters hineinzublicken. Mit 17 bekam er von seinem Vaters – seine Mutter wusste nicht davon – seine erste Kreditkarte. Stefan begann, an der Börse zu spekulieren.

      Oft arbeitete Stefan auch während des Unterrichts an der Ausarbeitung von Finanzplänen, denn der Schulstoff langweilte ihn schrecklich, unterforderte ihn. Die Nachmittage verbrachte er meist im Büro seines Vaters. Er half ihm dort bei Abrechnungen und komplizierten Kalkulationen. Roman Zauner war ein Mann mit genialem Sinn für Profit versprechende Investitionen und schier grenzenlosem Ehrgeiz. Immer schon war er ein harter Arbeiter gewesen. In den 80er arbeitete er als Vertreter für Swimming-Pools; der begnadete Verkäufer erzielte hohe Provisionen. Doch irgendwann kam er an einen Punkt, da ging es nicht mehr weiter; Verdienstmöglichkeiten und Aufstiegschancen waren erschöpft. Und er wusste, seine Karriere als Verkäufer hatte ein Ablaufdatum. Denn er wollte mehr erreichen und beschloss, sich als Finanzberater selbstständig zu machen. Er bewies außerordentliches Geschick. Durch seinen Vertreter-Job hatte er eine ganze Kartei von Kontakten teils vermögender Leute, die ihm allesamt ihr Geld anvertrauten. Denn sie wussten, bei Roman Zauner war es in guten Händen. Und sie hatten Recht, denn er vermehrte es, bewies immer den richtigen Riecher. Innerhalb von ein paar Jahren hatte Roman Zauner sich einen Namen in der Branche gemacht und ein kleines Vermögen verdient. Und natürlich freute er sich später, dass sein Sohn denselben Weg einschlug. Er brachte Stefan alles bei, was er über Finanzen wusste. In ihren gemeinsamen Stunden in seinem Arbeitszimmer war er immer wieder erstaunt über den analytischen Verstand seines Sohnes. Komplizierte Renditenrechnungen, für die sein Vater Stunden brauchte, schaffte Stefan in einem Bruchteil der Zeit.

      Nach Abschluss der Schule machte sich Stefan als Finanzberater selbstständig und der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Für ein Studium am Institut für International Finance in Freistadt war er somit geradezu vorbestimmt.

      FÜNF

      Stefan erwischte Anna vor der Mensa.

      Sie war ein ausgesprochen hübsches Mädchen – dazu wahnsinnig intelligent und auch ehrgeizig. Als Beste ihres Jahrgangs würde sie ihren Abschluss in Redordzeit schaffen. Neben ihrem Hauptstudium Internationales Recht belegte sie noch Publizistik-Kurse, arbeitete für die Universitätszeitung und engagierte sich für zahlreiche soziale Projekte, die an der Universität so liefen.

      Anna’s Zielstrebigkeit und ihr Arbeitseifer imponierten Stefan ungemein.

      »Viel zu tun?«, rief er ihr von Weitem zu. Anna wollte gerade auf ihr Fahrrad steigen.

      »Redaktionssitzung.«

      Stefan ging gemächlich auf sie zu. »Ralph auch?« - Sie nickte.

      »Komischer Kauz, nicht wahr..?«, sagte Stefan.

      »Ich mag ihn.«

      Stefan lachte. »Natürlich. Ich mag ihn auch. Auf eine gewisse Art. Trotzdem kann ich mich manchmal nur über ihn wundern. Was er so erzählt...«

      »Zum Beispiel, dass du Harald Peiler zusammengeschlagen hast?« – ihr Blick war nicht finster, aber doch prüfend.

      »Mein Gott, du solltest nicht alles glauben, was man so redet.«

      »Ich muss jetzt los«, sagte sie.

      »Ich will nicht, dass du einen falschen Eindruck von mir bekommst«, sage Stefan. »Hättest du nachher Zeit? Ich würde dir das Ganze gern bei einem Kaffee erklären.«

      Sie strich sich ihre schwarze Mähne hinter die Ohren und sagte bestimmt: »Ich habe dann noch etwas in der Redaktion zu tun. Außerdem glaube ich nicht, dass ich einen falschen Eindruck von dir habe.«

      Sie schwang sich auf ihr Fahrrad und verschwand.

      »Hari ist ein Freund von Anna«, sagte plötzlich Ralph. Stefan drehte sich um und sagte: »Was versprichst du dir davon?«

      »Was meinst du..?«

      »Dass du sie gegen mich aufhetzt.«

      »Das machst du schon selbst.«

      »Du arbeitest jetzt also auch für dieses Universitätblatt. Denkst du, du hast eine Chance bei ihr...?«

      »Warum interessiert dich das? Du hast doch eine Freundin..«

      »Ich finde es einfach lächerlich, das ist alles.«

      »Die Sitzung fängt gleich an«, sagte der schlaksige Bursche.

      »Du verschwendest deine Zeit«, rief Stefan Ralph nach. Ein hübsches, kluges Mädchen wie Anna konnte allemal was besseres finden als diesen Stümper, dachte er bei sich.

      SECHS

      Vor sich hin grübelnd sank Stefan in den Leder-Sessel im Esszimmer seiner Eltern. Es war ein riesiger Raum mit Holzvertäfelungen an den Wänden und einer Gallerie aus poliertem Eichenholz. ROMAN Zauner‘s imposante Gestalt spiegelte sich auf dem gebohnerten Parkett. Mit einem Whiskeyglas in der Hand schlenderte er an den raumhohen Bücherregalen entlang. Sein Haar war für sein Alter ausgesprochen voll und nur an den Seiten seines Kopfes von ein paar grauen Strähnen durchzogen. Stefan nippte von seinem Glas. Das Abendessen bei seinen Eltern am Freitag Abend war zu einer Tradition geworden, der Stefan gerne nachkam. Seine Mutter, Martha Zauner, war eine ausgezeichnete Köchin.

      »Kennst du ihn?«, fragte Stefan. Sein Vater sah von einem dicken Schmöcker auf. »Viktor Tomann? Ich habe ihn ein-, zweimal getroffen.«

      Stefan starrte auf etwas, das vor sich auf dem kleinen Beistelltisch lag. »Vergiss die Sache«, sagte sein Vater. Er stellte das Buch zurück ins Regal. »Du verstehst das nicht.«

      Stefan nahm die Banknote vom Tisch und hielt sie hoch.

      »Sag bloß, du trägst diesen 50er immer noch mit dir herum«, sagte sein Vater und steckte sich einen Zigarillo an. Früher hatte er auch Zigarren geraucht, mit seinen Geschäftspartnern. Irgendwann würde er es sich ganz abgewöhnen.

      »Ich glaube nicht an Glücksbringer. Erinnert mich einfach an damals«, sagte Stefan. Er konnte die Augen nicht von dem Geldschein abwenden.

      »Du redest wie ein alter Mann«, sagte Roman Zauner. Er ließ die Streichhölzer in der Sakkotasche verschwinden.

      »Angenommen, Gerber veranstaltet wirklich einen Empfang; er wird dich nicht einladen. Weil er dich nicht kennt. Oder glaubst du, du hast damals einen so prägenden Eindruck hinterlassen?« Ein tiefes Lachen erfüllte das Zimmer. Der stämmige Mann bließ eine dicke Rauchwolke aus.

      Das verächtliche Getue seines Vaters beeindruckte Stefan nicht. Er nahm sein Glas und stand auf, ging zur Fensterfront und überblickte den prächtig angelegten Garten. Er war das Werk seiner Mutter, die ein Faible für Architektur und Gartengestaltung hatte.

      »Mir fällt schon