Gegen die Vergangenheit. Ernst Meder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Meder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844274721
Скачать книгу
lange es wirklich gedauert hat, die wir uns in die Augen gesehen haben, dieser Augenblick, der bewirkte, dass wir uns unsterblich ineinander verliebten.

      Das war auch einer der Gründe, weshalb ich später nie wieder geheiratet habe, ich wollte dieses Erlebnis, das wie ein Blitz uns beide getroffen hatte, nicht mit einer neuen Verbindung bagatellisieren. Mit jemandem diese einzigartige Liebe, meine einzigartige Liebe nicht dadurch auf das Niveau eines Alltäglichen herabsetzen.

      Wir haben uns damals über viele Konventionen hinweg gesetzt, haben beschlossen uns nicht von anderen etwas auferlegen zu lassen, was wir beide nicht wollten. Nach diesem Sabbat haben wir uns jeden Tag gesehen, es gab keine Ausnahme kein Hindernis, welches dies hätte verhindern können. Nach drei Tagen beschlossen wir so schnell als möglich zu heiraten, wir wollten uns nicht jeden Tag aufs Neue treffen, um uns wieder zu trennen, wobei jeder in sein Zuhause zurückging.

      Nachdem wir den anderen davon erzählten, wuchs der Widerstand auf allen Seiten. Seinen Eltern war ich nicht gut genug, außerdem sollten wir uns doch zuerst kennenlernen, damit wir prüfen, konnten, ob wir zusammenpassten. Meine Eltern hatten Einwände gegen die Levi‘s, diese seien nicht gläubig genug, sie seien zu liberal, während sie zu den konservativen Strömungen innerhalb der jüdischen Gemeinde zählten.

      Seine Freunde rieten ihm ab, weil er doch noch Zeit habe, sich noch nicht genug ausgetobt hatte, außerdem sei er viel zu jung, um sich jetzt schon fest an eine Frau zu binden.

      Meine Freundinnen waren auch nicht besser, auch sie wollten nicht, dass ich mich, mit meinen neunzehn Jahren, so schnell und ohne Überlegung in so ein Abenteuer stürzte. Stell Dir vor er ist gewalttätig, oder stell Dir vor er ist geizig, oder stell Dir vor er ist impotent, Du kannst Dir nicht vorstellen, welche Gründe genannt wurden, um uns unsere Heirat zu verleiden.

      Die einzige Person, die uns in unserem Vorhaben gegen alle Widerstände bestärkte, war Rabbi Weizenbaum, der uns beglückwünschte, dass wir so eine große Liebe gefunden haben. Nun hatten alle ein neues Opfer gefunden, jetzt war Rabbi Weizenbaum Objekt ihrer Beschimpfung. Wie er sich erdreisten könne, uns zu der Hochzeit, der "Chuppa" zuzureden, er wisse doch sehr genau, welche Bedenken die jeweils andere Seite habe.

      Langsam füllten sich ihre Augen, die plötzlich auftretende Flüssigkeit wirkte wie eine zweite Linse, die die vorhandene Linse mit einem Schleier überzog. Auf seinen fragenden Blick antwortete sie mit zittriger Stimme, Rabbi Weizenbaum wurde am neunten November in der Reichspogromnacht umgebracht, als von den Nazis aufgestachelte Deutsche unsere Synagoge geschändet und angezündet haben.

      Er hatte versucht, dies zu verhindern, hatte sich den Plünderern und Brandschatzern in den Weg gestellt, wollte seine Synagoge verteidigen. Es wurde nie ein Schuldiger gefunden oder jemand deswegen verurteilt. Die Polizei hat sich geweigert Ermittlungen aufzunehmen, sie haben immer nur von einem Unfall gesprochen.

      Der sogenannte Unfall war, dass jemand ihm von hinten den Schädel mit einem Knüppel zertrümmert hat, er dann auch noch in der Nähe der Synagoge liegen gelassen wurde. Aber damals hat der Tod eines Juden in Deutschland nur noch sehr wenig Leute interessiert, ihr neu erwachter Nationalstolz duldete solche Kreaturen, wie Göbbels und andere uns Juden damals nannten, nicht in ihrer Gemeinschaft.

      Leise fuhr sie fort, aber wir waren noch bei unserer geplanten Hochzeit, die für erhebliche Unruhe in unsrer Gemeinde sorgte. Meine Eltern hatten mir übrigens bereits einen anderen Ehemann ausgesucht, einen passenden, wie sie meinten, da er auch der konservativen Glaubensrichtung angehörte.

      Als sie spürten, dass sie mit ihren Einwänden nichts erreichen konnten, im Gegenteil, je mehr sie gegen uns waren, desto enger wurde unsere Beziehung, desto größer unser Widerstand. Also beschlossen sie gute Mine zu dem, ihrer Ansicht, bösen Spiel zu machen. Sie versuchten jetzt, das Beste für das eigene Familienmitglied herauszuholen. Die Verhandlungen für den Ehevertrag die „Ketuba“, zeigte erneut die Unterschiede unserer Eltern, während sie sich zähnefletschend gegenübersaßen.

      Bis Ephraim ein Machtwort sprach, er hatte eine Ketuba aufgesetzt, die weit über das übliche Eheversprechen hinausging. Du weißt, dass in der Ketuba der Ehemann verspricht, einen finanziellen Ausgleich zu zahlen, sollte die Ehe enden oder sie als Witwe zurückbleiben. Er hatte alles so verfasst, dass alles an mich gehen sollte, wenn er sich je von mir trennte oder falls er sterben sollte.

      Meine Eltern jubelten, seine Eltern heulten und jammerten wegen der ungerechten Lösung, aber es war uns gleichgültig. Ich hätte ihn auch ohne Ketuba geheiratet, ich wäre ihm auch ohne Heirat überallhin gefolgt.

      Trotz aller Versuche uns auseinanderzubringen, haben wir am fünften November, keine zwei Monate, nachdem wir uns zum ersten Mal gesehen haben, geheiratet. Genau da, wo wir uns zum ersten Mal gesehen haben, in unserer Synagoge mit Rabbi Weizenbaum. Es war unsere Anerkennung dafür, dass er uns während der ganzen Zeit bestärkt hatte, gegen die Widerstände unsrer Familien und Freunde anzukämpfen.

      Er war es, der uns bei der Mizwa den Becher Wein gegeben hat, von dem wir nippten, der den Segensspruch gesprochen und der die Ketuba verlesen hat. Als Ephraim am Schluss das Weinglas zertreten hat, da sind sich doch alle in die Arme gefallen, haben geweint.

      Danach im Jichud-Raum, als wir endlich allein für uns waren, da hat er mir noch einmal gesagt, dass er mich gegen jeden Widerstand geheiratet hätte. Ganz egal was alle anderen gesagt hätten. Im Anschluss daran haben wir dann doch mit allen gemeinsam gefeiert, das Masel Tow zu unserer Begrüßung kam dann doch von allen.

      Ein Teil unserer Freunde hatte an unserer Hochzeit nicht mehr teilnehmen können, sie hatten Deutschland kurz nach den Nürnberger Gesetzen bereits verlassen. Sie wollten nicht weiter in einem Land leben, welches sie nicht als einen Teil ihres gemeinsamen Staatswesens betrachtete, sie als das anerkannte was sie seit Generationen waren, als Deutsche. Sie hatten uns erzählt, wie sie erpresst, ihnen ihr Eigentum weggenommen, oder wie ein Strohmann der Nazis ihr Geschäft für eine lächerliche Summe übernommen hatte.

      Mendel Kauffmann hatte ein Lebensmittelgeschäft, als er sich entschloss auszuwandern tauchte ein Egon Müller in seiner Uniform auf, bot ihnen zweihundert Reichsmark für sein Geschäft. Als er sagte, dass allein die Waren in dem Geschäft mehr als dreitausend Reichsmark an Wert hätten, das Haus nochmals zwanzigtausend Reichsmark wert sei.

      Daraufhin hatte dieser ihm gesagt, der Staat werde keinen anderen Käufer als ihn akzeptieren, wenn er sein Angebot ablehne, werde er nächste Woche nur noch einhundert Reichsmark erhalten. Er hat dann an diesen Müller verkauft, er wollte mit seiner Familie nur noch raus aus Deutschland zu seinem Bruder nach Amerika.

      Anderen Bekannten aus unserer Gemeinde erging es ebenso, auch sie wurden um ihr Eigentum erpresst. Als sie nach dem Krieg Ansprüche erhoben, haben diese Diebe die Kaufverträge vorgelegt, behauptet alles sei freiwillig verkauft worden. Ein paar dieser Bekannten habe ich hier wieder getroffen, sie haben mir von ihrem Versuch erzählt, Gerechtigkeit zu erlangen, einen Teil ihres Vermögens wieder zu bekommen.

      Bitterkeit klang jetzt in ihrer Stimme, als sie sagte, ihre Gefühle, als sie scheiterten, haben sie mir gegenüber so beschrieben, zuerst wurden wir bedroht, dann beraubt, zum Schluss der Lächerlichkeit preisgegeben. Keiner von ihnen wird je wieder einen Fuß in dieses Land setzen, sie haben mit diesem Teil ihres Lebens abgeschlossen, die Gerechtigkeit ist auf der Strecke geblieben.

      Nach der Hochzeit bin ich gleich zu Ephraim gezogen, er hatte ja nur einen Tag Urlaub für die Hochzeit bekommen, am Tag darauf musste er schon wieder im Labor stehen. Es gab damals keine Flitterwochen, während er tagsüber arbeitete, habe ich angefangen mich einzurichten. Auch wenn es ein bisschen eng war, da das kleine Labor für seine privaten Forschungen einen Teil des Platzes in Anspruch nahm.

      Wir hatten übrigens nie die Möglichkeit unsere Flitterwochen nachzuholen, ihre Stimme klang jetzt traurig. Fast so, als hörte man ein Splittern von Glas in ihr, auch wenn sie jetzt ein neuerliches Aufsteigen von Tränen unterdrücken konnte.

      Nicht alle Leute waren damals so wie dieser Müller und andere, aber viel zu viele. Die, die sich versuchten aufzulehnen verschwanden bald, wurden nie wieder gesehen. Du must wissen, dass nach dem Reichstagsbrand auf Betreiben der Nationalsozialisten eine Notverordnung